
Von Cécile Grobet
Schlafstörungen gehören zu den häufigsten Gesundheitsproblemen in modernen Gesellschaften. Etwa ein Drittel aller Erwachsenen leidet unter Ein- oder Durchschlafstörungen [1] [2]. Neben erhöhter Tagesmüdigkeit und reduzierter Leistungsfähigkeit sind Schlafprobleme mit einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen, Depressionen und Unfälle verbunden [3]. Angesichts dieser Belastung für Betroffene und das Gesundheitssystem sind wirksame, sichere und kostengünstige Behandlungsmöglichkeiten gesucht.
Von Baldrian bis Verhaltenstherapie: aktuelle Behandlungsansätze
Die Behandlungsmöglichkeiten für Schlafstörungen sind vielfältig: pflanzliche Präparate wie Hopfen oder Baldrian, verschreibungspflichtige Medikamente (z. B. Benzodiazepinrezeptor-Agonisten oder Antidepressiva), sowie nicht-medikamentöse Methoden wie Schlafhygiene oder kognitive Verhaltenstherapie. Während kognitive Verhaltenstherapie in den europäischen Leitlinien für Schlafstörungen als Ersttherapie bei chronischen Schlafstörungen empfohlen wird [3] [4], ist der Zugang aufgrund limitierter Angebote und hoher Kosten nicht immer einfach. Medikamente können kurzfristig helfen, sind aber oft mit Nebenwirkungen und Abhängigkeitspotenzial verbunden [5]. Pflanzliche Präparate wie Baldrian werden zwar breit angewendet, doch ist die wissenschaftliche Evidenz hier bisher gemischt [6]. Wie in einem früheren Blogbeitrag bereits erwähnt, führt unser Institut aktuell ein umfassendes Health Technology Assessment zu baldrianhaltigen Medikamenten durch.
Welche anderen Möglichkeiten gibt es neben den bekannten Behandlungen?
Cognitive Shuffling: Ein Trend aus Social Media
Auf Plattformen wie TikTok und Instagram häufen sich Erfahrungsberichte zu einem Ansatz, der „Cognitive Shuffling“ genannt wird. Die Methode wurde ursprünglich von Luc Beaudoin, einem kanadischen Kognitionswissenschaftler, entwickelt [7]. Die Idee: Wer beim Einschlafen seine Gedanken absichtlich „durchmischt“, unterbricht den Grübelprozess, der für viele Betroffene das Einschlafen erschwert. Dies geschieht, indem man sich ein beliebiges Wort vorstellt – beispielsweise „Baum“ – und sich dieses Bild einige Sekunden lang visualisiert. Danach nimmt man den zweiten Buchstaben des Wortes (hier: A) und denkt an ein neues Bild, zum Beispiel „Affe“. Hat man alle Buchstaben des Ausgangsworts durchgespielt, geht man zum zweiten Buchstaben und dessen Wort (hier: Affe) zurück und wiederholt den Vorgang, bis man einschläft.
Cognitive Shuffling soll dabei ähnlich wie eine Art mentales Puzzle wirken: Die Aufmerksamkeit wird auf neutrale, nicht zusammenhängende Bilder gelenkt, wodurch die präfrontale Kortex-Aktivität reduziert und der natürliche Übergang in den Schlaf gefördert werden soll.
Was sagt die Wissenschaft?
Die wissenschaftliche Evidenz zu Cognitive Shuffling ist bisher sehr begrenzt. Es existiert eine Pilotstudie sowie anekdotische Berichte, die positive Effekte beschreiben [8]. In kleinen Stichproben konnte gezeigt werden, dass die Zeit bis zum Einschlafen reduziert und die subjektive Schlafqualität verbessert werden kann. Allerdings fehlen bislang randomisierte kontrollierte Studien mit grösseren Patientengruppen und objektiv gemessenen Ergebnissen (z.B. mit Geräten gemessene Schlafqualität). Zudem geht die Methode nicht auf die Ursachen der Schlafstörung ein, sondern zielt primär auf eine kurzfristige Erleichterung beim Einschlafen ab.
Im Vergleich zur kognitiven Verhaltenstherapie oder medikamentösen Therapien ist Cognitive Shuffling deutlich weniger erforscht. Es ist daher nicht möglich, von einer gleichwertigen Alternative zu sprechen.
Einordnung aus gesundheitsökonomischer Sicht
Auch wenn die Evidenzlage dünn ist, lassen sich aus gesundheitsökonomischer Perspektive erste Überlegungen anstellen: Cognitive Shuffling verursacht praktisch keine Kosten, ist nebenwirkungsfrei und kann ohne therapeutische Begleitung ausprobiert werden. Für Betroffene mit milden Schlafstörungen könnte es deshalb eine niedrigschwellige Option darstellen. Gleichzeitig gilt: Ohne belastbare Daten lässt sich weder der Nutzen noch die Kostenersparnis gegenüber etablierten Verfahren valide abschätzen.
Fazit: Interessant, aber (noch) nicht etabliert
Cognitive Shuffling ist ein spannender Ansatz, der im öffentlichen Diskurs – nicht zuletzt durch Social Media – grosse Aufmerksamkeit erhält. Für Betroffene könnte er eine einfache, alltagsnahe Möglichkeit sein, besser zur Ruhe zu kommen. Aus wissenschaftlicher Sicht ist die Methode jedoch noch nicht ausreichend untersucht. Eine generelle Empfehlung lässt sich daher nicht ableiten.
Für die Praxis könnte man sagen: Wer unter gelegentlichen Einschlafproblemen leidet, kann Cognitive Shuffling gefahrlos ausprobieren. Bei anhaltenden Schlafstörungen sollten jedoch weiterhin evidenzbasierte Verfahren wie kognitive Verhaltenstherapie im Vordergrund stehen.
Cécile Grobet ist Co-Leitung Team HTA und gesundheitsökonomische Evaluationen und wissenschaftliche Mitarbeiterin am WIG.
Literatur
[1] Bundesamt für Statistik. Schweizerische Gesundheitsbefragung 1997-2022: Schlafstörungen. Schweiz. Gesundheitsbefragung 1997-2022 Schlafstörungen. 2024. https://www.bfs.admin.ch/news/de/2024-0165 (accessed 6 September 2025)
[2] Das Schweizerische Gesundheitsobservatorium (Obsan). Einschlaf- oder Durchschlafstörungen | Obsan. Indik. Einschlaf- Oder Durchschlafstörungen. 2025. https://ind.obsan.admin.ch/indicator/obsan/einschlaf-oder-durchschlafstoerungen (accessed 6 September 2025)
[3] Riemann D, Baglioni C, Bassetti C, et al. European guideline for the diagnosis and treatment of insomnia. J Sleep Res. 2017;26:675–700. doi: 10.1111/jsr.12594
[4] Trauer JM, Qian MY, Doyle JS, et al. Cognitive Behavioral Therapy for Chronic Insomnia: A Systematic Review and Meta-analysis. Ann Intern Med. 2015;163:191–204. doi: 10.7326/M14-2841
[5] Sateia MJ, Buysse DJ, Krystal AD, et al. Clinical Practice Guideline for the Pharmacologic Treatment of Chronic Insomnia in Adults: An American Academy of Sleep Medicine Clinical Practice Guideline. J Clin Sleep Med. ;13:307–49. doi: 10.5664/jcsm.6470
[6] Shinjyo N, Waddell G, Green J. Valerian Root in Treating Sleep Problems and Associated Disorders—A Systematic Review and Meta-Analysis. J Evid-Based Integr Med. 2020;25:2515690X20967323. doi: 10.1177/2515690X20967323
[7] Beaudoin LP. A design-based approach to sleep-onset and insomnia: super-somnolent mentation, the cognitive shuffle and serial diverse imagining. Comput Model Cogn-Emot Interact Relev Mech Affect Disord Ther Action. Published Online First: 24 July 2014.
[8] Digdon N, Beaudoin LP. A test of the somnolent mentation theory and the cognitive shuffle insomnia treatment. 2015. https://summit.sfu.ca/item/15270 (accessed 6 September 2025)