Wann bin ich alt? Mit dieser Frage setzten sich die mehrheitlich jüngeren Besucher:innen der gleichnamigen Ausstellung der ZHAW Hochschulbibliothek auseinander. Auf einer Pinnwand notierten sie ihre kurzen, aber aufschlussreichen und nicht selten amüsanten Antworten. Das Alter als Verlust, Gewinn oder gar Vollendung – die Auswertung der Umfrage ergab eine äusserst breite Palette an Altersbildern.
Der Fachverband Gerontologie CH war anlässlich seines 70-jährigen Bestehens vorwiegend mit Fachpersonen aus dem Altersbereich und Pensionierten, teilweise auch mit Kindern und Jugendlichen in Kontakt getreten. Sie sollten Antworten liefern auf die Frage, wann sie alt sind und wie sie sich für mehr Lebensqualität von älteren Menschen einsetzen. Die Resultate wurden in einer Slideshow festgehalten. Diese wiederum war Bestandteil einer Ausstellung in der ZHAW Hochschulbibliothek in Winterthur.
Mit der Frage «Wann bin ich alt?» wurden an der Ausstellung nun auch die vornehmlich studentischen Bibliotheksbesucher:innen konfrontiert. Ihre auf kleinen Zetteln festgehaltenen, insgesamt über achtzig Antworten machen deutlich, wie vielfältig das Alter(n) auch von Jüngeren wahrgenommen wird.
“Wenn Kinderkiegen gar nicht mehr so schlecht klingt”
Das Alter beginnt je nach Wahrnehmung schon früh: Wenn zum ersten Mal ein Bruch mit früheren Lebensphasen geschieht, wenn vermehrt andere Personengruppen als (noch) jünger wahrgenommen werden, wenn der Körper nicht mehr so schnell regeneriert. Oder in den Worten der Ausstellungsbesuchenden: “sobald man mir Grüezi statt Hoi sagt”, “wenn meine Schwester mich auslacht, weil ich ein Jugendwort falsch ausgesprochen habe”, “wenn der Kater länger dauert als der Ausgang”.
“Wenn Roger Federer 70 wird”
Spätestens wenn die Jugendidole wie etwa Tennis-Ikonen die 70er-Grenze erreichen, wird man sich seines fortgeschrittenen Alters bewusst werden, wie eine der Antworten suggeriert. Als alt bzw. “washed” (körperlich am Ende oder nicht mehr angesagt) können aber auch noch aktive Sportler, die sich dem sportlichen Ruhestand nähern, angesehen werden: “Wenn ich so washed wie CR7 [Cristiano Ronaldo] bin”, worauf ein anderer antwortete: “So washed wie Messi, meinst du”.
“Wenn man nicht weiss, was “washed” heissen soll…”
So vieldeutig wie der Begriff “Alter” ist, so vielfältig – und die Generationen trennend – ist die Sprache: “Wenn ich die Jungen nicht mehr verstehen kann”.
“Wenn ich nicht mehr edge“
Ein weiteres Jugendwort: «Edgy» bedeutet je nach Kontext – im positiven Sinn – provokativ und ausgefallen oder – eher negativ – zwanghaft trendsetterisch. Man darf sich also selbst aussuchen, ob die Antwort alterspositiv oder -negativ gemeint ist.
“Man ist nur so alt, wie man auf Tinder angibt.”
Das Alter existiert nicht, ist relativ oder anders gesagt: «Age is an abstract concept of numbers.»
Und jung fühlen kann man sich eh ewig – wenn man Glück hat: «Ich bin 73, aber immer noch jung.» Und überhaupt: «Man ist für immer jung.» Umgekehrt und den Begriff «Alter» mit einem Smiley positiv konnotierend: «Schon seit langem.😊». Daran schliesst die folgende Antwort an: «Ich war nie jung!» Wird hier das Alter gar als Ideal angesehen? Oder musste die antwortende Person (zu) früh alt werden?
“Wenn ich AHV-positiv bin”
Eine weniger nette Bezeichnung für die sonst oftmals den Altersbeginn kennzeichnende Pensionierung, angelehnt an die Diagnose einer schweren Krankheit.
“Wenn es nur noch mit Viagra geht”
Die Abnahme der Potenz ist gleich für mehrere Ausstellungsbesucher ein einschneidendes Erlebnis und Anlass dafür, den Beginn des eigenen Alters anzuerkennen.
“Wenn mir im Bus ein Platz angeboten wird”
Alt ist man, wenn die anderen einen so sehen oder «wenn mir jemand sagt: That’s old school» (vgl. Bild 1 “Gruftie”).
“Wenn 40 Minuten in die Migros nicht reichen”
Alt ist man, wenn man sich selbst so sieht: «Wenn ich nicht mehr selbstständig bin», «wenn ich für alles länger brauche», «wenn ich chronisch Rückenschmerzen habe», «wenn ich ohne Aussicht auf Erholung erschöpft bin» oder auf eine simple Gleichung reduziert: «Alt = no energy».
“Wenn ich mehr Falten als Pickel habe”
Die Veränderungen des Äusseren wurden auffällig selten genannt: «Wenn man graue Haare bekommt.» Die Veränderungen des Hörbaren wurden dafür nicht vergessen: «Wenn man Geräusche macht beim Aufstehen.»
“Wenn ich nichts mehr dazu sage”
Wenn man nicht mehr motiviert ist, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, «wenn sich ein Studium nicht mehr lohnt», «wenn ich mich dem Leben verweigere», «wenn mir alles verleidet ist.»
“Wenn ich mein inneres Kind verliere”
Und auch noch richtig negative, z.T. durchaus augenzwinkernd zu verstehende Assoziationen und Stereotype wollen genannt sein: «wenn ich beginne, Landschaftsfotos in den Whatsapp-Stories zu posten», «wenn ich mich über einen neuen Staubsauger mehr freue als über Kino-Gutscheine», «wenn mich Küchenutensilien faszinieren», «wenn ich altklug werde», «wenn beim Niessen die Zähne rausfallen».
“Jetzt gerade”
Das Sich-alt-fühlen kommt und geht – Alter bleibt negativ behaftet. So sieht es auch die fremdsprachige Studentin: «Als ich Deutsch lernte.»
“Wenn game over und es wirklich ernst wird”
Alter = Tod: «Wenn ich bereit bin zu gehen und loslassen kann», «beim letzten Schritt», «beim letzten Atemzug». Erst beim letzten Atemzug und Schritt wird man alt? Nach diesem Verständnis würde das Alter zwar mit dem Sterben assoziiert, dafür wären aber alle vorhergehenden Lebensphasen – also auch die Fragilisierung im fortgeschrittenen Alter – keine gesonderten Lebensabschnitte, sondern Teil des Lebens.
“Wenn du alle deine Ziele im Leben erreicht hast”
Wow, das Alter als Vollendung!
Literatur und Medien zum Thema
Ein Beitrag von Dieter Sulzer
Titelbild: Foto ZHAW
Wo nicht anders genannt, steht dieses Werk unter Lizenz CC BY 4.0 ZHAW, Hochschulbibliothek (Stand 17.05.24).