Das Publikumsmodell ist eines der Ergebnisse der Studie «Digital Natives mit Nachrichten erreichen». Die Studienergebnisse zeigen deutlich, dass es «die Jugendlichen» als homogene Gruppe nicht gibt. Aufgrund der Daten lassen sich aber drei Altersgruppen bestimmen, mit spezifischen Präferenzen hinsichtlich des Nachrichtenkonsums. Sie zu kennen könnte helfen, Jugendliche besser mit Nachrichtenangeboten zu erreichen. Hier setzt das Publikumsmodell an.
Von Valery Wyss, Wissenschaftliche Assistentin im Forschungsschwerpunkt Medienlinguistik am IAM Institut für Angewandte Medienwissenschaft
Die Studie «Digital Natives mit Nachrichten erreichen» untersuchte die Nachrichtennutzung von Jugendlichen im Alter von 12 bis 20 Jahren. Von August 2019 bis Februar 2020 haben die Forschenden Fokusgruppen und Interviews mit den Jugendlichen durchgeführt. Zusätzlich haben die Studienteilnehmenden ihre Nachrichtennutzung in einem Tagebuch dokumentiert. Die Triangulation der Daten aus allen Forschungsschritten zeigt, dass die Nachrichtennutzug der Jugendlichen sich anhand von vier Dimensionen systematisieren lässt: Nutzungsdauer und -zeitpunkte, Nutzungsgewohnheiten, Restriktionen sowie Medienkompetenz. Die Ausprägung dieser Dimensionen ist ähnlich innerhalb von drei Altersgruppen, bei Jugendlichen im Alter von 12-14, 15-17 und 18-20 Jahren.
Die jüngste Altersgruppe ist vom Nachrichtenkonsum der Eltern beeinflusst
Die Analyse der aggregierten Daten hat gezeigt: Der Nachrichtenkonsum der Jugendlichen im Alter von 12-14 Jahren wird stark von den Eltern und der Schule reguliert. Die Jugendlichen haben zwar ein Smartphone, dürfen dieses jedoch nur zu bestimmten Zeiten nutzen. Internetzugang haben sie meist nur zu Hause. Gleichzeitig ist diese Altersgruppe zu jung, um offiziell ein Social-Media Profil zu haben. All diese Restriktionen haben zur Folge, dass die Jugendlichen kaum Online-Nachrichtenangebote nutzen. Trotzdem kommen sie mit Nachrichten in Kontakt. Liegt die abonnierte Zeitung der Eltern auf dem Küchentisch, stöbern die Jugendlichen gerne mal darin und lesen die Schlagzeilen. Die Artikel selber sind für sie weitgehend unverständlich. Wenn die Eltern Tagesschau schauen und die Jugendlichen auffordern, sich dazuzusetzen, widersprechen sie meist nicht. Sie schauen aufmerksam zu, die Inhalte sind für sie jedoch oft zu komplex. Mit den Eltern oder in der Schule über Nachrichteninhalte reden zu können, ist eine wichtige Motivation für den Nachrichtenkonsum. Freude haben die Kleinsten vor allem an Themen, die sich mit ihren Interessen decken: Gaming, Natur, Tiere sowie Comics und lustige Bilder. Negative Nachrichten werden gemieden, da sie Angst und Unsicherheit auslösen. Auch Geschehnisse, die keinen direkten Bezug zur Lebenswelt haben, interessieren die Jugendlichen kaum. Dieses Zitat aus einer Fokusgruppe bringt es auf den Punkt: «Wenn Angela Merkel oder Trump etwas sagen, denke ich nicht, dass es so wichtig ist. Es hat ja keinen Einfluss auf mich.» Die Analyse hat gezeigt, die Jugendlichen können News teilweise noch nicht richtig kontextualisieren.
Der Nachrichtenkonsum der mittleren Altersgruppe ist vielfältig und flexibel
Im Alter von 15-17 Jahren nehmen der Einfluss der Eltern und die Restriktionen ab, dafür wird der Einfluss von Freunden und Bekannten grösser. Jugendliche in diesem Alter verbringen sehr viel Zeit auf Social-Media-Plattformen, wo sie unzähligen Kanälen folgen und auch mit Angeboten der Informationsmedien in Kontakt kommen. Beliebt sind vor allem Instagram und YouTube. In diesem Alter konsumieren die Jugendlichen Nachrichten, die «einfach da sind». Sobald sie ein eigenes Datenpaket haben, sind sie fast immer online, sogar in Schulpausen schauen sie sich Push-Benachrichtigungen an. Nachrichtenangebote nutzen sie am intensivsten an Wochenenden, in den Ferien, oder beim Pendeln in öffentlichen Verkehrsmitteln. Die Interessen der Jugendlichen werden aufgrund der Auseinandersetzung mit aktuellen Trends breiter, breiter wird auch ihr Nachrichtenverständnis. Für diese Altersgruppe ist alles «News», was neue Informationen bietet, die einen Bezug zu eigenen Interessen haben. Eine wichtige Motivation für den Nachrichtenkonsum ist die Möglichkeit, darüber reden zu können, denn das wirkt sich auf die Beziehungen aus: Die Jugendlichen möchten informiert sein, um mitreden zu können und sozial integriert zu sein. Sie verstehen komplexere Themen zunehmend besser und setzen sich teilweise auch mit sprachlich anspruchsvollen Artikeln auseinander. Trotzdem präferieren sie einfache Formate wie Memes oder kurze Videos, die das Wichtigste auf den Punkt bringen. Das Themenspektrum der konsumierten Nachrichten ist divers und breit, die Menge der Nachrichten überfordert die Jugendlichen aber oft. Diese Altersgruppe wünscht sich Apps, deren Berichterstattung einen Bezug zu ihrer Lebenswelt herstellt und altersgerecht über Themen informiert. Am liebsten hätten sie eine simple App mit Bildern, kurzen Videos und Texteinblendungen, die das Wichtigste zusammenfasst. Wenn die App auch noch mit einer Filterfunktion ausgestattet wäre, die anhand von Interessen Inhalte bündelt und vorschlägt, wäre das genial.
Die Ältesten nutzen Nachrichten selektiv
Bei den Jugendlichen im Alter von 18-20 Jahren stabilisiert sich das Nachrichtennutzungsverhalten, es bilden sich individuelle Muster heraus. Nachrichten werden meist zu Randzeiten konsumiert: morgens auf dem Weg zur Arbeit oder Schule, auf dem Nachhauseweg, und kurz vor dem zu Bett gehen. Die Interessen und die Motivation für den Nachrichtenkonsum werden spezifischer. Die Jugendlichen wissen, was sie erfahren wollen, wo sie die Informationen bekommen und welche Formate ihnen am besten gefallen. Diese Altersgruppe fängt an, geschriebene Texte zu bevorzugen, die eine Thematik ausführlich behandeln. Videos und Bilder sind aber nach wie vor sehr beliebt und werden genutzt, um sich in kurzer Zeit einen Überblick zu verschaffen. Der Nachrichtenzugang erfolgt sehr spezifisch, wie eine 20-Jährige zusammenfast: «Ich habe meine zwei Apps, Blick und Snapchat. Diese sind sehr wichtig für meinen Nachrichtenkonsum.» Eine oder zwei Apps für die Nachrichtennutzung sind typisch für diese Altersgruppe. Sie wählen Social-Media-Kanäle bewusst aus und nutzen sie eher für Unterhaltung. Mit zunehmendem Alter nimmt die Reflexion über Nachrichten zu. Die Jugendlichen nehmen sich die Zeit zur gründlichen Auseinandersetzung mit den Inhalten. Sie wollen verstehen, was vor sich geht, um ihr Wissen und ihre Meinung mit Peers aus speziellen Interessengruppen teilen zu können. Zusätzliche Sprachkenntnisse eröffnen Zugangänge zu ausländischen Nachrichtenanbietern. Die Aussage einer 18-jährigen Studienteilnehmerin illustriert diesen Punkt: «Ich kann mich wirklich nicht erinnern, ob der Artikel, den ich gelesen habe, englisch oder deutsch war.»
Die mittlere Altersgruppe ist für Nachrichtenanbieter vielversprechend
Die Chance, Jugendliche mit neuen Nachrichtenformaten zu erreichen, ergibt sich vor allem bei den Jugendlichen im Alter von 15-17 Jahren. Sie haben noch keine Routine für ihren Nachrichtenkonsum entwickelt und sind sehr offen für neue Formate. Das wurde bereits währen der Studie deutlich: Durch die Diskussionen in der Fokusgruppe wurden die Jugendlichen auf Nachrichtenformate aufmerksam, die sie sich im Laufe der Tagebuchstudie auf dem Smartphone installiert und dann auch regelmässig genutzt haben, zum Beispiel Tiktok oder das Nachrichtenangebot auf Snapchat.
Eine detailliertere Einsicht in die Studienergebnisse wird der Abschlussbericht liefern, der im Dezember 2020 publiziert wird.
Mehr zum Projekt «Schweizer Digital Natives mit Nachrichten erreichen»:
Die dreiteilige Blogserie gibt einen Einblick in das laufende Projekt «Schweizer Digital Natives mit Nachrichten erreichen». Ein Forschungsteam der ZHAW taucht in die Lebenswelt von Jugendlichen in drei Schweizer Sprachregionen ein und nutzt ein Mehrmethodendesign, um die Nachrichtennutzung der Jugendlichen aus der Innenperspektive zu begreifen (siehe erster Blogbeitrag der Serie: Jugendliche mit Informationsmedien erreichen). Ein beispielhaftes Szenario zeigt anhand des beschriebenen Nachrichtennutzungsverhaltens einer Jugendlichen, wie die Daten im Projekt generiert wurden (siehe zweiter Blogbeitrag der Serie: Unterwegs durch die Newslandschaft einer Digital Native. Eine detailliertere Einsicht in die Methode und die Studienergebnisse wird der Abschlussbericht liefern, der im Dezember 2020 publiziert wird.