Der Traumberuf Journalismus hat brutale Jahre hinter sich. Darunter haben die Arbeitsbedingungen, die Reputation des Berufs und die Stimmung gelitten. – Zur Diskussion dieser These lud Columni Mitte Mai Rafaela Roth, Reporterin beim Tages-Anzeiger, Aline Wanner, Redaktorin im Ressort Schweiz-Seiten von «Die Zeit», und den freien Journalisten Peter Hossli nach Zürich ein.
von Kathrin Reimann, Redaktorin ZHAW-Impact und IAM-Absolventin (JO08)
Moderator Moritz Kaufmann ging der Frage nach, ob JournalistIn überhaupt noch ein Traumberuf sei. «Ich lese viel guten Journalismus, aber ich verspüre auch eine grosse Depression und höre grosses Gejammer», konstatierte Hossli, der Ringier, wo er Chefautor und Leiter des Autorenpools war, im vergangenen Sommer verliess. Für ihn steht fest, dass zu viel geklagt wird und zu wenig gute Geschichten geschrieben werden: «Journalisten sollen sich auf Geschichten, nicht auf die Rettung der Branche konzentrieren.» Aline Wanner, die für einen deutschen Verlag arbeitet, hält das Jammern für etwas Schweizerisches. «Ich erlebe eine hohe Zufriedenheit und keine selbstzerstörerische Betriebskultur» – die Angestellten arbeiteten gerne für die «Zeit», sagt sie. Und auch Hossli findet: «Uns geht es gut, wir verdienen viel, haben wenig Konkurrenz und leben in einem gut funktionierenden Staat.» Einige Medienhäuser seien eingegangen, doch es gäbe neue Kanäle, um gute Geschichten zu erzählen. «Eines unserer grössten Probleme sind die Hooligans», sagt er.
Auf Du und Du in der Wandelhalle
Davon kann Roth ein Liedchen singen. Die Journalistin wurde nach kritischen Artikeln über FCZ-Ultras bedroht, eine Scheibe wurde bei ihr eingeschlagen und ihre Fassade besprayt. «Das Thema wird schlecht abgedeckt. Die Szene ist stark verbandelt und viele mögen es nicht, wenn man über Gewalt im Umfeld von Fankurven schreibt», sagt Roth. Für Hossli stellt diese Verbandelung in der Schweiz generell ein Problem dar: «Es verhält sich im Fussball ähnlich wie in Bern, in der Wandelhalle sind politische Journalisten und Politiker auf Du und Du.» Ebenso bedenklich ist für ihn die Kultur des Gegenlesens: «Wir geben den Interviewten die Texte freiwillig zum Gegenlesen, in anderen Ländern, etwa den USA, ist so etwas undenkbar!»
Der Moderator spricht auch den Zeitdruck im Journalismus an und wirft die Frage auf, ob Qualitätsjournalismus unter diesen Umständen möglich sei. Hossli stört sich am Ausdruck und sagt, «wenn alle Standards stimmen, können auch kurze und schnell gemachte Beiträge gut sein.» Roth, die bei Watson gearbeitet hat, kennt diese Art Druck gut: «Wenn man unter Zeitdruck steht, muss man sich die nötige Zeit herausnehmen», sagt sie. Sie ist sich sicher, dass der strukturelle Wandel und die Verlagerung ins Internet auch positive Seiten haben: «Mit Klicks erhält man eine grosse Reichweite. Die Kanäle sind vielfältiger geworden und sind nicht so schwer zu bedienen – das schafft neue Möglichkeiten für Journalisten.» Ein grösseres Problem des strukturellen Wandels sieht Hossli darin, dass viele Journalisten einfach wiedergeben würden, was im Internet stehe, und Rudeljournalismus betreiben würden.
Die Sinnfrage stellt sich kaum
Hossli spricht auch das Problem der Gegenöffentlichkeit an, die von Firmen und deren professionellem Storytelling geschaffen wird. «Viele Kollegen in meinem Alter wechseln zu solchen Firmen oder in die Verwaltung», sagt er. Denn diese hätten Budget, investierten viel Geld für Artikel, Reisen oder für gute Fotografie.
Wanner ist der Ansicht, dass Verlagshäuser ebenso viel Geld investieren sollten wie Firmen oder die Verwaltung, denn «gute Journalisten brauchen Zeit zum Recherchieren und zum Nachdenken.» Für sie ist klar, dass sie den Traumjob Journalistin noch lange ausüben will. Hossli bezeichnet sich als Reporter und Geschichtenerzähler und sagt: «Ich wüsste nicht, was ich sonst machen sollte. Ich kann nichts anderes.»
Roth stellt fest, dass man als Journalistin viel Kraft braucht und ausgesetzt ist. «Man muss gegen innen und gegen aussen kämpfen, aber es lohnt sich: Man hat die Kraft etwas zu verändern und muss sich sicher nie nach dem Sinn seiner Arbeit fragen.»
Die Diskussion, bei der viele Themen angeschnitten wurden und an der sich auch das Publikum rege beteiligte, zeigte, dass JournalistIn trotz des strukturellen Wandels ein erstrebenswerter Beruf ist. Guter Journalismus ist möglich, vieles kann und soll noch aufgedeckt und erreicht werden. Wichtig dabei ist, dass der richtige Fokus gesetzt wird und sich JournalistInnen nicht vor neuen Kommunikationskanälen scheuen.
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