Akademische Bibliotheken, heisst es für viele immer noch, sind Orte der Stille, in denen alles schon reglementiert ist. Man kommt, liest sein Ding allein und in aller Ruhe und geht wieder nach Hause. Das Leben findet ausserhalb eines Gebäudes statt, das als «Tempel des Wissens» geehrt und mit einer gewissen Distanzierung betreten werden soll. In dieser Vorstellung sind Bibliothekar:innen dann eine Art Priester:innen, die zwar mit dem Publikum interagieren, jedoch in halb-ritualisierten Formen. Ein wahrer Dialog findet eigentlich nicht statt. Es wird durch die Wiederholung von etablierten Formeln kommuniziert. Diese soll man sich zuerst aneignen, um das Spiel «Bibliotheksbesuch» spielen zu können.
Falls Sie dieses Bild von einer akademischen Bibliothek haben, dann haben Sie die Bibliothek der ZHAW noch nicht besucht. An allen drei Standorten sowie im digitalen Raum bietet unsere Bibliothek eine breite Palette an Services und ermöglicht verschiedene Arbeitsformen für Studierende sowie für Forschende und Dozierende. Dennoch ist die Bibliothek keineswegs «fertig» und dies aus einem guten Grund: Die Suche nach dem Dialog mit der ZHAW-Community ist ein integraler Bestandteil unserer Dienstleistungskultur und durch den Dialog ist unser Angebot ständig in Veränderung begriffen.
Spielerisch zu neuen Ideen
Jüngst hat die Bibliothek den Austausch mit den neuen Studierenden aktiv gesucht, indem sie diese aufforderte, ihre Wünsche und Bedürfnisse mitzuteilen. Und dies nicht durch die klassische Auswahl von vorgefertigten Optionen aus einer Liste, sondern mithilfe eines spielerischen Befragungstools. Dieses Tool motivierte die Teilnehmenden dazu, eigene Ideen einzubringen und von anderen Teilnehmenden eingebrachte Ideen laufend zu bewerten.
In Kooperation mit dem an der ZHAW angesiedelten Projekt «Beyond Public Management – # E-Partizipation auf Basis kollektiver Intelligenz» wurde die App «Citizen Talk» während der Einführungswoche für neue Studierende im September 2022 eingesetzt. Die Teilnehmenden hatten am Ende der Einführungen die Möglichkeit, sich anzumelden und in anonymisierter Form ihre Erwartungen und Ideen mitzuteilen.
«Was wünschst du dir von deiner Bibliothek? Auf welche Infrastruktur legst du in deiner Bibliothek wert? Welche Informationsquellen sind dir bei deiner Bibliothek wichtig? Welche Art von Unterstützung oder Hilfe wünschst du dir von deiner Bibliothek?». Diese vier Fragen, die das ganze Angebot der Bibliothek abdecken bzw. Raum geben, um die unterschiedlichsten Bedürfnisse äussern zu können, wurden gestellt. Einige vorformulierte Antworten wie «Events», «Gruppenräume» oder «Schreibberatung» wurden angeboten, um den Teilnehmenden eine erste Idee zu geben.
Bestätigung und Anregung
Über 200 neue Studierende nahmen an der Aktion teil: Die Ergebnisse können als sehr bereichernd bezeichnet werden. Nur wenige der vorgegeben Beispielantworten rangierten unter den meistgewählten Wünschen – die populärsten Ideen stammten von den Studierenden selbst. Für die Bibliothek waren diese Antworten in doppelter Hinsicht hilfreich: Einerseits bestätigt ein Grossteil der Wünsche das bereits bestehende Angebot (Arbeitsplätze, Gruppenräume, breites Medienangebot, elektronische Zugänge), das durch weitere Kommunikationskampagnen bekannter gemacht werden kann. Andererseits gab es auch Innovationsanregungen und Verbesserungsvorschläge, von denen einige bereits umgesetzt werden können. Der Zugang zu heissem Wasser, z.B. für die Zubereitung von Tee, entspricht einem verbreiteten Bedürfnis. Dem tragen wir Rechnung, indem wir in unserer Kommunikation noch stärker auf die bereits bestehenden Möglichkeiten hinweisen (Erhitzung in den bereits vorhandenen Mikrowellengeräten, Heisswasserfunktion bei Kaffeemaschine).
Dies ist aber nicht das Ende der Geschichte: Die Bibliothek informiert mittels der App alle Teilnehmenden sowie die ZHAW-Community über die Umfrageergebnisse (der Download steht Ihnen am Ende des Beitrages zur Verfügung) und bringt damit zum Ausdruck, dass deren Anregungen Wirkung haben. Ebenso will die ZHAW-Hochschulbibliothek weiter im Dialog bleiben, deswegen ist auch eine neue digitale Befragungsrunde geplant, die noch stärker auf die Vision der zukünftigen Bibliothek setzt und die eigene Strategie, wie z.B. die Konzeption der Bibliothek als Dritter Ort, mithilfe ihrer Kund:innen überprüfen soll.
Ein Beitrag von Dr. Enrique Corredera Nilsson
Titelbild: “Junge leute stehen und reden miteinander. sprachblase, smartphone, flache vektorillustration des mädchens…” von pch.vector unter freepik-Lizenz
Wo nicht anders genannt, steht dieses Werk unter Lizenz CC BY 4.0 ZHAW, Hochschulbibliothek (Stand 09.02.23).