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Wissen, was Kommunikation bewegt

Ein Blog der ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften

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Vom Gründer zum Mentor: Identitätsmanagement bei Kieser Training

Posted on 30. Mai 2017 by harz
von Prof. Dr. Nicole Rosenberger, Professorin für Organisationskommunikation und Management, und Markus Niederhäuser, Leiter Weiterbildung, beide am IAM

Die Kieser Training AG ist vor allem die Geschichte eines Mannes, der konsequent seinen Weg ging. Vor 50 Jahren gründete Werner Kieser sein erstes Kraftstudio und baute in Folge die Kieser Training AG zu einem internationalen Franchise-Unternehmen aus. Im Jubiläumsjahr haben nun er und seine Frau die Firma an den derzeitigen CEO sowie an ein VR-Mitglied verkauft. Der Gründer bleibt aber dem Unternehmen als Mentor und Ideengeber erhalten, seine Frau Dr. med. Gabriela Kieser als VR-Präsidentin. Die Konsequenz, mit der das Unternehmen Kieser über die Jahrzehnte an seiner Unternehmenspolitik festhielt, ist einmalig. Was bedeutet der Verkauf für die Unternehmensidentität und die Kommunikation?

Zuerst kurz zum «Kieser-Prinzip»: das Krafttraining erfolgt an teilweise selbst entwickelten Maschinen unter professioneller Anleitung, idealerweise zweimal pro Woche, der Trainierende geht dabei an seine Belastungsgrenze. «Der Mensch wächst am Widerstand», ist ein Lieblingssatz von Werner Kieser. Die Kraftstudios sind asketisch eingerichtet, keine Musik, keine Bar mit Drinks und keine Wellness-Angebote. Konzentration aufs Wesentliche also. «In der Kirche gibt es auch keine Saftbar», gab Kieser einmal einem Journalisten zu Protokoll.

Wer – mit wenigen Abweichungen – eine solche Philosophie über 50 Jahre durchzieht, muss sehr überzeugt sein von seinen Ideen. Und sollte damit umgehen können, dass er je nach Zeitgeist und Modetrend die eine oder andere Community gegen sich aufbringt. Werner Kieser gelang es im Laufe der Jahre, sein Prinzip über ein Franchise-System auf über 140 Studios in fünf Ländern auf zwei Kontinenten auszudehnen.

Basis des Erfolgs bildete dabei die konsequente Umsetzung der Unternehmenspolitik in die Identitätselemente Leistungsangebot, Verhalten der Mitarbeiter, Symbole und Kommunikation. In einem Franchise-System stehen dabei dem Franchisegeber nur wenige Instrumente zur direkten Durchsetzung seiner Vorgaben zur Verfügung, ist der Franchisenehmer doch ein selbstständiger Unternehmer und nur durch einen Vertrag an das Unternehmen gebunden. Kieser hat dieses Problem mit ausführlichen Handbüchern gelöst, in denen technische, administrative und kommunikative Standards beschrieben werden. Diese bilden einen integralen Bestandteil des Franchisevertrags, deren Einhaltung akribisch überprüft wird. Dadurch ist es dem Unternehmen Kieser Training AG gelungen, eine starke Unternehmensidentität aufzubauen, die bei den Zielgruppen klare Vorstellungsbilder hervorruft.

Der nun erfolgte Besitzerwechsel muss nicht zwingend grössere Konsequenzen auf die Identität und die Kommunikation des Unternehmens haben. Werner Kieser verstand sich schon immer als oberster Botschafter seiner Firma und dies wird er vorerst wohl auch bleiben. Er kann dem Unternehmen in den nächsten Jahren dank seiner hohen Bekanntheit wertvolle Dienste leisten, zum Beispiel mit Interview-Auftritten in renommierten Medien. Günstiger ist öffentliche Aufmerksamkeit nicht zu haben.

Grössere Veränderungen wären nur bei zwei Szenarien denkbar: Erstens dann, wenn die neuen Besitzer die Unternehmenspolitik stärker verändern, die Firma zum Beispiel in Richtung aktueller Lifestyle anpassen wollten. Dies wird zumindest kurzfristig kaum eintreten, haben sich die neuen Besitzer doch Kontinuität auf die Fahnen geschrieben. Auch das VR-Präsidium von Kiesers Ehefrau dürfte ein Festhalten am bisherigen Kurs fördern.

Zweitens – und dies ist irgendwann absehbar – wird der inzwischen 76-jährige Werner Kieser seine Rolle als Mentor und Botschafter ganz abgeben. Dieses Vakuum müsste in diesem Fall wieder gefüllt werden. Naheliegend wäre es dann, auf die einzigartige und authentische Figur Werner Kieser und die von ihm geprägte Unternehmensgeschichte zu setzen und daraus einen Mythos zu entwickeln.   


Die Autoren haben das Fallbeispiel Kieser Training AG auf ihrer Website zum identitätsorientierten Kommunikationsmanagement ausführlich beschrieben. Der Casebeschrieb basiert auf einem Leitfadeninterview mit Werner Kieser und einer Analyse einzelner Kommunikationsmittel und Führungsinstrumente der Kieser Training AG.

Die soeben erschiene Zweitauflage des Fachbuchs «Unternehmenspolitik, Identität und Kommunikation: Modell – Prozesse – Fallbeispiele» enthält acht ausführliche Fallbeispiele zur Konzeption und Umsetzung identitätsorientierter Kommunikation der Unternehmen ABB, Sonova, PwC, Dyson Schweiz, Kubo und Trigema sowie der beiden Non-Profit-Organisationen SOS-Kinderdorf und Zoo Zürich.


Mehr Blogbeiträge von Prof. Dr. Nicole Rosenberger

  • Mini-Migros: Wie der orange Riese spielend um Vertrauen wirbt
  • Mit Geschichte Identität prägen und Vertrauen fördern

Mehr Blogbeiträge von Markus Niederhäuser

  • Von Pionieren, Skeptikern und Ahnungslosen

 

Boulevard zu unrecht in der Kritik?

Posted on 24. Mai 2017 by harz
von Jara Helmi, Swenja Willms und Sandro Bucher, Studierende Journalismus & Organisationskommunikation am IAM

Keine Schweizer Tageszeitung steht derart oft im Fokus medienkritischer Beiträge wie das Boulevardblatt Blick. Dies zeigt auch eine studentische Fallstudie am Institut für Angewandte Medienwissenschaft der Zürcher Fachhochschule in Winterthur. Sie analysierte den medienkritischen Diskurs in der Deutschschweiz zum Vierfachmord von Rupperswil im Jahr 2015.

Im Dezember 2015 ereignete sich im schweizerischen Rupperswil im Kanton Aargau eines der grauenvollsten Verbrechen der Schweizer Kriminalgeschichte. Ein 33-Jähriger aus der gleichen Ortschaft ermordete in einem Einfamilienhaus eine Mutter, ihre zwei Söhne sowie die Freundin einer ihrer Söhne. Bis der später geständige Täter verhaftet und aufgrund von DNA-Spuren und Fingerabdrücken identifiziert werden konnte, vergingen rund fünf Monate. Fünf Monate, in denen Schweizer Massenmedien nicht mit Mutmaßungen, Spekulationen und Hypothesen zum Geschehen sparten. Unter dieser medialen Lust der Dauerbeobachtung litten nicht nur die Angehörigen der Opfer und des Täters, sondern auch übrige Einwohner der 5000-Seelen-Gemeinde: Viele Journalisten harrten vor dem Haus der Opfer aus, redeten mit den Schulkollegen der Opfer und Freunden des Täters. Vor allem die Boulevardzeitung Blick, die dem Verlagshaus Ringier angehört, wurde für diese Methoden vom Publikum und Branchenkollegen kritisiert.

Anhand von rund vierzig Beiträgen aus den sozialen Medien, der Fachpresse und den Massenmedien analysierten die Autoren den medienkritischen Diskurs zum Vierfachmord von Rupperswil. Resultat: In zwei von drei medienkritischen Beiträgen wird der Blick kritisiert. Beanstandet wurde von den medienkritischen Akteuren insbesondere die frühe Namensnennung und das Abdrucken eines unverpixelten Fotos des Täters, die offensiven Recherche-Methoden der Zeitung sowie die Tatsache, dass der Blick das Gesicht des Täters von einem „Physiognomie-Experten“ analysieren ließ. Im Fokus der öffentlichen Debatte standen aber auch die massenmedialen Titel Schweizer Illustrierte (ebenfalls Ringier), der Tages-Anzeiger und die Gratiszeitung 20 Minuten (beide vom Verlagshaus Tamedia) sowie die Schweiz am Sonntag (Verlagshaus AZ Medien). Wie beim Blick wurde auch hier vor allem das Missachten der Richtlinien des Schweizer Presserats kritisiert, die den Schutz der Privatsphäre (Richtlinie 7.1), die Identifizierung (7.2) und den besonderen Schutz der Kinder (7.3) gewährleisten sollten.

Hauptthema: Kritik mit normativem Bezug

Die Beiträge zeigen, dass im öffentlichen Diskurs weniger die individuelle Meinung der Medienkritiker zu den journalistischen „Defiziten“ dominiert, sondern sich die geäußerte Kritik auf gesellschaftliche Normen bezieht. Zu diesen Normen zählen medienethische und medienrechtliche Vorgaben wie sie u.a. das nationale Medienrecht oder auch internationale Pressekodizes vorgeben. Sich auf solche Normen zu beziehen, macht aus einem ausschließlich kritisierenden Schlagabtausch eine konstruktive öffentliche Debatte. Die Argumentation wird so gesamtgesellschaftlich vergleich- und bewertbar. Lediglich in den sozialen Medien wurde der Blick punktuell ohne tiefergehende Argumentation als „Schundblatt“ mit „Schmieren-Journalisten“ bezeichnet. Insgesamt überwog aber auch hier die normativ abgestützte Kritik.

Blick-Blattmacher Thomas Ley überraschen die Untersuchungsresultate nicht: „Der Blick gilt als Medium der einfachen Leute. Das zieht Spott und manchmal auch Verachtung auf sich“, sagt er. „Da wir emotionale Themen immer gross gewichten, sind wir sowieso permanent Kritik ausgesetzt. Jüngere Boulevard-Medien wie 20 Minuten sind viel weniger markiert als wir.“ Auch war die Medienkritik in den untersuchten Beiträgen das Hauptthema und fördert damit das Verständnis beim Publikum, dass eine regelmäßige, öffentliche Medienkritik eine gesellschaftliche Notwendigkeit ist.

Soziale Medien als Hauptakteur der Kritik

Die Fallstudie brachte weitere Indizien ans Licht, die für das Forschungsfeld Medienkritik relevant sind: So fand die Kritik an der Berichterstattung über den Vierfachmord vor allem in den sozialen Medien und nicht in der Fachpresse und den Massenmedien statt. Zeitlich gesehen war die Social-Media-Kritik dem restlichen Diskurs vorgelagert. Es stellt sich damit die Frage, welcher Anteil eines medienkritischen Diskurses künftig über diese neuen Kanäle stattfindet, damit nur einer Teilöffentlichkeit zugänglich ist und so weniger gesellschaftliche Resonanz auslösen kann. Offen ist, ob diese Verlagerung damit zu tun hat, dass Medienschaffende, die sich systemisch betrachtet überdurchschnittlich häufig medienkritisch äußern, dem Vorwurf des Kollegenbashing entgehen wollen. Da Medienschaffende auf Social Media als Privatpersonen auftreten können, wird der eigenen Zukunft möglicherweise weniger Schaden zugefügt.

In den digitalen Netzwerken war auch die Kommunikationswissenschaft als medienkritischer Akteur vertreten. So fragte Journalistikprofessor Vinzenz Wyss am 13. Mai, einen Tag nachdem der Täter gefasst wurde, ob schon Wetten darüber laufen würden, welches „Dödelmedium“ als erstes den Namen des Täters nennen werde. Am selben Tag startete ein anderer Twitter-User eine Umfrage, welche Zeitung wohl als erste das Foto des Täters veröffentlichen werde. Der Blick gewann die Umfrage mit 72 Prozent der 116 Stimmen. „Das zeigt, dass viele Medienkritiker schon Fotos oder Namen grundsätzlich nicht okay finden, sogar wenn sie verpixelt oder abgekürzt sind“, sagt Thomas Ley. „Das kriegen wir dann in jedem prominenten Fall zu hören.“

„Anderen Medien wird viel schneller verziehen“

Was Thomas Ley jedoch stört, ist, dass andere, vermeintliche Qualitätsmedien, genauso boulevardesk über den Vierfachmord geschrieben hätten, denen das jedoch viel öfters verziehen würde. „Im Fall von Rupperswil hat sich die Konkurrenz vom Tages-Anzeiger Sachen erlaubt, die wir nie machen würden.“

Konkret spricht Thomas Ley vom Artikel «Weg des Grauens», den der Tages-Anzeiger fünf Tage nachdem der Täter gefasst wurde, publizierte. Für den Artikel wurde ein Video gedreht, in dem der rund fünfminütige Weg vom Haus des Täters zum Haus der Opfer zu sehen ist. Diese Darstellungsform wurde nur von wenigen Usern in den sozialen Medien kritisiert – unter anderem von Thomas Ley.

Knapp ein Jahr nach dem Vierfachmord in Rupperswil berichtete Die Zeit über die Arbeitsweise des Blick-Reporters. (Bild: Screenshot)

Diskurs dauert an

Die Fallstudie des medienkritischen Diskurses zum Vierfachmord von Rupperswil hat gezeigt, dass in der Schweiz konstruktive Medienkritik anzutreffen ist. Nur scheint sich diese – zumindest fallindividuell – von den Massenmedien in die sozialen Medien verlagert zu haben. Vor einem halben Jahr hat sich der Vierfachmord von Rupperswil zum ersten Mal gejährt. Der medienkritische Diskurs jedoch dauert weiterhin an: Im Dezember 2016 hat die Schweizer Ausgabe der Zeit mit Mirco Metger, dem Sohn des Freundes der getöteten Mutter,  über seine Erfahrungen mit dem Blick gesprochen. Insbesondere über den Blick-Journalisten Ralph Donghi, der laut Metger damals nicht nur ihn, sondern viele weitere Menschen aus dem nahen Umfeld belästigt habe. „Er legte mir Sätze in den Mund, die ich nie gesagt hatte“, sagt Metger gegenüber der Zeit.

Ley zeigt sich davon unbeeindruckt: „Die Zeit spricht mit genau einem Menschen, der Donghi nicht mag, aber ihm nicht einmal wirklich journalistische Fehler nachweisen kann. Auf der anderen Seite beispielsweise fand der Mediensprecher des Fussballclubs, in dem der Täter verkehrt hatte, unsere Arbeit tadellos.“


Dieser Artikel ist auch im Europäisches Journalismus-Observatorium (EJO) erschienen. Der Beitrag ist im Rahmen des Seminars „Medienkritik“ im 5. Semester des Bachelorstudiengangs Kommunikation mit Vertiefung Journalismus & Organisationskommunikation entstanden.


Mehr Beiträge von Studierenden am IAM:

  • Lernen von den Besten: Einblicke in die professionelle Praxis, Cornelia Brunner-Scherrer
  • Was mach‘ ich hier eigentlich?, Maxence Giebel
  • Arbeiten im Newsroom, Maxence Giebel
  • Die Leckerbissen im Medienforschungsseminar, Benjamin Seiler
  • Einmal Bordeaux-Diplomfeier JO11 retour, bitte, Rebecca Dütschler

 

 

Insights in den medienpolitischen Dialog

Posted on 15. Mai 2017 by harz
von Dr. Guido Keel, Dozent und Geschäftsführer am IAM

„Die Rolle der Auslandsender in der globalen Kommunikation“. Mit diesem Thema lud die SPD-Fraktion des Deutschen Bundestages zu einem sogenannten „medienpolitischen Dialog“. Politiker, Mitarbeiter vom Auswärtigen Amt, aber auch Journalistinnen und Journalisten von verschiedenen Auslandsendern und von der privaten Konkurrenz, Verbands- und Gewerkschaftsvertreter sowie interessierte Bürgerinnen und Bürger wohnten dem Anlass bei. Und auch die Erkenntnisse aus der Wissenschaft waren gefragt: So hatte ich die Aufgabe, mit einem Referat in die Thematik einzuführen und in der anschliessenden gut einstündigen Diskussion die wissenschaftliche Sichtweise einzubringen.

Hintergrund für den Dialog war einerseits die Frage, welche Rolle Auslandsender wie die Deutsche Welle, BBC World, France 24 aber auch Russia Today und Chinese Central Television spielen, wenn die Nutzerinnen und Nutzer Medien zunehmend argwöhnisch beurteilen und Mainstream-Medien oder Fake News zu Kampfbegriffen im medienkritischen Diskurs geworden sind. Aus Sicht der Bundestagsfraktion ging es aber auch um die sehr handfeste Frage, wofür und in welchem Ausmass der eigene Auslandsender Deutsche Welle – immerhin mit einem Budget von rund 400 Mio. Franken jährlich – in der Zukunft finanziert werden soll.

Es gehört zum Alltag eines Wissenschaftlers, an einer Fachkonferenz Vorträge zu halten, auf dem Podium zu diskutieren und Fragen aus dem Publikum zu beantworten. Dabei kennt man sich oft – man ist wissenschaftlich gleich sozialisiert, hat die gleichen Bücher gelesen, stützt sich auf die gleichen Theorien ab und zitiert sich gegenseitig. Veranstaltungen wie dieser medienpolitische Dialog sind aber meines Erachtens die eigentlichen Prüfsteine für die eigenen Erkenntnisse und die eigene Überzeugungskraft, und damit auch für die Relevanz der eigenen Arbeit: Lässt sich das, was ich als Wissenschaftler erarbeite, in einen öffentlichen Diskurs einbauen? Spielen ich und meine Theorien in einem Dialog, der über meine Fachgrenzen hinausgeht, immer noch eine Rolle? Was kann ich zur Diskussion zwischen Gewerkschafter und Politiker über Tarifsätze beitragen? Wie erkläre ich einer interessierten jungen Bürgerin, die sich noch nicht gross mit der Funktionsweise von Medien auseinandergesetzt hat, worin sich die Deutsche Welle und BBC World von Russia Today unterscheiden? Warum sind Tweets aus Krisengebieten nicht das Gleiche wie journalistische Berichterstattung?

Als Fachhochschul-Dozent bin ich mit dieser Öffnung gegenüber nicht-akademischen Perspektiven sehr vertraut: In der Ausbildung arbeiten wir eng mit der Praxis zusammen, in Dienstleistungsprojekten beraten wir Organisationen in Bezug auf ihre ganz praktischen Kommunikationsprobleme. Aus diesen Erfahrungen weiss ich: Solche Dialoge sind nicht immer einfach, aber äusserst spannend. Sie erinnern mich an interkulturelle Kommunikation: Man ist mit ganz anderen Sichtweisen konfrontiert, die einem spontan „falsch“ erscheinen. In einem zweiten Schritt erkennt man, dass diese Sichtweisen nicht nur neu und überraschend sind, sondern auch durchaus plausible Aspekte aufweisen. In einem dritten Schritt geht es deshalb darum, diese neuen Sichtweisen mit dem eigenen wissenschaftlichen Wissen zu verbinden und so zu neuen Erkenntnissen zu gelangen. Manchmal gelingt das besser, manchmal ist es mühsam, weil die anderen die Begriffe ungenau verwenden oder über einen Aspekt reden, der aus meiner Sicht absolut nebensächlich ist. Aber sich auf diesen Austausch einzulassen, ist nicht nur spannender als manche Debatte unter gleichgesinnten Wissenschaftlern über Details. Solche Diskussionen zeigen auch, dass die Wissenschaft durchaus einen relevanten gesellschaftlichen Beitrag zu leisten vermag – wenn sie sich ehrlich auf eine Debatte einlässt und auch mal eigene, durch zahlreiche Publikationen scheinbar gesicherte Überzeugungen in Frage stellt.


  • Mehr von diesem Autor: Guido Keel
  • Mehr zu diesem Thema finden Sie unter dieser Rubrik: Kommunikation erforschen

 

Ein Megatrend – und (noch) keiner macht mit

Posted on 9. Mai 2017 by harz
von Claudia Sedioli, Dozentin Berufspraxis und Marius Born, Dozent für visuelles Storytelling am IAM

Virtual Reality, Augmented Reality, 360°-Videos, interaktive Datenvisualisierungen – Technologie ist der grosse Treiber des visuellen Storytellings. Entsprechend grosses Potenzial wird den neuen Formaten attestiert. Renommierte internationale Medienhäuser produzieren immer wieder aufsehenerregende Multimediastories, die Preise einheimsen und das Publikum begeistern. Doch wie wenden schweizerische Redaktionen und Abteilungen der Unternehmenskommunikation die neuen Technologien an? Nur sehr zurückhaltend – so das Fazit der «IAM live»-Veranstaltung vom 3. Mai 2017 in Winterthur.

Exponentiell ist es, das Wachstum, das laut IAM-Dozent Marius Born für die Umsatzentwicklung von Virtual Reality (VR) und Augmented Reality (AR) vorausgesagt wird. «Vielleicht sprechen wir bald von a-Commerce statt von e-Commerce», so Born. Im Fokus des diesjährigen IAM live stand das Visuelle Storytelling. Und dafür ist Technologie der grosse Treiber – in ihrem Inpulsreferat waren sich die beiden IAM-Dozenten Marius Born (für den Fachbereich Visuelle Kommunikation verantwortlich) und Prof. Dr. Wibke Weber, die Visuelles Storytelling, Bildsemiotik, Infografiken und Datenvisualisierungen lehrt, einig: Live- und 360°-Videos, VR, AR und Datenvisualisierungen, animiert, interaktiv und immersiv – so werden heute Geschichten erzählt.

Marius Born während seiner Präsentation am IAM live 2017 (Photo: Manuel Bauer)

Show, don’t tell
Ohne Bilder, genauer gesagt Bewegtbilder, geht nichts mehr. Oder wie Wibke Weber es ausdrückte: «Bilder bewegen Kommunikation, sie verändern und steuern Kommunikation». Doch erst mit der Digitalisierung, dem Internet, mit Mobilekommunikation und Social Media zeige sich, wie prägend Bilder in unserer täglichen Kommunikation sind.  Neben VR und AR sorgen 360°-Videos und Erklärvideos, Infografiken oder Datenvisualisierungen für Aufmerksamkeit der Benutzer – oder besser: für deren totales Erlebnis. Storyliving ist das neue Storytelling: immersiv, interaktiv und datenbasiert.
Im Zuge von Open und Big Data, so legte Wibke Weber dar, haben Datenvisualisierungen eine steile Karriere hingelegt. Sie zeigen Geschichten, die sich hinter den Datensätzen verbergen, oft bieten sie dem Betrachter einen persönlichen Zugang, der durch personalisierte Abfragen erzeugt werden kann. So etwa, ein Beispiel aus der Unternehmenskommunikation, im interaktiven Regierungsbericht «Gesund durchs Leben» der Deutschen Bundesregierung, der von der Zürcher Agentur Interactive Things produziert wurde. Im Bericht können User beispielsweise auf Daten zur Lebenserwartung in ihrer eigenen Wohngemeinde zugreifen. Auch im Journalismus liefern Datenvisualisierungen attraktive Formate, die die Benutzer zum Entdecken und Erforschen einladen: Die Darstellung «Bauland. So wird die Schweiz zersiedelt» von SRF Schweizer Radio und Fernsehen erlaubt es, die Zersiedelung der eigenen Wohngemeinde auf einer Zeitachse mitzuerleben.

«Story is King»
Aller Technologie-Euphorie zum Trotz: Ohne gute Story kein gutes Storytelling. Das betont auch IAM-Referent Marius Born: «Ohne spannende Schauplätze, die wechselnde Perspektiven bieten, ist beispielsweise 360° sinnlos. Story is King». Und Wibke Weber macht klar, dass narrative Immersion per se nichts Neues ist: «Es ist das Eintauchen in eine Geschichte – etwas das auch beim Lesen, Zuhören oder Zuschauen geschieht.»

«Bilder bewegen Kommunikation, sie verändern und steuern Kommunikation.» Wibke Weber am IAM live 2017  (Photo: Manuel Bauer)

Ein Megatrend – und (noch) keiner macht mit?
Die erweiterten technischen Möglichkeiten bieten also sowohl der Organisationskommunikation als auch dem Journalismus ungeahnte Chancen fürs Storytelling. Doch wie werden 360°, VR, AR und Datenvisualisierungen in der Praxis verwendet?  Die Fachleute auf dem Podium, deren Diskussionen von der IAM-Dozentin Claudia Sedioli moderiert wurden, dämpften die Euphorie gehörig: Sara Maria Manzo, seit einem Jahr Online-Videochefin bei der NZZ, verfolgt vorerst eine Strategie ohne VR und AR: «Wenn es um Erlebniswelten geht, ist das Experimentieren mit VR und AR spannend. Im Journalismus wollen Sie aber in die meisten aktuellen Themen nicht eintauchen: Ich zum Beispiel will nicht in den Krieg nach Syrien! Vor allem Bewegtbilder haben eine immense Macht, sie gehen direkt ins Herz, da haben wir eine Verantwortung gegenüber dem User, die wir wahrnehmen sollen.»

Die Aula war fast bis auf den letzten Platz besetzt. (Photo: Manuel Bauer)

Die Brille stört
Benjamin Wiederkehr von der Zürcher Agentur Interactive Things, die auf visuelles und datengetriebenes Storytelling spezialisiert ist, hält vor allem die VR-Brille für ein grosses Hindernis: «Unsere Inhalte werden im Internet, auf dem Smartphone konsumiert, also im Kontext, in dem sich der User befindet». Timo Wäschle outete sich ebenfalls als VR-Skeptiker und wies darauf hin, dass die Brille über den Gamingbereich hinaus wenig Akzeptanz finde – und es einigen User nach einer VR-Reise mit der Datenbrille schlicht und einfach übel werde. Grundsätzlich plädierte er dafür, nicht von der Technologie, sondern vom inhaltlichen Ziel her zu konzipieren: Wenn eine komplexe Geschichte erklärt werden solle, wähle man einen Animationsfilm, wenn es darum gehe, viele Emotionen zu vermitteln, einen Realfilm.

Chancen auf Empathie und Unterhaltungswert
Mit 360°-Videos und Virtual Reality arbeitet hingegen der Vertreter des Kinderdorfs Pestalozzi, Remo Schläpfer, der dort den Bereich Medien und Kampagnen leitet. Seine Videos zeigen in der Rundumperspektive die Schulzimmer, die Dörfer, den Alltag der Kinder, für die sein Hilfswerk sich engagiert: «Das ist eine Technologie, die es erlaubt wie keine andere, Gefühle und Empathie zu wecken.» Chancen sieht auch der SRF-Datenjournalist Timo Grossenbacher: «Bei uns geht es vor allem darum, komplexe Sachverhalte so zu inszenieren, dass sie nicht nur interessant sind, sondern auch Spass machen.» Deshalb biete SRF den Usern möglichst einen individuellen Nutzen:  «Der personalisierte Zugang zu den Daten wird immer wichtiger». Während personalisierten Datenvisualisierungen einhellig eine grosse Zukunft vorhergesagt wird, waren die Podiumsgäste grundsätzlich zurückhaltend, was VR und AR angeht: Timo Wäschle sieht in den Anwendungen der neuen Technologien nicht zuletzt viel Effekthascherei, die nur kurze Aufmerksamkeitsspannen generiert.

Claudia Sedioli hat die Podiumsdiskussion am IAM live 2017 moderiert. (Photo: Manuel Bauer)

Auch für kleines Geld?
Wie kosten- und ressourcenintensiv sind die neuen Formate? Was kann sich eine Kommunikationsabteilung eines KMU oder eine Regionalzeitung für vergleichsweise kleines Geld leisten? In die Karten – respektive Offerten – liessen sich die Podiumsgäste nicht wirklich blicken. Während der NGO-Kampagnenleiter Remo Schläpfer von einem Freundschaftspreis profitiert haben will und nicht mehr als für einen klassischen Film ausgegeben habe, verspricht Corpmedia-Inhaber Timo Wäschle Return on Investment. Benjamin Wiederkehr wies auf die Möglichkeiten hin, mit Open-Source-Inhalten zu arbeiten und so Kosten zu sparen.

Podiumsrunde (v.l.): Timo Grossenbacher, Sara Maria Manzo, Timo Wäschle, Claudia Sedioli, Benjamin Wiederkehr, Remo Schläpfer (Photo: Manuel Bauer)

Glaubt man den Experten auf dem IAM-live-Podium, bleibt das exponentielle Wachstum zumindest für VR und AR in der Organisationskommunikation und im Journalismus Zukunftsmusik. Raffinierte Datenvisualisierungen, Erklärvideos und gezielt eingesetzte 360°-Videos sind jedoch bereits heute mehr als eine Verheissung. Sie machen Storyliving möglich, wo vorher Storytelling angesagt war.


Mehr zum Thema

  • Virtual Reality – Teure Spielerei oder Storytelling mit Zukunft?
  • Vom Sichtbarmachen und Zeigen. Storytelling heute
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  • Rückschau aufs IAM live 2017
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