The Bigger, the Better?

Geplantes «Superspital» in Dänemark                              Quelle: Bjarke Ingels Group (BIG), 2013

Von Tobias Müller

Mit mehr als 300 Spitälern, Reha- und Psychiatriekliniken hat die Schweiz eine der höchsten Spitaldichten der Welt. Die hohe Dichte bringt offenkundige Vorteile bei der Erreichbarkeit: So erreichen trotz der teilweise schwierigen Topografie 94% der Bevölkerung ein Allgemeinspital innerhalb von 15 Autofahrminuten. Gleichzeitig können sich drei Viertel der Bevölkerung in einem Radius von 30 Fahrminuten in einem von mindestens 8 Spitälern behandeln lassen (Christen & Keating, 2013). Was sich auf den ersten Blick als eine Stärke des schweizerischen Gesundheitswesens präsentiert, offenbart jedoch bei genauerer Betrachtung einige tiefgreifenden Schwächen. Denn gerade im Spitalwesen gilt die alte Binsenwahrheit: «Das Leben baut nichts auf, wozu es die Steine nicht woanders herholt.»

Welchen Preis bezahlen wir also für die hohe Spitaldichte in der Schweiz?

Zunächst einmal ist das Betreiben von Spitälern und Kliniken eine kostenintensive Angelegenheit: So belaufen sich die Ausgaben für Krankenhäuser im Jahr 2017 auf rund CHF 29 Mrd., was 35% der totalen Gesundheitsausgaben der Schweiz entspricht (BfS, 2019). Gleichzeitig wachsen die stationären Kosten seit Jahrzenten stetig an und eine Trendwende scheint sich trotz enormer Reformbemühungen (Stichworte Fallpauschalen und «Ambulant vor Stationär») vorerst nicht abzuzeichnen. Der Fokus dieses Beitrags soll allerdings nicht in einer weiteren Diskussion der steigenden Kosten im stationären Sektor liegen. Vielmehr soll der Zusammenhang zwischen Spitaldichte und der Qualität der medizinischen Versorgung beleuchtet werden.

Wie hängen Behandlungsqualität und Spitaldichte zusammen?

Im Wesentlichen bedeutet eine hohe Dichte an Krankenhäusern und Kliniken, dass sich die Patienten in der Schweiz auf mehr Spitäler verteilen als etwa in einem konzentrierten Spitalmarkt mit einigen wenigen grossen «Kompetenzzentren», wie er beispielsweise in Dänemark zu beobachten ist. Für die einzelnen Spitäler bedeutet die stärkere Segmentierung des Patientenmarktes tiefere Fallzahlen pro Eingriff, wodurch wir bei der Wurzel des Problems angelangt sind: Tiefere Fallzahlen gehen mit einer tieferen Behandlungsqualität einher, wie die bisherige Forschung wiederholt gezeigt hat (z.B. Gaynor et al. 2005; Mesman et al., 2015).

Warum spielen Fallzahlen eine Rolle für die Behandlungsqualität?

Der Hauptgrund ist ebenso einfach wie einleuchtend und basiert auf dem Prinzip: «Practice makes perfect». Chirurgen, die einen bestimmten Eingriff schon vermehrt durchgeführt haben, durchlaufen eine Lernkurve und werden damit über die Zeit immer besser in ihrem «Handwerk». Dadurch werden Komplikationen wie Infektionen oder Blutungen seltener und sogar Todesfälle können häufiger vermieden werden. Ausserdem ist davon auszugehen, dass Ärzte mit zunehmendem Behandlungsvolumen besser darin werden, besonders geeignete Patienten für einen Eingriff zu selektionieren. Solche positiven Lerneffekte können sich allerdings nur dann materialisieren, wenn Leistungsbringer genügend «Übung» erhalten, womit wir wieder bei den Fallzahlen angelangt sind. Spitäler mit höheren Fallzahlen ermöglichen ihren Ärzten tendenziell mehr Übungsmöglichkeiten, wodurch diese mehr Erfahrung bei bestimmten Eingriffen aufbauen. Dies schlägt sich in weniger Komplikationen und einer höheren Qualität der medizinischen Versorgung nieder.

Neben diesem klassischen «learning-by-doing» Effekt zeigen wir in einer eigenen empirischen Untersuchung im Bereich von Herzklappenersatzoperationen, dass hohe Fallzahlen mit zusätzlichen Vorteilen für die Behandlungsqualität einhergehen (Van Gestel et al., 2017). Zum einen haben Spitäler mit hohen Fallzahlen in der Regel Skalenvorteile gegenüber kleineren Spitälern. Diese zeigen sich beispielsweise in einer besseren technischen Ausstattung, mehr Personal und standardisierten Prozessen. Zum anderen verstreicht in grösseren Spitälern weniger Zeit zwischen Eingriffen, wodurch die gelernten Fähigkeiten der behandelnden Ärzte weniger stark «einrosten» und stets mit zusätzlichen Behandlungen weiter trainiert werden.

Vor diesem Hintergrund sind die aktuellen Zentralisierungsbestrebungen des Kantons St. Gallen – Künftig sollen nur noch an vier von den neun vorhandenen Spitalstandorten stationäre Leistungen angeboten werden – durchaus zu begrüssen. Auch die Einführung von Mindestfallzahlen für bestimmte Eingriffe durch die Kantone scheint ein Schritt in die richtige Richtung zu sein. Trotzdem werden auch heute noch Kleinspitäler gebaut, wie der letztjährige Volksentscheid im Kanton Appenzell Innerhoden verdeutlicht. Über den politischen und ökonomischen Sinn oder Unsinn solcher Entscheide kann man sicher gerne streiten – für die Behandlungsqualität jedenfalls gilt: «the bigger, the better».

Dr. Tobias Müller ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Fachstelle Gesundheitsökonomische Forschung am WIG.

Referenzen

Christen, A. & Keating, G. (2013). Gesundheitswesen Schweiz 2013: Der Spitalmarkt im Wandel. Credit Suisse, Global Research.

Gaynor, M., Seider, H., & Vogt, W. B. (2005). The volume-outcome effect, scale economies, and learning-by-doing. American Economic Review, 95(2), 243-247.

Mesman, R., Westert, G. P., Berden, B. J., & Faber, M. J. (2015). Why do high-volume hospitals achieve better outcomes? A systematic review about intermediate factors in volume–outcome relationships. Health Policy, 119(8), 1055-1067.

Van Gestel, R., Müller, T., & Bosmans, J. (2017). Does my high blood pressure improve your survival? Overall and subgroup learning curves in health. Health economics, 26(9), 1094-1109.

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