von Mathias Fürer, Wissenschaftlicher Mitarbeiter IAM
„Dein Zeitungsartikel trifft den Nagel auf den Kopf“, „dein Radiobeitrag holpert ein wenig“, „deine Medienmitteilung passt auf die Zielgruppe wie der Deckel auf den Topf“. Textkritik – auch differenziertere, wenn die Zeit reicht – geben Sie und Ihre Berufskolleginnen und ‑kollegen täglich tausendfach in Redaktionen, Agenturen und Journalismusschulen. Aber wie schreiben Sie einen stimmigen Zeitungsartikel, sorgen dafür, dass Ihr Radiobeitrag nicht holpert, oder texten eine Medienmitteilung, die den Bedürfnissen Ihrer Zielgruppe entspricht? Und was, wenn diese Fragen nicht auf Ihren fertigen Text zielen, sondern darauf, wie er entsteht, Ihren persönlichen Schreibprozess?
Dann sind Sie mitten in der riesigen Blackbox gelandet, in der Schreibprozessforscher und Medienlinguistinnen mit Taschenlampen unterwegs sind. Denn die Erforschung von Schreibprozessen ist komplex. Erstens, weil Schreiben meist ein einsamer Prozess ist und Schreibende viele ihrer Entscheidungen im stillen Dialog mit sich selber treffen. Diesen internen Dialog können Forschende nicht hören und so auch nicht untersuchen. Zweitens ist Schreiben ein dynamischer Prozess und damit flüchtiger als ein statisches Produkt. Wie kann dieser Flüchtigkeit begegnet und der Prozess lückenlos aufgezeichnet werden? Und drittens fallen beim Schreiben Unmengen von Daten an. Ein fertiger Text füllt beispielsweise eine A4-Seite. Was aber füllt der dazugehörige Schreibprozess?
An der IAM-Professur Medienlinguistik nutzen wir die Progressionsanalyse, die Daniel Perrin für reale Schreibsituationen im Berufsalltag entwickelt hat. Wir erfassen die Schreibbiografie (Ausbildung, Erfahrung) und ‑situation (Redaktionsabläufe, Arbeitsroutinen) der Beforschten, zeichnen die Schreibprozesse mit Software auf (Bildschirm, Tastatureingaben, Mausbewegungen), führen den Schreibenden ihren Prozess vor und fragen sie währenddessen nach Begründungen für ihre Entscheidungen beim Schreiben. So entstehen retrospektive Verbalprotokolle, die uns ein Fenster in den Kopf der Schreibenden eröffnen.
Indem wir diese Daten miteinander verbinden, erhalten wir ein vielseitiges Bild des Schreibprozesses und lernen von Journalistinnen und Organisationskommunikatoren, wie sie ihren Schreibfluss steuern – oder dabei scheitern. Wir untersuchen sie auf dem Weg zu stimmigen Zeitungs- und Onlineartikeln, runden Radio- und Fernsehbeiträgen und zielgruppengerechten Medienmitteilungen. So erschliessen wir Schreibstrategien und arbeiten heraus, was für wen unter welchen Umständen funktioniert. Und bringen ein bisschen mehr Licht in die Blackbox des Schreibens.
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