Corporate Newsroom: Unternehmen orientieren sich am Journalismus. Und der Journalismus?

Der Corporate Newsroom bringt Organisationsprinzipien und Produktionsabläufe aus dem Journalismus in die Organisationskommunikation. Damit geht er auf die veränderte öffentliche Kommunikation ein, in der unzählige Akteure permanent um die Aufmerksamkeit des Publikums buhlen. Mit der Umstellung auf einen Corporate Newsroom entstehen für eine Organisation neue Herausforderungen. Aber auch die Medien müssen sich überlegen, was die Veränderung auf Unternehmens- und Verwaltungsseite für sie bedeutet.

von Dr. Gudio Keel, Geschäftsführer und Dozent, IAM

Vor einigen Jahren begannen Redaktionen, sich konvergent in Newsrooms zu organisieren. Wer in einer Nachrichtenagentur, bei einer Tageszeitung oder bei Radio und Fernsehen arbeitet, kennt das: Kanalübergreifende Besprechung der Tagesthemen. Aufgabenverteilung. Diskussion längerfristiger Issues und Eventualitäten, auf die schnell reagiert werden muss. Mit relevanten Geschichten soll das Publikum aktuell, schnell und medienübergreifend informiert und unterhalten werden.

Die moderne Organisation sendet auf eigenen Kanälen und hört zu

Die veränderte Informationslandschaft hat zur Folge, dass auch in der Organisationskommunikation vermehrt nach diesem Prinzip organisiert und umgesetzt wird. Neben den bisherigen Kanälen planen Unternehmen und andere Organisationen heute, wie eigene Online-Kanäle, soziale Plattformen und andere Kanäle zu nutzen sind, um direkt mit Stakeholdern und der Öffentlichkeit in Kontakt zu treten. Die journalistischen Medien als Gatekeeper der öffentlichen Kommunikation sind dabei nur noch ein Kanal neben vielen anderen, der in die Kommunikationsplanung einbezogen wird. YouTube, Facebook, Blogs, Twitter und Snapchat können mit eigenen Inhalten bespielt werden. Durch Vernetzung mit Meinungsführern erreicht man Reichweite, man ist auf dem Laufenden darüber, wer welche Themen diskutiert, wer welche Standpunkte vertritt und welche Fragen relevant sind, auch wenn sie von den Medien (noch) nicht aufgegriffen wurden. Kommunizieren in diesem Umfeld heisst senden, vernetzen, zuhören, mitreden – und die organisationale Voraussetzung dafür schafft der Corporate Newsroom.

Der Blick in den AXA-Newsroom

Corporate Newsroom

Ein Corporate Newsroom bedeutet eine einschneidende Reorganisation. Diese Erfahrung machte die AXA Winterthur bei der Einführung ihres Newsrooms. Die üblichen Funktionen der kanal- und zielgruppenspezifischen Akteure wie Pressesprecherin, Magazin- oder Onlineredakteur wurden bei der AXA genauso abgeschafft wie die Trennung zwischen interner und externer Kommunikation. Die Kommunikationsmitarbeitenden sind jetzt Themen- und Channel-Manager. Während die Themen-Manager Inhalte entdecken, entwickeln und an öffentliche Diskurse anschliessen, sorgen die Channel-Manager für den richtigen Themenmix auf den jeweiligen Kanälen. Damit ist der Newsroom eine logische Folge der integrierten Kommunikation im Zeitalter der Digitalisierung: eine Entwicklung von der Abstimmung innerhalb der Kommunikationsabteilung, bei der bisherige kanalorientierte Strukturen aufgelöst werden. Durch die Bündelung der Aktivitäten und Themen ist es der AXA gelungen, die interne und externe Kommunikation zu intensivieren, die öffentliche Präsenz zu steigern und sich thematisch klarer zu positionieren.

Auf die klassischen Medien kommt ein Umdenken zu

Der Corporate Newsroom in der Organisationskommunikation hat aber auch Konsequenzen für die Arbeit in den Medienredaktionen. Die Journalistinnen und Journalisten in den Redaktionen von Presse, Radio, Fernsehen und Online müssen sich neu grundsätzliche Fragen stellen: Wie soll man als Journalist seine Rolle als meinungsbildende Informationsquelle interpretieren, wenn Unternehmen wie die AXA selbst Kommunikationskanäle nach journalistischen Vorbildern selbst betreiben? Welche Rolle übernimmt der Journalist noch, wenn Spezialisten in Unternehmen Themen entwickeln, die über die eigene Organisation hinaus relevant sind?  Worin liegt in Zeiten von thematisch und handwerklich professionell gestalteten Berichten noch der Mehrwert einer Zeitung oder einer Informationssendung?

Es ist zu erwarten, dass sich die Medienschaffenden vermehrt jenen Storys zuwenden werden, die kontrovers sind, und die klar im Widerspruch zu den Interessen der Organisationen liegen, im Versuch, sich gegen die Vereinnahmung durch die journalistisch organisierten und zumindest scheinbar auch so handelnden PR-Stellen zu wehren. Und ganz einfach, um in Zeiten der organisatorischen und praktischen Annäherung der PR an den Journalismus das Gefühl der journalistischen Unabhängigkeit zu wahren.


IAM live 2016: Corporate Newsroom – Paradigmenwechsel oder Hype?

Dieser Frage widmeten sich Experten am jährlichen Branchenanlass IAM live. In seinem Impulsreferat stellte Dr. Guido Keel vier Thesen auf. Dazu zog er auch aktuelle Ergebnisse einer Umfrage bei, deren Resultate im Juni im IAM Blog publiziert werden. Eine seiner Erkenntnisse:

„Der Newsroom löst Probleme, die sich durch eine veränderte öffentliche Kommunikation ergeben haben, er schafft aber auch neue.“

In der Case Study haben Lorenz Heinzer und Thomas Hügli von der AXA Winterthur über Stolpersteine und Learnings aus der Aufbauphase ihres Corporate Newsrooms berichtet. Beide betonten, dass der Change Prozess nicht unterschätzt werden dürfe. Nichts desto trotz sei der Newsroom das Symbol für moderne, transparente Kommunikation.
In der von Markus Niederhäuser geleiteten Podiumsdiskussion wurde anschliessend unter Berücksichtigung der Erfahrungen aus journalistischen Newsrooms, vertreten durch Martina Fehr (Chefredaktorin Südostschweiz) und der Erfahrung von Christoph Sieder (Head of Corporate Communications, ABB-Konzern), der den Newsroom wieder abgeschafft hat, die Frage des Abends erläutert.


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