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Ein Blog der ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften

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Identitätsmanagement im Holacracy-Unternehmen

Posted on 27. Oktober 2017 by harz

Reputationsmanagement ist Identitätsmanagement: Seit Jahren untersuchen wir an der ZHAW, wie es Unternehmen gelingt, ihre Reputation über die Arbeit an der eigenen Identität positiv mitzugestalten. Diesmal galt unser Interesse dem Web-Applikationsentwickler Liip, einem Unternehmen, das sich dem gerade sehr angesagten Holacracy-Modell verschrieben hat. Wie funktioniert Identitätsmanagement in einem Unternehmen mit hoher Selbstbestimmung der Mitarbeitenden?

von Prof. Dr. Nicole Rosenberger, Professorin für Organisationskommunikation und Management, und Markus Niederhäuser, Leiter Weiterbildung, beide am IAM

Klassische Unternehmen führen topdown: Entscheide werden zentral getroffen und von oben nach unten durch- und umgesetzt. Die fortschreitende digitale Transformation, aber auch die sich im Arbeitsmarkt etablierenden Generationen Y und Z mit anderen, neuen Ansprüchen und Werten verlangen von den Unternehmen ein Umdenken. Das Organisationsmodell Holacracy ist eine mögliche Antwort auf diese beiden Herausforderungen. Grosse Unternehmen wie Swisscom oder Oerlikon experimentieren derzeit mit dem Modell. In der von Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Vieldeutigkeit geprägten digitalen Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft, der sogenannten VUCA-Welt, müssen Unternehmen agiler, innovativer und kundenzentrierter werden. Neue Organisationsmodelle sollen dies ermöglichen. Nicht zuletzt sind sie aber auch ein starkes Signal an den Arbeitsmarkt: Wir sind veränderungswillig und damit zukunftsfähig. Neben grossen Traditionsunternehmen setzen aber auch schnell gewachsene Start-Ups wie beispielsweise Freitag oder Liip auf die neue Organisationsform.

Mitarbeitende im Zentrum
Liip ist ein schweizweit tätiges Unternehmen für Web-Applikationsentwicklung mit rund 150 Mitarbeitenden an fünf Standorten. Seit 2016 setzt Liip auf das Organisations- und Managementmodell Holacracy. Trotz Dezentralisierung von Autorität und Entscheidungen und hoher Selbstbestimmung der Mitarbeitenden gelingt es Liip, eine klar konturierte Unternehmensidentität zu formen. Wie?

Gerhard Andrey, einer der Gründer und Partner von Liip.

Im Experteninterview mit Gerhard Andrey, einem der Gründer und Partner von Liip, und dem Marketingverantwortlichen Philipp Egli, wird deutlich: Zentraler Bezugspunkt für alle Liip-Mitarbeitenden sind die Mission und die Werte der Firma. Eine formulierte Strategie existiert nicht. Damit stehen nicht Business-Pläne, sondern die Menschen im Mittelpunkt: Wenn sich alle an den definierten Werten ausrichten, dann kann auch der Unternehmenszweck erfüllt werden: glückliche Mitarbeitende, glückliche Kunden, gesunde Finanzen.

Entscheidungen mit Umkehr der Beweislast
Holakratisch organisierte Unternehmen arbeiten mit Kreisen (Circles) und Rollen (Roles), die selbstbestimmt handeln können. So auch bei Liip: Jeder Kreis und jede Rolle hat einen Zweck (Purpose), Verantwortlichkeiten (Accountabilities), Domains und Policies. Diese Eckwerte sind detailliert dokumentiert und für alle Mitarbeitenden transparent einsehbar.

Der vielleicht wichtigste Unterschied zwischen holakratisch und traditionell geführten Organisationen liegt an der Art und Weise, wie Entscheidungen gefällt werden. Bei Liip kann jeder Mitarbeitende einen Veränderungsvorschlag in seinen Kreis einbringen. Sei es, dass er eine neue gute Idee hat oder dass er mit einem Vorgang nicht einverstanden ist bzw. – holakratisch ausgedrückt – sich in einem Spannungszustand befindet («Tension»). Der Mitarbeitende muss nicht wie in klassischen Unternehmen beweisen, dass seine Idee grossen Nutzen und Mehrwert schafft. Es gilt die Umkehr der Beweislast: wenn niemand beweisen kann, dass der Vorschlag dem Unternehmen schadet, dann wird er umgesetzt. Dieser Entscheidungsmechanismus führt zu vielen und raschen Veränderungen an der Organisationsbasis. Dadurch verändert sich die Identität von Liip laufend, ohne dass Top-down-Prozesse initiiert werden müssen. 


Über Mission und Werte reden
Liip verfügt zur Zeit nicht über ein verschriftlichtes Kommunikationskonzept. Die grundlegende Kommunikationsstrategie besteht im Verbreiten der Corporate Story, des Identitätskerns von Liip. Die Mission, die Werte und neu auch das Managementmodell Holacracy formen sich zu einer Liip-Story, die grosse mediale Aufmerksamkeit geniesst. Storyteller sind die sogenannten Evangelisten («Liip Teal and Agile Evangelist»), vornehmlich Gründungsmitglieder des Unternehmens, die Vorträge halten und Interviews geben.

Wie schafft es Liip, bei aller Dezentralität und Autonomie der einzelnen Rollen und Kreise, gegen aussen ein konsistentes Bild zu vermitteln? Durch den konsequenten Bezug aller Identitätsdimensionen (Leistungsangebot, Verhalten, Symbole und Kommunikation) auf die Mission und die Werte des Unternehmens spiegelt sich in jedem Kreis und sogar in jeder Rolle die ganze Organisation. Jeder Kreis stellt so etwas wie ein kleines Unternehmen dar, mit der DNA der Gesamtorganisation imprägniert. Dies erlaubt eine Skalierung der bestehenden Leistungsangebote in grösserem Stil, ohne die Identität des Unternehmens zu verwässern.

Hier geht es zur vollständigen Fallstudie von Liip und weiteren Fallbeschreibungen.  


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  • Offen, schnell und dialogisch
  • Vom Gründer zum Mentor
  • Mit Geschichten Identität prägen und Vertrauen fördern

Übersetzen im globalen Nachrichtenfluss

Posted on 23. Oktober 2017 by harz

Nachrichten gehen um die Welt – oder bleiben hängen im Netz. Im Zusammenspiel von Massenmedien und sozialen Medien können sich Kommunikationsangebote fast beliebig rasch und fast überall ausbreiten. Kommunikationstechnologie stellt also keine Barriere mehr dar. Da zeigt sich immer deutlicher, wie stark Sprachen und Kulturen den Nachrichtenfluss stauen und filtern. Wer bei wem Gehör findet, ist wesentlich eine Frage der Sprache.

Warum stehen Jugendliche in Brasilien auf japanische Fantasiegeschichten mit einem Schuss Gesellschaftskritik? Welche Argumente und Kommunikationsstrategien überzeugen im Diskurs zum Atomausstieg in der Schweiz, welche fallen durch? Wann werden Nachrichten in China oder im Iran von Zensur unterdrückt? Was wird zum Quote in Massenmedien und Social Media? – Immer zeigt sich: Kommunikationserfolg hängt davon ab, wie man es sagt und schreibt.

Diesen Einfluss von Sprache und Kommunikationskultur haben Forschende am Weltkongress der AILA (International Association of Applied Linguistics) in Rio de Janeiro diskutiert. Die Beiträge im Symposium des AILA-Forschungsnetzwerks Medienlinguistik zeigten, wie stark und implizit Sprache und Kultur beeinflussen, was wir wissen von der Welt, und wie sich die globale Wissenstransformation über Sprach- und Kulturgrenzen hinweg verbessern lässt. 

Kurzfassungen der Beiträge sind als Pechakucha-Präsentationen auf Youtube abrufbar. Die Hintergründe zum Zusammenspiel von Sprache und Medien leuchtet das Routledge Handbook of Language and Media aus, das wesentlich von Mitgliedern des AILA Forschungsnetzwerks Medienlinguistik verfasst worden ist. Vom IAM am Symposium und am Handbuch mitgewirkt haben Aleksandra Gnach, Marlies Whithehouse und Marta Zampa.





Mehr zur AILA 2017

  • Die Sprache der Zahlen

And The Winnerin Is…

Posted on 18. Oktober 2017 by harz

Als ich im Büro in der Kaffeepause beiläufig erwähnte, dass mir ein Wochenende mit der Lektüre von drei Masterarbeiten bevorstehe, erntete ich mitleidige Blicke. Jemand fragte nach den Themen der Arbeiten und ich nannte Reputationsmanagement, Behördenkommunikation und Abstimmungskampagnen von Interessenverbänden.

von Stefan Hostettler, Stellvertretender Generalsekretär, Eidg. Justiz- und Polizeidepartement EJPD und MAS-Absolvent

Die Arbeiten sind im Rahmen des MAS in Communication Management and Leadership entstanden und ich wurde von der Studiengangleitung angefragt, bei der Auswahl der besten Leistung mitzuhelfen. Obwohl ich es zu Beginn als Pflichtlektüre empfand, bereue ich die investierten Stunden nicht. Im Gegenteil. Auf diesem Weg Einblick in die aktuellste Literatur und Forschung in der Kommunikationswissenschaft zu erhalten, war eine wahre Bereicherung.

Dass es kein Gewinner, sondern eine Gewinnerin sein würde, war von Beginn weg klar: Drei weibliche MAS-Absolventinnen standen auf die Shortlist. Wie wählt man aus drei ausgezeichneten Masterarbeiten die beste aus? Die Entscheidung war gar nicht so einfach, weil Sandra Eichenberger, Katharina Weber und Rebekka Colacicco gleichermassen spannende und interessante Untersuchungen* präsentieren konnten. Dennoch kann es nur eine Siegerin geben.

Was gab schliesslich den Ausschlag? Die Masterarbeit von Rebekka Colacicco über das Reputations- und Issues Management von Hochschulen stach einerseits durch den logischen Aufbau, einen ausgezeichneten Sprachstil sowie eine gute Leserführung heraus. Sie hat überzeugend dargestellt, wie die Hochschulen zwar ihrer Reputation grosse Bedeutung beimessen, aber gleichzeitig heikle Issues wie die finanzielle Transparenz tendenziell unterschätzen. Insbesondere gefiel auch die persönliche Reflexion der Autorin: Aufgrund der gemachten Erfahrungen wurde die Methodik systematisch hinterfragt und Verbesserungsvorschläge für eine nächste Arbeit dargelegt.

Stefan Hostettler überreicht Rebekka Colacicco den Columni-Check, der Preis für die beste MAS-Abschlussarbeit 2017 (Foto: Filip Dingerkus)

Als Mitglied der diesjährigen Jury durfte ich an der Diplomfeier nicht nur die Laudatio halten, sondern auch den Hauptgewinn in Form eines Checks im Wert von 1000 Franken – gesponsert von der Alumni-Organisation des IAM Columni – überreichen. Ich war dabei ebenso nervös, wie die drei Kandidatinnen der Shortlist. Das kann ich beurteilen, da ich als MAS-Absolvent im Vorjahr selbst in der gleichen Rolle war. Als alle Masterdiplome verteilt und die Leistungen der diesjährigen Absolventinnen und Absolventen von Annette Pfizenmayer und Markus Niederhäuser persönlich gewürdigt worden sind, durfte mit dem Nachtessen der gemütliche und lockere Teil der Diplomfeier eingeläutet werden, der für die letzten Gäste deutlich nach Mitternacht endete.

Was sind meine Erkenntnisse eines Abends mit alten CAS-Kolleginnen und Kollegen, mit vielen Anekdoten aus Beruf und Studium sowie den obligaten Gruppen-Selfies mit dem Egoshooter? Erstens: Man trifft sich viel zu selten in einem solchen Kreis, denn das Spass- und Kreativitätspotenzial ist fast unerschöpflich. Zweitens: Je später der Abend, desto wilder die Fotos. Drittens: Die Lektüre von Masterarbeiten hat zu unrecht einen schlechten Ruf. Das geballte Wissen, das in Masterarbeiten zusammengetragen wird, ist sehr gewinnbringend für Studierende, Kommunikationsfachleute und interessierte Laien und sollte öfters den Weg in die Praxis finden.


*Die drei MAS-Abschlussarbeiten der Shortlist

  • Colacicco, Rebekka: Reputationsmanagement und Issues Management an Schweizer Hochschulen
  • Weber, Katharina: Evaluation in der Behördenkommunikation
  • Eichenberger, Sandra: Einsatz und kommunikative Absichten von Schweizer Interessenverbänden auf Facebook vor der Abstimmung zu „Grüner Wirtschaft“ vom 25. September 2016

Mehr zu diesem Thema

  • Magische Momente und ein Diplom fürs Leben

Die Eisbrecherin

Posted on 27. September 2017 by harz

Sandra Nast hat 2016 den Master in Organisationskommunikation an der ZHAW abgeschlossen und unterrichtet heute minderjährige Asylsuchende in Bern. Warum ihr die interkulturelle Kommunikation am Herzen liegt und welche Erkenntnisse aus dem Studium ihr im Berufsalltag am meisten helfen – darüber sprach sie mit ihrem ehemaligen Kommilitonen Christopher Onuoha.

von Christopher Onuoha, Mitarbeiter Kommunikation und Eventmanagement am IAM

Sandra Nast weiss, wie es ist, wenn man sich fremd fühlt an einem neuen Ort. Als sie im Juni dieses Jahres in Addis Abeba ankam, sei ihr alles sehr neu und ungewohnt vorgekommen, erzählt sie – die Gerüche, die Geräusche und die Farben dieser afrikanischen Millionenstadt. Irritiert habe sie aber vor allem etwas anderes, nämlich die Blicke der Einheimischen, die sie als blonde Europäerin teilweise unverhohlen anstarrten. Anfangs sei ihr etwas unwohl gewesen, sagt sie, dann aber habe sie einen Schritt auf die Menschen zu gemacht und immer wieder jemanden mit einem herzlichen „Salam nu“ gegrüsst. Die Wirkung dieses „Grüezi“ auf Amharisch sei erstaunlich gewesen: Die anfängliche Skepsis in den Gesichtern der Kinder, Frauen und Männer sei mit einem Mal einem Lächeln gewichen. Ein Satz in der Muttersprache der Menschen hatte genügt, und das Eis war gebrochen.

Vielseitig engagiert
Die verbindende Wirkung von Kommunikation fasziniert Sandra Nast. Bei all ihren beruflichen Engagements, so sagt sie, gehe es letztlich darum, durch Kommunikation Missverständnisse und Barrieren zwischen unterschiedlichen Sprachen und Kulturen zu überwinden. Aktuell tut sie dies unter anderem als Lehrperson für unbegleitete minderjährige Asylsuchende. Sie unterrichtet die Jugendlichen, die ohne ihre Eltern in die Schweiz geflüchtet sind, nicht nur in Deutsch, sondern bringt ihnen auch die Schweizer Kultur näher.

„Sprache und Kultur sind ohnehin untrennbar miteinander verbunden und bedingen einander gegenseitig“

sagt sie. Einfach sei die Arbeit mit den Jugendlichen nicht, gerade weil viele von ihnen aufgrund des Fluchttraumas unter Konzentrationsstörungen leiden würden. Gleichzeitig sei die Arbeit unglaublich bereichernd. Diese Menschen zwischen 15 und 17 Jahren, so sagt sie, hätten auf ihrer Flucht und davor schon so viel erlebt und so viel zu erzählen, dass sie selbst von den Jugendlichen mindestens so viel lernen könne wie diese von ihr.

Es kann durchaus vorkommen, dass Sandra Nast morgens im Asylheim unterrichtet und nachmittags mit ranghohen DiplomatInnen an einem Tisch sitzt. Denn auch das gehört zu ihren beruflichen Engagements: Coachings zur Sprach- und Kulturvermittlung mit Expats und DiplomatInnen. Eigentlich gehe es dabei um nichts anderes als bei der Arbeit mit den Jugendlichen, sagt sie: nämlich ihren Gesprächspartnern die Schweizer Kultur näherzubringen, wozu auch die hoch- bzw. schweizerdeutsche Sprache gehöre. In den Coachings richte sie sich – genau wie beim Unterricht der minderjährigen Asylsuchenden – ganz an den Bedürfnissen ihres jeweiligen Gegenübers aus. So könne es in einer Sitzung um die Besprechung eines Buchs gehen, genauso aber um ein Rollenspiel oder eine hochpolitische Diskussion. Je nachdem, was bei ihrem Gegenüber gerade anstehe. Gerade wenn man mit so unterschiedlichen Gruppen zusammenarbeite, sei eine zielgruppengerechte Ansprache entscheidend, sagt Sandra Nast, man brauche ein Gespür dafür, was die andere Person versteht und was ihre Bedürfnisse sind. Dieser Aspekt sei ihr nicht nur auf Reisen und im Beruf, sondern vor allem auch während ihres Masterstudiums in Organisationskommunikation bewusst geworden, so Nast.

Sandra Nast (in der Mitte), Absolventin Masterstudiengang Angewandte Linguistik, Vertiefung Organisationskommunikation an der ZHAW

Eine Herzensangelegenheit
Ein Engagement, das Sandra Nast besonders am Herzen liegt, ist die Arbeit für „Sport – the Bridge“ eine gemeinnützige Organisation, die sich in Addis Abeba für Strassenkinder einsetzt und auch in der Schweiz wohltätige Projekte durchführt. Vor Kurzem reiste sie nach Äthiopien, um den Verein einen Monat lang vor Ort zu unterstützen. Hier führte sie Workshops in kreativem Unterrichten für die lokalen Mitarbeitenden durch und gab den Strassenkindern Bastel- und Malunterricht. Neben vielem anderem hätten sie vor allem das Engagement und die Kreativität der lokalen Mitarbeitenden beeindruckt, sagt Sandra Nast rückblickend, und erinnert sich: „auch ich hatte mir damals angewöhnt, jede leere WC-Rolle und jede PET-Flasche aufzuheben, weil ich wusste, dass man daraus noch etwas basteln kann.“ Ihre Begeisterung für das Projekt, das auf die gesellschaftliche Wiedereingliederung der Strassenkinder zielt, ist in jedem ihrer Sätze spürbar und es ist ihr ein Anliegen, darauf hinzuweisen, dass der Verein auf Spenden angewiesen ist und sich über jede Unterstützung freut.

Organisationskommunikation als interkulturelle Verständigung
Sandra Nasts Antwort auf die Frage, was ihr der Master in Organisationskommunikation für ihre vielseitigen beruflichen Tätigkeiten gebracht habe, lässt nicht lange auf sich warten. Besonders profitiert habe sie vom Rahmenstudium, sagt sie, wie etwa von der angewandten Linguistik oder dem Fach mehrsprachige Kontexte. Diese Fächer hätten ihr ein vertieftes Verständnis davon vermittelt, wie Sprache im Zusammenspiel mit Kultur funktioniert, und sie habe gerade im Hinblick auf ihre Muttersprache Deutsch ein solides theoretisches Fundament erhalten. Bei der Arbeit mit Menschen aus anderen Kulturkreisen sei es besonders wichtig, sich der eigenen Sprache und Kultur bewusst zu sein, sagt sie.

Ausserdem, sagt Sandra Nast, profitiere sie heute vom Storytelling-Ansatz, den sie im Masterstudium kennengelernt habe. Organisationen vermitteln ihre Anliegen oft in Form von Geschichten, da diese eingängiger sind und die Botschaften besser auf den Punkt bringen. Auch in Sandra Nasts Tätigkeiten geht es um Storytelling, ob sie nun mit den jugendlichen Asylsuchenden, mit den Strassenkindern in Äthiopien oder mit Expats arbeitet. Im Detail funktioniert es zwar etwas anders als in der Organisationskommunikation, aber das Prinzip ist dasselbe: Bei allen drei Gruppen vermittelt sie wichtige Einsichten mit Hilfe von Geschichten. Ein Beispiel dafür sei der Unterricht in Äthiopien gewesen, der stark auf Sportpädagogik sowie auf Geschichten basiert habe. Einmal habe es etwa ein Fussballspiel gegeben, bei dem ein Team aus neun und das andere Team aus sieben Strassenkindern bestanden habe. Nach dem Spiel habe man dann im Unterricht darüber diskutiert, warum das Spiel nicht fair gewesen sei, und habe die Situation auf den Alltag übertragen. Derartiges Storytelling, sagt sie, habe ihr in Äthiopien geholfen, den Draht zu den Kindern zu finden und die kulturellen Unterschiede zu überwinden.

Auch die Fähigkeit, konzeptionell und strategisch zu denken, habe sie sich im Wesentlichen während des Masterstudiums angeeignet, sagt Sandra Nast. Besonders wertvoll sei für sie zudem gewesen, dass das IAM die Rahmenbedingungen dafür schafft, dass die Masterstudierenden ein Semester im Ausland absolvieren können. Sie selbst hat diese Möglichkeit für einen sechsmonatigen Aufenthalt in Buenos Aires genutzt. Im Gespräch mit Sandra Nast wird klar, dass sie sich nach Abschluss des Masterstudiums keineswegs von der Organisationskommunikation abgewendet hat. Vielmehr hat sie sich spezialisiert – und zwar auf die Organisationskommunikation als Mittel der interkulturellen Verständigung.

Fremde sind Freunde, die man noch nicht kennt
Wenn Sandra Nast mit einer Gruppe von jugendlichen Asylsuchenden das Ankunftszentrum verlässt und mit ihnen über die Trottoirs einer ländlichen Berner Gemeinde geht, kann es durchaus vorkommen, dass Passanten ihnen fragende Blicke zuwerfen. Sobald die Jugendlichen aus Syrien, Afghanistan und Ostafrika die Vorbeigehenden aber mit einem waschechten „Grüessech“ grüssen, wie sie es von Sandra Nast gelernt haben, ist auch hier das Eis gebrochen. „Fremde sind Freunde, die man noch nicht kennt“ – davon ist Sandra Nast überzeugt. Und wie soll man sie je kennenlernen, wenn nicht über Kommunikation?


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  • Infos zum Masterstudiengang Angewandte Linguistik, Vertiefung Organisationskommunikation, ZHAW
  • Infos zum Bachelor Kommunikation, Vertiefung Journalismus und Organisationskommunikation, ZHAW

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Von der Radio-Praktikantin zur TV-Produzentin

Posted on 22. September 2017 by harz

Beim Radio hat Alexandra Kunz schon vor dem Studienantritt gearbeitet – als Praktikantin bei Radio Zürisee. Während des Studiums war sie dann freie Journalistin bei der Zürichsee Zeitung. Ihr Ziel war klar: Mit dem Bachelorabschluss in der Tasche als Radioreporterin durchstarten.

von Deborah Harzenmoser, Onlinekommunikation IAM

Um diesem Wunsch einen Schritt näher zu kommen, hat sie im Praxissemester im zweiten Studienjahr ein Praktikum als Reporterin bei RTL in München absolviert. Ein Glücksgriff, wie sich später herausstellte. Spätestens während dieser Zeit hat sich ihr Traumberuf gefestigt: Sie wollte unbedingt beim Radio bleiben und als Reporterin und News Ankor arbeiten. Die Stellen sind rar, das ist sie sich bewusst. Doch sie ist überzeugt, dass es irgendwie klappen wird. Sie scheint Glück zu haben: Gegen Ende des Studiums wird bei Radio 24 eine Stelle frei.

„Mach dir keine Hoffnungen.“, sagen Berufskolleginnen und Kommilitonen. Radio 24 sucht nach JournalistInnen mit gestandener Berufserfahrung, sie stellen keine Absolventen ein. Alexandra Kunz lässt sich davon nicht abschrecken. Sie schickt eine Blindbewerbung und hängt die Referenz vom Radio Zürisee an. Die Redaktion ist begeistert von ihrem guten Hochdeutsch, das sie aus München mitgebracht hat. Sie erhält die Stelle als Reporterin. Wie stolz sie war, gleich bei der Nummer 1 in Zürich einsteigen zu können! Sie lächelt strahlend bei der Erinnerung daran und schlägt locker die Beine übereinander.

„Die elektronischen Medien sind schnelllebig und dynamisch.“ Das fasziniert Alexandra Kunz an ihrem Beruf.

„Wenn etwas passiert, dann muss der Beitrag innert 30 Minuten auf Sendung gehen, nicht erst am nächsten Tag.“,

erklärt sie. Das Team, das Umfeld und das Medium gefallen ihr, sie ist gern Reporterin. Doch bald wird ihr klar, dass sie die Jobs hinter dem Mikrophon eigentlich spannender findet. Bewusst wurde ihr das während der Einsätze als Tagesleiterin bei Radio 24. In dieser Funktion ist man verantwortlich für die Planung der grossen Ereignisse, wie zum Beispiel dem „Sächsilüüte“ in Zürich. Man arbeitet im Hintergrund, hat die Fäden in der Hand, gestaltet das inhaltliche Konzept und schickt dann ReporterInnen los für die Berichterstattung. Als Tagesleiterin entschied Alexandra Kunz auch, welche O-Töne in die News kommen, wählte Zitate aus und segnete die Beiträge ab. Schnell war ihr klar, dass sie sich in diesem Bereich weiterentwickeln wollte. Nächster Berufswunsch: Produzentin beim Fernsehen.

„Viele Möglichkeiten dafür gibt es in der Schweiz nicht“, sagt Alexandra Kunz nüchtern. Der Markt ist bekanntlich klein. Aber wie bei der Jobsuche nach dem Studium lässt sie sich nicht beirren. Sie erzählt ihren Freundinnen und Berufskollegen von ihren Plänen und nur kurze Zeit später klingelt das Telefon. Eine Kollegin bietet ihr die Stelle als Video-Journalistin bei Tele Züri an. Alexandra Kunz lehnt dankend ab, bemerkt aber lachend, dass sie eine Stelle als Produzentin sofort antreten würde. Nur zwei Wochen später kommt ein Anruf der gleichen Kollegin: Es sei soeben eine Stelle als Produzentin frei geworden! Alexandra Kunz war zu diesem Zeitpunkt in den Ferien in Italien. Doch sie wusste, ihre Chance war gekommen: „Jetzt muss ich Gas geben“. Sie beginnt sofort zu tippen und schickt die Bewerbung noch am selben Tag raus. Sie erhält die Einladung zum Bewerbungsgespräch, der Funke springt und sie erhält den Job. Seit bald drei Jahren ist sie nun Produzentin der Sendung Talk Täglich, dem Astro Talk und dem Sommer Talk bei Tele Züri.

An ihrem Job mag sie besonders den Adrenalin-Kick bei kurzfristigen Änderungen aufgrund von Geschehnissen und die Aussenproduktionen. Talk Täglich tourt während fünf Wochen im Jahr durch die Schweiz und porträtiert Personen aus der Gesellschaft. Da komme neben der sorgfältigen inhaltlichen Planung auch sehr viel Organisation dazu. „Mich fasziniert, wie hoch der technische Aufwand für so eine 25-Minütige Sendung ist.“ Das Aussuchen der Drehorte, zum Beispiel. Oder die unglaubliche Anzahl Kabel-Meter, die für ein Aussenset verlegt werden müssen. Vom Stromanschluss über Kamerapositionen und dem Schlechtwetterprogramm bis hin zur inhaltlichen Konzeption der Produktionen – die komplette Organisation liegt bei Alexandra Kunz. Sie schätzt die Abwechslung zu den Büroaufgaben sehr und auch die Verbindung zum Reporterinnen-Dasein aus ihren Anfangszeiten. Aber vor allem, „weil ich dann mit einem Clipboard herum laufen kann“, schmunzelt sie.

Zu ihrem Job-Glück sagt sie: „Die elektronischen Medien sind in der Schweiz eine winzige Branche. Jeder kennt jeden. Das Netzwerk aus Studienzeiten habe ihr stark geholfen, in der Branche Fuss zu fassen. Darum rät sie den Studierenden am IAM:

„Arbeitet während des Studiums. Es ist sehr wichtig, sich ein Netzwerk aufzubauen.“

Abgesehen vom Netzwerk hat Alexandra Kunz auch wertvolle inhaltliche Aspekte aus ihrem Studium am IAM mitgenommen. Besonders in Erinnerung geblieben sind ihr die Praxis-Werkstätten. „Da habe ich zum Beispiel gelernt, was der Unterschied zwischen Recherchefragen und Interviewfragen sind.“ Es ist ein Tipp, den sie heute an ihre Praktikanten weitergibt: Recherchefragen stellt man immer im Off.

Auch von den Stand-up-Werkstätten, die Bestandteil des Studiums am IAM sind, profitiert Alexandra Kunz noch heute. „Besonders in Erinnerung geblieben ist mir, dass die Kamera Haut mag und der Hals bei Shootings nie bedeckt sein sollte. Darum habe ich für das Foto heute auch die obersten zwei Knöpfe meiner Bluse geöffnet.“ gesteht sie lachend.

Das Studium habe sie aber auch gemacht, weil sie einen Hochschulabschluss in der Tasche haben wollte. Die Berufsfelder im Journalismus und in der Kommunikation hätten sich merklich professionalisiert und sie wollte sicherstellen, dass sie sich im Beruf weiterentwickeln und Karriere machen könne. „Das Studium war für den Berufseinstieg entscheidend. Danach zählt die Berufserfahrung fast mehr – zumindest im Journalismus“. Der Studienabschluss würde ihr beim Seitenwechsel in die Kommunikation sicher wieder in die Hände spielen. Ein Schritt, den sie nicht ausschliesst.

Wo sie sich selbst in zehn Jahren sieht, kann Alexandra Kunz nicht sagen. Wer weiss, was in Zukunft passiert? „Es gibt so viele Möglichkeiten.“ Vielleicht bleibe sie in der Produktion und arbeite mal für eine Produktionsfirma für Imagefilme oder Werbung. Sie kann sich aber auch vorstellen, dass sie plötzlich im Bundeshaus als Journalistin landet. Den CAS Politische Kommunikation am IAM hat sie in diesem Zusammenhang bereits absolviert. Konkret könne sie aber nichts sagen. Bisher hätte sich alles von selbst ergeben, sobald die Zeit reif war. Sie vertraut darauf, dass es auch in Zukunft so sein wird.

*Alexandra Kunz schloss das JO-Studium 2011 ab.


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Die Sprache der Zahlen

Posted on 17. September 2017 by harz

Sprache und Zahlen sehen viele als Gegensatz: hier die Sprach-, dort die Zahlenmenschen. Die einen reden und schreiben, die anderen rechnen und zeichnen Grafiken. In der Wirtschafts- und Finanzkommunikation aber greifen diese Zeichenwelten eng ineinander.

von Marlies Whitehouse, Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Generalsekretärin am Departement Angewandte Linguistik der ZHAW

Da fast alle beruflich und öffentlich verhandelten Themen auch mit Zählbarem, mit Ressourcen, mit Geld zu tun haben, prägt das Zusammenspiel von Wörtern, Bildern und Zahlen relevante Diskurse. Und das geht ans Lebendige.

Ein Beispiel: Wer nicht versteht, was die Medien über die Wirtschaft berichten und was die Finanzwelt selbst mitteilt und worüber sie schweigt, verpasst Chancen, aus seinem Geld das Beste zu machen. Das gilt nicht nur für Anleger, das gilt für alle. Geld brauchen wir alle zum Leben, auch bei Krankheit und im Alter, wenn kein Lohn mehr fliesst. Wer nicht haushalten kann, ist nicht nur selbst arm dran, sondern fällt auch der Gemeinschaft zur Last. “Financial Illiteracy”, die Unfähigkeit, Finanzzusammenhänge zu verstehen, kommt die Gesellschaft teuer zu stehen.

Wie also die Zahlen und Wörter in der Wirtschafts- und Finanzkommunikation ineinander greifen und wie das Zusammenspiel verständlicher gestaltet werden kann, hat ein Symposium am Weltkongress der AILA (International Association of Applied Linguistics) in Rio de Janeiro gezeigt: “The language of numbers. Understanding financial communication from an applied linguistics perspective”. Forschende aus Europa, den USA und Lateinamerika haben sprach- und finanzwissenschaftliche Perspektiven diskutiert und Ansätze für eine weitere Zusammenarbeit festgelegt.

Diese Zusammenarbeit soll nun systematisch fortgesetzt werden, in einem neuen AILA-Forschungsnetzwerk zu Sprache und Multimodalität in der Finanzkommunikation. Beteiligt als Gründungsmitglieder sind 36 ExpertInnen aus 15 Ländern. Sie arbeiten an Hochschulen, in der Sprach- und der Finanzwirtschaft sowie in Institutionen von Forschung und Entwicklung wie etwa dem Xerox Research Centre Europe.


Vom IAM mitgewirkt am Symposium hat Marlies Whitehouse, die auch das Forschungsnetzwerk gründet, zusammen mit Alexander Laskin (US) und Rudi Palmieri (UK).




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Die mediale Service Public-Debatte: Ein Bärendienst für die Demokratie

Posted on 11. September 2017 by harz

Die andauernde Debatte um die Reform des medialen Service Public in der Schweiz ist hauptsächlich eine ökonomische und rechtliche. Publizistische Aspekte sind zweitrangig. Ausserdem wird die gesellschaftliche Medienkompetenz und das Medienvertrauen im Diskurs bisher nur wenig gefördert. Dies zeigt eine Studie des Instituts für Angewandte Medienwissenschaft der ZHAW in Winterthur.

von Mirco Saner, Wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Forschungsschwerpunkt Journalistik des IAM

Der mediale Service Public als Geschäft

Die erste Freiheit der Presse besteht darin, kein Gewerbe zu sein, hielt Karl Marx einst fest. Seit gut zwei Jahren dauert in der Schweiz eine intensive Debatte rund um die wohl grösste Umgestaltung des medialen Service Public seit seiner Einführung an. Ihre Protagonisten sind die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft SRG, der Verlegerverband VSM als Vertreter der Privatmedien sowie die nationale Medienpolitik. Beherrscht wird die Diskussion von Streitigkeiten über Finanzmittel, Markteinfluss, Machtausbau und medienrechtliche Regulierung. Dies zeigt eine Inhaltsanalyse von rund vierhundert medienkritischen Online-Beiträgen zur Deutschschweizer Service Public-Debatte im ersten Quartal 2016. Ein Befund, der auf zweierlei Entwicklungen in der Medienbranche hindeutet. Erstens: Journalismus wird in erster Linie als Geschäft verstanden. Zweitens: Die Verlegersorgen um das Weiterbestehen der eigenen Unternehmen sind ein Grundmotiv im medienkritischen Diskurs.

Service Public und Medienkritik
Der Service Public wie er national von der SRG und regional von privaten Radio- und Fernsehsendern übernommen wird, bildet einen Grundpfeiler des westlichen Journalismusverständnisses. Er beschreibt den in der Verfassung festgehaltenen Auftrag an die Massenmedien, die Bevölkerung sachgerecht zu informieren, zur Bildung, zur Meinungsvielfalt und zur kulturellen Entfaltung beizutragen sowie den vier Sprachregionen trotz aller Unterschiede ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu vermitteln. Inwiefern die Massenmedien diesen demokratierelevanten Auftrag erfüllen, muss im Rahmen einer öffentlich sichtbaren Medienkritik diskutiert werden, an der sich neben der Medienpolitik möglichst viele Akteure innerhalb und ausserhalb der Medienbranche beteiligen sollten. Eine breitabgestützte, fortwährende Beobachtung und Bewertung medialer Leistungen erlauben es, langfristige Veränderungen in der Medienbranche wahrzunehmen, die über das Fehlverhalten gewisser Sendeformate oder die persönliche Meinung einzelner Protagonisten hinausgehen.

Medienkritik als Luxusprodukt
Untersucht wurden während dreier Monate insgesamt 185 Medientitel der Massenmedien sowie Publikationen weiterer hundert Fachakteure, die sich mit dem medialen Service Public auseinandergesetzt haben – Berufsverbände, Branchennewsportale, Gewerkschaften, medienkritische Vereine und Blogs oder das Parlament. Im Mittel haben die analysierten Akteure in dieser Zeitspanne weniger als zwei medienkritische Beiträge publiziert (1.3 Beiträge). In den meisten Massenmedien findet gar keine nennenswerte, öffentlich-kritische Auseinandersetzung mit der Service Public-Thematik statt. Fachakteure haben sich durchschnittlich stärker mit dem Thema auseinandergesetzt als die Massenmedien und liefern auch etwas häufiger Beiträge, welche versuchen, die komplexen Zusammenhänge zwischen dem Service Public, der Medienbranche und der Gesellschaft zu skizzieren. Dies mag damit zusammenhängen, dass bei Fachpublikationen mehr Medienfachwissen zur Verfügung steht als bei den thematisch universellen Massenmedien. Die Analyse lässt aber insgesamt den Schluss zu: Medienkritik ist ein Luxus, den sich Medien ab und zu leisten. Kontinuität bleibt hehrer Wunsch.

Fünf Akteurstypen liefern beinahe alle medienkritischen Beiträge zum Diskurs. Der mit Abstand grösste Anteil stammt von Massenmedien ohne institutionalisierte Medienkritik, also ohne feste Medienressorts oder Medienjournalisten. Auf dem zweiten Platz rangieren Online-Fachpublikationen mit digitalen Branchenmagazinen, -Newsportalen oder –Newslettern. Der Rest stammt von SRG-internen Kanälen wie Regionalgesellschaften oder Qualitätsgremien, Massenmedien mit institutionalisierter Medienkritik sowie parlamentarischen Vorstösse in Form von Postulaten, Interpellationen oder Anfragen an den Bundesrat. Übrige Akteure wie medienkritische Vereine, Branchengewerkschaften, Medienausbildungsinstanzen, Medienblogs oder auch die Medien- und Kommunikationswissenschaft (MuKW) liefern keinen nennenswerten Beitrag zur gesamtgesellschaftlichen Debatte.

Grafik 1: Akteurstypen mit dem grössten Anteil Beiträge am öffentlichen medienkritischen Diskurs im 1. Quartal 2016

Kritikschwerpunkte: Admeira und SRG
Im Fokus der öffentlichen Debatte steht die Frage, wie die SRG und die Privatmedien zukünftig in finanzieller Hinsicht koexistieren können. Online und offline. Im Zentrum steht im Analysezeitraum insbesondere die Werbevermarktungsgesellschaft Admeira, welche die SRG im Jahr 2015 gemeinsam mit der Swisscom und dem Verlagshaus Ringier gegründet hat und die seit April 2016 am Markt ist. Der Verband Schweizer Medien VSM betrachtet die Kooperation einer gebührenfinanzierten SRG mit einem privaten und einem teilprivatisierten Unternehmen als existenzielle Bedrohung und geht deswegen juristisch dagegen vor. Die Sorge: Admeira stelle eine die übrigen Medienhäuser benachteiligende Vermarktungsmacht dar, mit der es möglich wird, personalisierte Werbung zu schalten. Dieser Hauptstrang der Debatte ist primär interessengeleitet, präsentiert sich also durch individuelle oder organisationale Meinungsäusserungen, die meist nicht auf die gesellschaftliche Aufgabe des Service Public, der SRG oder des Journalismus eingehen. Als Schlagworte kursieren Begriffe wie Sparmassnahmen, Existenzbedrohung, Auflagen, Aufsichtsverfahren, Beschwerde oder Konsumwünsche. Publizistische Aspekte wie beispielsweise welche Angebote zu einem Service Public dazugehören, welche Inhalte weshalb besser von der SRG und welche von Privaten geleistet werden können oder auch, inwiefern sich der Leistungsauftrag durch technologische und branchenspezifische Entwicklungen anzupassen hat, sind Mangelware. Der Kommunikationswissenschaftler Jay Blumler skizzierte Ende der 90er Jahre, dass „das Gemeinwohl von partikularen Organisationsinteressen verdrängt“ werde, je mehr es in der Medienbranche um Quoten, Erträge und Macht gehe. Es stellt sich also die Frage, ob es gesellschaftlich funktional ist, dass eine demokratierelevante Debatte von ökonomisch motivierten Argumenten dominiert wird. Gemäss Blumler ist Medienkritik bei gesamtgesellschaftlich relevanten Medienentwicklungen am einflussreichsten, da sich dann eine Vielzahl unterschiedlicher Akteure und Meinungen in den öffentlichen Diskurs einbringen. Wenn diese Stimmen überwiegend ökonomische Argumente transportieren, ist allerdings unklar, ob das Publikum den demokratischen Wert der Massenmedien und die gesellschaftliche Bedeutung des Service Public wahrnimmt.

Ein Bärendienst für die Demokratie
Eine qualitative, öffentliche Medienkritik trägt dazu bei, seitens des Publikums die Medienkompetenz zu verbessern und das Vertrauen in die Medien zu stärken. Der Erwerb von Medienkompetenz hat im Schweizer Bildungssystem bisher keine Priorität und muss deshalb auch anderweitig unterstützt werden. Medienkritik wird dann als kompetenz- und vertrauensfördernd – und damit als demokratiefördernd – angesehen, wenn sie neben dem reinen Kritikanteil auch konstruktive, lösungsorientierte Elemente enthält. Dazu zählen konkrete Verbesserungsvorschläge, das Aufzeigen von vorbildhaften Pionierprojekten, weiterführende Ideen zur Finanzierung des Journalismus, das Aufarbeiten medienpolitischer oder medienwissenschaftlicher Erkenntnisse oder auch die Skizzierung visionärer Vorstellungen zur Entwicklung der Medienbranche. Vertrauensfördernd können Metainformationen über die Medienbranche und die journalistische Arbeitsweise sein: Welche Rahmenbedingungen beeinflussen die journalistische Produktion? Welche Einschränkungen erfahren Journalisten bei der Arbeit? Kann Journalismus die Realität abbilden, so wie sie ist? Sich von der eigenen Kritikermeinung zu lösen und die Argumentation auf allgemein akzeptierte Grundlagen zu stellen, macht Kritik nachvollziehbar und ihrerseits kritisierbar. Solche Grundlagen können Vorgaben der Medienpolitik, des Medienrechts, medienethischer Kodices, aber auch Ergebnisse aus der Medienforschung und der Mediengeschichte sein.

Wenig demokratiefördernde Medienkritik
Wie sieht es mit der medienkompetenz- und medienvertrauensfördernden Wirkung der laufenden Service Public-Debatte aus? Um diese Frage zu beantworten wurden im ersten Quartal 2016 rund vierhundert medienkritische Online-Beiträge untersucht. Im medialen Diskurs zeigen sich deutliche Anzeichen dafür, dass in denjenigen Medien, in denen keine Ressorts oder personelle Zuständigkeiten für Medienkritik vorhanden sind, eher wenig demokratiefördernde Medienkritik hervorgebracht wird. Beiträge aus solchen Medien weisen eine überwiegend negative Tonalität auf, berufen sich meist auf individuelle Meinungspräferenzen von Autoren oder befragten Quellen und sind seltener lösungsorientiert. Auch Online-Fachpublikationen (z.B. digitale Branchenmagazine oder Branchennewsportale), die am zweithäufigsten kritisch über den Service Public schreiben und bei denen Medienkritik zum Tagesgeschäft gehört, haben vergleichbar geringe Werte bei all diesen Qualitätskriterien. Zwischen 30 und 40 Prozent der Beiträge besitzen bei beiden Akteurstypen demokratiefördernden Charakter. Aufgrund dieser Werte ist es kritisch zu sehen, dass Kanäle mit nicht-institutionalisierter Medienkritik und Online-Fachpublikationen mehr als 80% der medienkritischen Inhalte zur Debatte beitragen (siehe Grafik 1oben).

Grafik 2: Anteil Beiträge mit demokratiefördernden Medienkritik-Elementen in % (Vergleich zwischen den Akteurstypen „Publikationen des nicht-institutionalisierten, massenmedialen Journalismus“ und „Online-Fachpublikationen“)

Wissenschaft verpasst Chance
Kommt man aufgrund dieser Daten zum Schluss, dass die bisherige Medienkritikleistung von Massenmedien und Fachmedien defizitär ist, stellt sich die Frage, welche gesellschaftliche Verantwortung die Medien- und Kommunikationswissenschaft (MuKW) übernimmt, um die Situation zu ändern. Als Stimme ist die MuKW in weniger als fünfzehn Prozent aller medienkritischen Beiträge zur Service Public-Debatte präsent. Durch eine solch marginale Rolle verspielt die Wissenschaft durchaus Potenzial, die öffentliche Debatte zu bereichern, da die lösungsorientierten Anteile und der Bezug auf allgemeinakzeptierte Grundlagen signifikant* zunehmen, wenn die Wissenschaft als Akteur in den Beiträgen vorkommt. In beiden Fällen steigt der Anteil entsprechender Beiträge um mehr als das Doppelte an. Lediglich bei der Tonalität der Beiträge bleiben die Anteile vergleichbar – nämlich überwiegend negativ – was mit dem Rationalitätspostulat der Wissenschaft zusammenhängen mag. Natürlich fliesst wissenschaftliches Wissen zusätzlich auch indirekt in die Debatte ein. Im Rahmen von Wissenschaftlern, die für andere medienkritische Akteure tätig sind wie das Bundesamt für Kommunikation BAKOM, die Eidgenössische Medienkommission EMEK oder medienkritische Vereine beispielsweise. Inwiefern das Publikum die MuKW in diesen Fällen als eigeständigen Akteur wahrnimmt, bleibt offen. In Zeiten von Fake News sind Vertrauen eine wichtige Währung für die öffentliche Kommunikation. Vertrauensbildend wirken unaufgeregte, sachlich reflektierende Beiträge von unabhängiger Seite. Merkmale, die typischerweise der Wissenschaft zugeschrieben werden.

Grafik 3: Anteil Beiträge mit demokratiefördernden Medienkritik-Elementen in % (Vergleich zwischen dem gesamten Beitragssample und den Beiträgen mit MuKW-Präsenz)

Auffällig ist, dass Wissenschaft nur selten als eine Stimme unter vielen in einem Beitrag vorhanden ist, sondern wenn, dann die Hauptfunktion bzw. die Hauptargumentation übernimmt. Wissenschaft scheint damit kein Akteur zu sein, den man nebenbei einbaut. Dies deutet darauf hin, dass der Wissenschaft als Quelle insgesamt ein hoher Stellenwert beigemessen wird, aber Hindernisse das häufigere Einbauen von Wissenschaft verhindern. Möglicherweise geht es dabei um zu wenig rasch verfügbares oder zugängliches Datenmaterial und  Hemmungen im Umgang mit Forschern.

Wie viel darf’s denn sein?
Sowohl in den meisten Massenmedien als auch bei Fachakteuren ist der Anteil demokratiefördernder Medienkritik deutlich in der Minderheit und im Falle der Massenmedien generell eine minimale kritische Auseinandersetzung mit der Thematik festzustellen. Aber die Frage, wie viel Medienkritik – und wie viel demokratiefördernde Medienkritik – ausreichend wäre für eine Gesellschaft, ist ungeklärt. Lösungsorientierter Journalismus wird innerhalb der Strömung des „konstruktiven Journalismus“ seit längerem gefordert. Der Ansatz steht jedoch auch in der Kritik, weil eine Lösungsorientierung dazu führen kann, dass der Journalismus seine Objektivität verliert, da man beginnt, sich mit Lösungsideen zu identifizieren. Zu fordern ist in diesem Sinne nicht, dass sämtliche Medienkritikbeiträge lösungsorientiert sein sollen, sondern dass dieses Konzept regelmässig eingebaut und dann für das Publikum auch explizit deklariert wird. Das Publikum selbst liefert zur „idealen Menge“ an Medienkritik bisher auch keine Antwort; es ist unklar, wie medienkritische Beiträge rezipiert werden. Da in der vorliegenden Analyse vorausgesetzt wurde, dass qualitative Medienkritik das Medienvertrauen und die Medienkompetenz positiv beeinflussen, könnten Ergebnisse entsprechender Vertrauens- und Kompetenzstudien ein Anhaltspunkt für eine Bewertungsskala sein. Eine aktuelle Studie aus dem Jahr 2016 zeigt, dass die Schweizer Bevölkerung durchaus Vertrauen in ihre Programmangebote von öffentlichen und privaten Medien hat. Die Crux bei diesem Ansatz: Bisher fehlen breitflächige empirische Daten und eine verlässliche Messung von Medienkompetenz erweist sich als schwierig. Als Alternative bietet sich an, einen medialen Demokratieförderungs-Index zu erstellen, der sich auf die diskutierten textlichen Elemente medialer Berichterstattung stützt. Anhand eines solchen Index liesse sich zumindest erkennen, ob die Entwicklung über die Zeit positiv oder negativ ausfällt.


Erläuterungen zu Grafik 2:
*χ2-Wert von 57,46 mit p<0.001; Cramer-V .382
Beim Bezug auf allgemeinakzeptierte Grundlagen (normative Elemente) besteht eine hoch signifikante Beziehung.

*χ2-Wert von 61,18  mit p<0.001; Cramer-V .395 Beim Bezug auf lösungsorientierte Elemente besteht eine hoch signifikante Beziehung.

*χ2-Wert von 7,30  mit p>0.05; Cramer-V .136
Beim Bezug auf positiv-konstruktive Elemente (Tonalität) besteht keine signifikante Beziehung.


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Der Artikel wurde auch im Europäischen Journalismus-Observatorium (EJO) publiziert.

Alles nur Klischees, Mate!

Posted on 22. August 2017 by harz

Mein Austauschsemester an der Griffith University im Osten Australiens war – bis auf die Ankunft – so ziemlich genau wie ich es mir erträumt habe. Von Kursen fernab vom Universitätsgelände, Klischees und Campus-Cafés.

von Jonathan Urech, Student im Bachelor Kommunikation (JO14)

Die Flughafentüre öffnet sich und ich trete hinaus ins Freie. Graudurchzogener Himmel, Nieselregen und eine äusserst frische Biese heissen mich an der australischen Ostküste willkommen. Verwundert krame ich meine dünne und auch einzige Jacke aus den Tiefen meines Rucksacks und fühle mich wieder – wie 25 Stunden zuvor – in der Schweiz. Von wegen mindestens 300 Sonnentage pro Jahr an der Gold Coast.

Das wahre Gesicht
Im Nachhinein muss ich schmunzeln, wenn ich an dieses erste Wochenende und meine Verwunderung über die Wetterlage zurückdenke. Waren es doch mit Abstand die kältesten und regnerischsten Tage meines insgesamt 5-monatigen Aufenthalts in Queensland. Als sich nach vier Tagen das wahre Gesicht der Ostküste zeigte wurde mir sofort klar, dass die Jacke wieder ganz unten im Rucksack verstaut werden muss.

So präsentierte sich die Gold Coast – nach dem Schrecken des ersten Wochenendes – täglich

Australische Lockerheit
Endlose Sandstrände, angsteinflössende Tiere und surfende Blondschöpfe – die Liste der Stereotypen war lang. Und wie beim Wetter wurden fast alle dieser Klischees im positiven Sinne erfüllt. Dank starkem Praxisbezug in Modulen wie Multimedia Storytelling, Photo Media und Risk and Crisis Communication konnte ich nebst spannenden Theorieklassen den Campus hinter mir lassen und eben dieses lebendige Australien im Auftrag der Universität erkunden. Bewaffnet mit Kamera, Stativ und Skateboard vermischte sich mein Studienalltag allmählich mit dem Australischen Lifestyle – so richtig Klischee halt.

Kleine Klassen ermöglichten eine tolle Zusammenarbeit mit den Dozenten, welche den Spagat zwischen Autoritätsperson und Klassenkamerad nahezu perfekt meisterten. Dass die australische Lockerheit und Kollegialität an der gesamten Griffith University keinen negativen Einfluss auf die Studierenden hatte versteht sich von selbst. Ganz im Gegenteil, bei Gesprächen auf Augenhöhe im Campus-Café kamen die konstruktivsten Kritiken zutage.

Mit der Uni aus der Uni: Fotografie-Lektion am Sandstrand der Gold Coast

Goldrichtige Wahl
Die Skepsis der ersten Tage verschwand so schnell wie Regen und Wind und liess nichts als pure Faszination für den roten Kontinent übrig. Die australische Ostküste hält nicht nur was sie vom Ferienkatalog verspricht, sie übertrumpft es sogar. Die Griffith University ist erfrischend anders und passt dennoch wie angegossen in das Bild, welches ich und Du höchstwahrscheinlich auch von Australien haben. Wer spannende praxisnahe Kurse mit atemberaubenden Landschaften und Reisen verbinden will ist an der Gold Coast goldrichtig.

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Jonathan
Känguru
Multimedia-Projekt
EndlessStreets
[Zeige Vorschaubilder]

Von wegen Vertrauenskrise!

Posted on 24. Juli 2017 by harz

Die Populisten machen es vor: In der politischen Kommunikation ist gut beraten, wer die Routinen, Selektionskriterien und Narrative der Medienschaffenden studiert und verinnerlicht. Der Nachrichtenfaktoren-Katalog von Winfried Schulz bietet dazu einen bewährten Orientierungsrahmen. Beim Nachrichtenfaktor „Stereotypie“ zum Beispiel zeigt sich in der Praxis: Je besser Informationen in die Deutungsmuster der Journalisten passen, desto eher werden sie aufgenommen und entsprechend interpretiert. Eine kritische Betrachtung.

von Michael Wiesner, Kommunikationsleiter economiesuisse und Gastdozent im CAS Politische Kommunikation am IAM

Für einen kurzen Augenblick stand die Welt Kopf. Und die Kommentatoren übertrumpften sich gegenseitig mit scharfsinnigen Analysen. Zum Beispiel der Chefredaktor der Aargauer Zeitung: Das «Nein» des Stimmvolkes zur Unternehmenssteuerreform III sei «Ausdruck eines folgenschweren Vertrauensverlustes». Das Vertrauen in «die da oben» sei auch hierzulande erschüttert. Und mehr noch als das Nein müsse der liberalen Schweiz diese zugrunde liegende Vertrauenskrise zu denken geben.

Der Chefredaktor der «Blick»-Gruppe sagte es volksnäher: «Das ist nicht nur eine Willensbekundung der Bevölkerung. Das ist ein Beben, ein Akt des Misstrauens, ein Aufstand gegen die Eliten!» Die Stimmbürger «haben dem gesamten bürgerlichen Establishment der Schweiz das Vertrauen aufgekündigt.»

Auch die «Neue Zürcher Zeitung» verortete das Abstimmungsergebnis im «argen Vertrauensverlust». Es offenbare einen Konflikt zwischen «denen da oben» und dem Mittelstand, liess Politologe Thomas Milic die «20 Minuten»-Leser wissen. Vorbei seien die Zeiten, in denen man der Wirtschaftselite blind Glauben schenkte.

Ein happiges Fazit. Immerhin ist Vertrauen in der politischen Kommunikation mehr als nur «ein Mechanismus zur Reduktion der Komplexität» (Luhmann). Das wäre bei dieser «wahrscheinlich kompliziertesten und am stärksten verästelten Gesetzgebung, die je in der Schweiz zur Abstimmung kam» (NZZ) aber schon viel gewesen. Vertrauen ist für politische Akteure gewissermassen das, was die Kapitalisierung für börsenkotierte Unternehmen bedeutet. Vertrauensverlust bedeutet für sie den Bankrott.

Zurück zu den Kommentatoren: Sie haben den Deutungsrahmen der Referendumsführer übernommen. Diese hätten die Vorlage als «Volk-Elite-Konflikt» aufgeladen, konstatierte das Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög). Deutungen dieser Art fielen bei den Medien auf fruchtbaren Boden; die Zeit dafür war günstig. Im Vorfeld der Abstimmung zogen auf dem internationalen Parkett zwei einschneidende Ereignisse die mediale und politische Aufmerksamkeit auf sich: der Brexit-Entscheid im Juni 2016 und die US-amerikanischen Wahlen fünf Monate später. Die Wahl Donald Trumps zum Präsidenten mag ein Misstrauensvotum gegen das Establishment gewesen sein, der Brexit ein Aufstand des Volkes gegen die Eliten. Aber die USA und UK sind nicht die Schweiz. Ein Faktencheck kann Klarheit schaffen.

War das Nein des Stimmvolks also Ausdruck eines generellen Verlustes des Vertrauens in Bundesrat und Wirtschaft? Nein, war es nicht. Sagt die Voto-Studie (ehemals Vox), die das Stimmverhalten nach der Abstimmung vom 12. Februar 2017 untersucht hat. Mitautor der Studie: der gleiche Thomas Milic, der noch einen Monat vorher von einem Elite-Basis-Konflikt sprach. Das allgemeine Vertrauen in den Bundesrat sei unter den Stimmenden nach wie vor (vergleichsweise) hoch und seit der ersten Voto-Erhebung vom September 2016 unverändert. Es habe zudem keine signifikante Rolle beim Stimmentscheid gespielt. Auch könne kaum von einem offenen Misstrauen gegenüber der Wirtschaft die Rede sein.

Zum gleichen Schluss kommt das Center für Security Studies der ETH Zürich. Es befragt die Bevölkerung jedes Jahr nach ihrem Vertrauen in die Institutionen. Ergebnis: Bundesrat und Wirtschaft stehen seit vielen Jahren relativ gut da. Nur Polizei und Gerichte geniessen ein noch grösseres Vertrauen. Der Wirtschaft vertrauen die Schweizerinnen und Schweizer heute mehr als vor 20 Jahren.

Entgegen den medialen Befunden ist das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Landesregierung und die Wirtschaft also durchaus intakt. Aber Vertrauen ist kein Geschenk, sondern eine Verpflichtung.

Übrigens: Am Ende der Vertrauensskala stehen mit deutlichem Abstand die politischen Parteien und die Medien. Hier ist das Vertrauen in den vergangenen 20 Jahren praktisch konstant (tief) geblieben.

Die Leistung der Medien sollte uns noch aus einem anderen Grund zu denken geben. Bisher galt: Je intensiver die Medien über ein Thema berichten, desto bedeutender ist es in der Wahrnehmung des Publikums. Das lehrt uns auch das Agenda-Setting-Modell. Im Fall der Unternehmenssteuerreform III hat es versagt. Vor der Abstimmung hat das Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) in den Schweizer Medien 679 Beiträge zur Steuerreform gezählt –viele davon waren kontrovers und emotional aufgeladen. Zur Einbürgerungsvorlage, über die wir gleichzeitig abgestimmt haben, zählten die fög-Forscher nur 235 Beiträge. Die Steuerreform war für die Medien alsoklar bedeutender als die Einbürgerungsvorlage. In der Wahrnehmung des Publikums war es umgekehrt.

Traditionell gehört ja das kritische Hinterfragen von gängigen Denkmustern zu den unschätzbaren und unverzichtbaren Leistungen des unabhängigen Journalismus in der demokratischen Gesellschaft. Das Hinterfragen der eigenen Denkmuster sollte dabei nicht ausgespart bleiben.


Der CAS Politische Kommunikation am IAM schärft Wissen und Können für die Kommunikation von Behörden, Unternehmen, Verbänden, NGOs, Parteien und Medienredaktionen in der politischen Arena.

In diesem Zertifikatslehrgang lernen Sie, spezifische Situationen zu analysieren, Kommunikationsmassnahmen strategisch zu konzipieren und wirkungsvoll umzusetzen – unter Berücksichtigung der Herausforderungen der medialisierten Politik und der direkten Demokratie.

Medienkonferenz – wie man ein «Auslaufmodell» aufwertet

Posted on 20. Juli 2017 by harz

Mit welchen Formaten erreicht man die Journalisten heute und was machen Unternehmen und Verwaltungen, um ihre Botschaften zu verbreiten? Sind Medienmitteilungen und Pressekonferenzen bald nur noch Reminiszenzen einer vergangenen Welt? Mit diesen Themen befasste sich Columni,die Ehemaligenorganisation des IAM, an ihrem Event anfangs Juni.

von Kathrin Reimann, Redaktorin ZHAW Impact

Columni traf mit dem Thema ins Schwarze: Der Anlass löste grosses Interesse aus. Über 50 Interessierte lauschten dem Referat von Markus Brotschi, welches den spannenden Diskussionsabend einleitete. Der Bundeshausredaktor des Tagesanzeigers hat für seine Masterarbeit an der ZHAW mit Journalisten und Kommunikationsfachleuten gesprochen und eruiert, in welchen Fällen Medienkonferenzen besucht werden, und aus welchen Gründen. Die Ergebnisse seiner Leitfadeninterviews stimmen mit seiner eigenen Wahrnehmung überein: «Medienkonferenzen haben deutlich an Bedeutung verloren.» Damit eine Konferenz besucht werde, sei mehr als ein vorgelesenes Referat nötig. «Es braucht politischen Sprengstoff oder die Anwesenheit einer wichtigen Persönlichkeit», so Brotschi. Dies könne den nötigen Mehrwehrt schaffen. «Zudem ist die Medienkonferenz für den Journalisten wichtig, um O-Töne einzuholen, mit Entscheidungsträgern in Kontakt zu treten und vielleicht auf diesem Weg sogar an eine exklusive Geschichte zu kommen.»

Nach dem journalistischen Input holten die Moderatoren und Columni-Vorstandsmitglieder Sabine Östlund und Massimo Diana den Kommunikationsleiter der Direktion der Justiz und des Innern des Kantons Zürich, Beni Tommer, sowie Sepp Huber, langjähriger Leiter der Swisscom-Medienstelle, ins Gespräch. Weil Huber den Medienwandel miterlebt hat, weiss er, wie man mit entsprechenden Veränderungen umgeht. Seine Antworten auf die digitalisierte Kommunikation sind unter anderem Video-Medienmitteilungen, Online-Konferenzen und eigene «journalistische» Inhalte. Bedauerliche Erscheinungen des Medienwandels sind für Huber eine schnellere und oberflächlichere Berichterstattung. «Oft mangelt es an Zeit und an Dossierkompetenz.» Beni Tommer kann sich dank seines Informationsmonopols und Skandalgeschichten wie den Fällen Carlos und Magdici/Kiko nicht über fehlende Aufmerksamkeit beklagen. «Man hört mir zu», so sein Fazit. Doch auch er ist froh um dossierstarke Journalisten der NZZ und des Tagesanzeigers, die «wissen was läuft und an denen sich andere Medienschaffende orientieren». Tommer setzt deshalb auf Round-Table-Gespräche, bei denen Experten Medienschaffende für ein aktuelles oder ein kommendes Thema sensibilisieren.

Bild: Deborah Harzenmoser

Die Ehemaligenorganisation Columni veranstaltet 6 Events pro Jahr. (Bild: Deborah Harzenmoser)

Sepp Huber setzt bei seinen Medienanlässen hingegen auf Hintergrund. «Wenn wir Technik erlebbar machen und Fachexperten mitbringen, haben wir Besucherzahlen wie noch vor zehn Jahren an einer klassischen Pressekonferenz.» Je nach Thema müssten Setting, Timing und auch der Durchführungsort der Konferenzen angepasst werden, um ein grosses Interesse zu generieren. Die Swisscom setzt zudem auf ihr Newsportal, für das das Unternehmen eigenen journalistischen Content produziert, etwa in Form von Experteninterviews, in denen sie sich eigenen kritischen Fragen stellen. «Bei den Journalisten kommt das Angebot gut an, um es Unternehmens-intern allerdings umzusetzen, bedingt es Power.» Für Medienschaffende, die solchen Content nicht annehmen, biete man auch die bisherigen Möglichkeiten etwa in Form von Interviews oder eigenen kritischen Fragen. Beni Tommer hat indes Skrupel vor eigenem journalistischem Inhalt. «Ich glaube nicht, dass es akzeptiert wird, wenn ein Unternehmen die journalistische Rolle einer objektiven Berichterstattung selber übernimmt.» Und auch für Markus Brotschi ist diese Form von Content ein No-Go: «Für mich ist das ein alarmierendes Zeichen. Auch wenn auf den Redaktionen die Zeit fehlt, müssen Journalisten die Berichterstattung selber machen.» Für Beni Tommer ist es wichtiger «als den Journalisten zu übertölpeln» einen Weg zu finden, den eigenen O-Ton und die eigene Narration der Geschehnisse zu verbreiten. «Ein bewährter Weg dafür sind Redaktionsgespräche, bei denen man sich gegenseitig auf den Zahn fühlt.» Die von Brotschi erwähnten Exklusivgeschichten, welche an Medienkonferenzen generiert werden können, sind für Tommer wie auch für Huber nicht ideal. Bei der Swisscom ist es als börsenkotiertes Unternehmen heikel, die Justizdirektion fürchtet verbrannte Finger oder journalistische Retourkutschen von Uninformierten.

Medienkonferenzen haben, so lässt es sich aus den Aussagen der drei Medienexperten schliessen, durchaus Potential, wenn sie ein Thema mit Sprengstoff behandeln, einen Experten stellen, etwas erlebbar machen (wie z.B. ein Gefängnis von innen sehen) und wenn sie O-Töne von Experten und Verantwortlichen liefern. Aber auch Round-Table-Gespräche oder Redaktionsbesuche können für Unternehmen hilfreich sein, um mit Journalisten in Kontakt zu kommen und eigene Botschaften und Sichtweisen zu verbreiten.


Columni ist die Ehemaligenorganisation der Absolventinnen und Absolventen des IAM Institut für Angewandte Medienwissenschaft der ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Mehr Infos: www.columni.ch

 

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