von Sandro Küng, Co-Gründer von Kobenet* und Gastdozent im CAS Kommunikationsberatung
Zu den ersten Branchen, welche die Digitalisierungswelle erfasst hat, gehören Medien und Kommunikation. Der Beratungsmarkt scheint hingegen noch weitgehend analog zu funktionieren. Für den Berufsverband für Coaching, Supervision und Organisationsberatung BSO war ich in einer Projektgruppe damit beschäftigt, mir ein Bild über Beratungsplattformen im Markt zu machen. Zum Auftrag gehörte, deren Entwicklung abzuschätzen und Standardkriterien für qualitativ gute Online-Beratung zu definieren. Meine Aufgabe in der Gruppe war es zu prüfen, ob es möglich ist, dass der BSO selbst eine Plattform für Online-Beratung anbietet.
Nach ein paar Stunden Desktop-Recherchen über das vorhandene Angebot rieb ich mir die Augen. Erstens gibt es erstaunlich wenige Plattformen und zweitens lassen diese in puncto Benutzerfreundlichkeit und Anwendungsmöglichkeiten viele Wünsche offen. Die Schweizer Plattform ConsX bietet vorwiegend textbasierte Beratung an. Das deutsche Angebot CAI schien am weitesten entwickelt, mit einem Whiteboard, strukturierten lösungsorientierten Fragen im Chat mit Coachees, zudem bietet CAI Videotelefonie. Allerdings hatten wir in der Gruppe wiederholt technische Schwierigkeiten beim Testen der Plattform. Das knappe Angebot hat mich erstaunt, zumal Beratungskunden schon heute online nach Beratungsangeboten suchen. Doch woran können sie sich orientieren? Nicht alle wissen, dass der BSO ein Qualitätslabel entwickelt hat und auf seiner Website ein Mitglieder-Verzeichnis führt mit Profilen der Beratenden, welche alle die relativ hohen Qualitätsstandards erfüllen.
50’000 Coaches in DACH-Ländern
Viele Suchende landen schliesslich bei der deutschen Business-Plattform Xing, die als digitaler Megahub in Googles Suchtreffern weit oben rangiert. Diese startete 2015 die Beta-Version von XING Coaches mit 50.000 Coaches, die nach eigenen Angaben «grösste Coaching-Plattform im deutschsprachigen Raum». Xing hat dazu alle Profile, die beratungsrelevante Stichworte enthielten, auf Xing Coaches gelistet. Ausbildungen und Erfahrungen der “Coaches” spielten dabei keine Rolle.
Viele Beratende nutzen Online-Basismedien wie E-Mail, SMS, Skype, Facebook, Whatsapp, Google Hangout oder Slack. Das grösste Problem dabei ist, dass der Datenschutz meist komplett fehlt und die Beratung über verschiedene Kanäle unübersichtlich wird. Zudem ist damit zu rechnen, dass viele digitale Beratungs-Tools entwickelt werden, welche die Arbeit der Beratenden erleichtern und die Verschmelzung von Präsenz- und Online-Beratung vorantreiben werden. Professionalität und Prozessorientierung könnten in der Online-Beratung jedoch auf der Strecke bleiben, wenn das Silicon Valley die Regie übernimmt. Oder anders formuliert: Online-Beratung wird bereits jetzt vorwiegend von branchenfremden Akteuren gestaltet. Wohin das führt, zeigt uns das Beispiel Xing.
Suche nach geeigneter Plattform
Die zunehmende Mobilität und das Selbstverständnis der nachrückenden Generation, Dienstleistungen überall und jederzeit nutzen zu können, dürfte das Bedürfnis nach einer intuitiv zu bedienenden, sicheren Plattform bei Beratungsanbietern stark ansteigen lassen. Wenn eine Plattform in der Präsenz-Beratung eingeführt wird, ist der Schritt, eine Online-Plattform auch in der Distanzberatung einzusetzen, nur noch klein. Zu diesem Schluss kam zumindest die Projektgruppe des BSO. Aufgrund dieser Ergebnisse haben Webentwickler von Liip zusammen mit dem BSO einen Prototypen für eine intuitiv zu bedienende Beratungsplattform entwickelt. Nun prüft der BSO Wege, zusammen mit Partnern eine eigene Plattform zu entwickeln.
In wenigen Jahren könnte die Automation im Dienstleistungsbereich schon so weit fortgeschritten sein, dass strukturierte Prozesse automatisiert sein werden, auch solche von komplexeren Beratungsprojekten. Derzeit liefern sich die Grosskonzerne Apple, Google, Amazon, Microsoft, Samsung und Facebook ein Wettrüsten im Bereich künstlicher Intelligenz. Vor kurzem hat Googles DeepMind-Team zusammen mit der Oxford-Universität ein System erschaffen, das einem Menschen Worte und ganze Sätze von den Lippen ablesen kann – und zwar um 34,4% besser als ein menschlicher Profi. Google Executive Coach David Peterson prognostizierte am Coaching-Kongress in Olten 2016, dass die meisten Coaches in zehn Jahren durch künstliche Intelligenz abgelöst sein würden. Weitere Entwicklungen wie Gamification, virtuelle/erweiterte Realitäten (VR/AR), sowie Zero Interface sorgen für eine schrankenlose Zusammenarbeit mit digitalen Geräten. Dies mit dem Ziel, dass wir mit Geräten so kommunizieren können wie mit Menschen.
Der Markt an E-Coaching-Plattformen und -Werkzeugen wird sich rasant entwickeln. Das Angebot ist bereits heute vielfältig und kaum überblickbar. Im Rahmen der BSO-Projektgruppe haben wir alle uns bekannten Beratungsplattformen zu einer Umfrage eingeladen, um etwas Orientierung zu gewinnen (zum Ergebnis). Prof. Harald Geissler von der Helmut Schmidt Universität Hamburg gibt zudem in seinem Artikel auf der BSO-Website einen Überblick. Orientierung bietet auch das Praxispapier “Virtuelles Coaching” der Deutschen Gesellschaft für Personalführung DGPF.
*Sandro Küng ist Kommunikationsberater und hat den MAS Coaching und Organisationsentwicklung am Institut für Angewandte Psychologie der ZHAW abgeschlossen und ist BSO-Mitglied. Zusammen mit Peter Stücheli hat er 2015 das Kommunikationsberatungs-Netzwerk (Kobenet) gegründet.
Einblick in den CAS Kommunikationsberatung mit Absolventin Martina Bürge:
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Zur Onlinebroschüre: www.zhaw.ch/cas-kommunikationsberatung
Interessant… Ich beschäftige mich zur Zeit mit der Frage, wo die Vorteile von direkter Kommunikation (zwischen zwei Menschen, face to face oder über das Telefon) in Vergleich zur indirekten Kommunikation (TV, Radio, Print Medien, Chat, E-Mail). Leider habe ich auch nicht viele Plattformen gefunden, welche in dieser Richtung etwas anbieten, weil ich je länger je mehr daran glaube, dass man wertvollere informationen erhält, wenn man direkt miteinander kommuniziert.
Es ist ja das gleiche wenn man sich sehen kann, einziger unterschied ist es ist zeitversätzt doch die zukunft wird uns zeigen wohin das ganze online uns führt.