Wo Worte Geld bedeuten

Geld schaffen oder vernichten, das können Finanzanalysten mit ihren Texten. Und das geht selbst Finanzmuffel etwas an. Tatsache.

von Marlies Whitehouse, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am IAM

Finanzanalysten sind Berufsschreiber. Ihre Texte können Unternehmen, Wirtschaftszweige und die Wirtschaft überhaupt zum Blühen bringen – oder knicken. Wenn es um Geld geht, wissen Finanzanalysten Bescheid; da greifen sie auf eine fundierte fachliche Ausbildung zurück. Im Gegensatz aber zu ihren schreibenden Kollegen in Journalismus und Organisationskommunikation haben sie während der Ausbildung nicht systematisch gelernt, wie man Gedanken in Texte übersetzt, die bei den Adressaten ankommen wie beabsichtigt. Das beschäftigt nicht nur die Finanzwelt.

Kommunikation mit messbaren Auswirkungen

Die Arbeit von Organisationskommunikation, Journalismus und Finanzanalyse greift stark ineinander. Informiert zum Beispiel ein Energieunternehmen an einer Medienkonferenz über Gewinnzahlen und Entwicklungen, interessiert das Journalisten, aber auch Finanzanalysten und Investoren. Während Journalisten bestrebt sind, gesellschaftlich bedeutsame Sachverhalte darzustellen und einzuordnen, ist das Ziel der Analysten, den Investoren eine konkrete Anlageempfehlung abzugeben. Was natürlich nur funktioniert, wenn die Investoren verstehen können, was die Analysten mitzuteilen haben.

Finanzkrisen und Missverständnisse

Marlies Whitehouse
Marlies Whitehouse, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am IAM

Das Problem verschärft sich in Krisen. Besonders, wenn ein Unternehmen in einer Ausnahmesituation ist, finden die von Analysten aufbereiteten Zahlen und Empfehlungen auch Eingang in die Texte und Berichte der Journalisten. Diese ersetzen und ergänzen mehr und mehr ihre eigene Einschätzung durch die Kommentare von Analysten, weil sie selber oft nicht über eine ausreichende Expertise verfügen. Empfiehlt nun ein Finanzanalyst aufgrund der Informationen an der Pressemitteilung die Wertschriften des Energieunternehmens in seinem publizierten Bericht zum Verkauf und handeln die Investoren danach, kann sich das auswirken auf den Aktienkurs, also auf den Wert des Unternehmens. Und sinken die Kurse von Aktien, in die unsere Pensionskasse oder Versicherung investiert hat, sind letztlich wir es, die Geld verlieren. Dieser Mechanismus greift fatalerweise auch dann, wenn die Adressaten die Texte der Analysten missverstanden haben.

Inter- und transdisziplinär

Wie können Analysten, deren Wort so schwer wiegt, sicherstellen, dass sie verstanden werden? –Wer diese Frage beantworten will, muss inter- und transdisziplinär ansetzen, also Erkenntnisse verbinden aus Finanz- und Sprachwissenschaft sowie aus Forschung und Berufspraxis. Kooperationen und die Vernetzung innerhalb des Feldes und seinen Schnittstellen sind wichtig. Das IAM arbeitet deshalb zum Beispiel mit der Universität Lugano im Master in Financial Communication zusammen oder ist in entsprechenden Organisationen wie der Association for Business Communication (ABC) präsent.

Erfolge in Theorie und Praxis

Wo lange Buchhaltung und Finanzmathematik dominierten, ist heute also auch Angewandte Linguistik gefragt. Der Praxiserfolg dieser Zusammenarbeit zeigt sich zum Beispiel in Schreibcoachings mit Finanzanalysten, in Trainings von Abteilungen der Finanzanalyse und -kommunikation sowie in Organisationsentwicklungsprojekten mit Banken. Der wissenschaftliche Wert des Themas spiegelt sich im Interesse am kürzlich publizierten Call for Papers für eine Spezialausgabe des International Journals of Business Communication, herausgegeben von Rudi Palmieri (University of Liverpool), Daniel Perrin (IAM) und Marlies Whitehouse (IAM).

Marlies Whitehouse untersucht am IAM Texproduktion und Textrezeption mit Fokus auf interkulturelle, fachübergreifende und intralinguale Aspekte an den Schnittstellen von Wirtschaftsjournalismus, Organisationskommunikation und Finanzanalyse. Dabei kombiniert sie ihre langjährige Erfahrung in der Finanzkommunikation und ihre Arbeit als Schreibcoach mit einem transdisziplinären Forschungsverständnis.

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