Sind Microcredentials die «Präzisionsmedizin» der Weiterbildung?

Quelle: Adobe Stock

Von Cassandra Waech

Fach- und Führungskräfte sowie Arbeitgebende sind zunehmend auf der Suche nach den right skills at the right time. Angesichts der rasanten Digitalisierung entwickelt sich Wissen dynamisch weiter und die Anforderungen verändern sich immer rascher. Microcredentials als kurze und flexible Weiterbildungsformate gewinnen dadurch stark an Bedeutung: sie ermöglichen es, zielgerichtet genau die Kompetenzen zu erwerben, die aktuell benötigt werden.

Was sind Microcredentials und warum sind sie relevant?

Microcredentials* sind kompakte Lerneinheiten, die gezielt auf spezifische Fähigkeiten fokussieren und diese bescheinigen. Sie gelten als innovatives Instrument mit Potenzial zur Lösung zahlreicher Herausforderungen im Bildungsbereich, beispielsweise zur Bekämpfung des Fachkräftemangels, der Förderung der Chancengleichheit oder zur Validierung von nicht formalem und informellem Lernen. Der Europäische Rat hat bereits im Jahr 2022 eine «Empfehlung zu einem europäischen Ansatz für lebenslanges Lernen und Beschäftigungsfähigkeit» formuliert. Seitdem befassen sich verschiedene Experten mit dem Konzept – auch die diesjährige Herbsttagung 2024 des Zentrums für universitäre Weiterbildung ZUW widmete sich dem Thema: «Microcredentials in der Hochschulweiterbildung: kleines Format, grosse Wirkung?»

Life Long Learning als Voraussetzung für die eigene (Arbeitsmarkt-)Fähigkeit

In einer sich schnell verändernden Arbeitswelt benötigen Fachkräfte aktuelle Kenntnisse, um die Ansprüche zu erfüllen. Microcredentials ermöglichen es, diese effizient und zeitnah zu erwerben – individuelle Lernwege und massgeschneidertes Lernen werden möglich. Bereits erworbene Qualifikationen lassen sich in kurzer Zeit erweitern oder aktualisieren und zusätzliche Kompetenzen lassen sich neu erwerben.

Ein Anfang in diese Richtung sind beispielsweise die neu lancierten Micro-Teaching des ZHAW Digital Health Lab mit ihren kleinen Wissens-Shots für die digitale Transformation im Gesundheitswesen. Sie bieten kompakte und praxisnahe Kurse zu aktuellen Themen der digitalen Gesundheit.

Microcredentials bieten dank ihrer kurzen Dauer eine hohe Flexibilität, was die Vereinbarkeit von Beruf, Weiterbildung und Privatleben erleichtert. Sie ermöglichen es, ein bestimmtes Thema «auszuprobieren». Die niedrigen Kosten erleichtern den Zugang, was für eine wirksame Kultur des lebenslangen Lernens entscheidend ist. So kann jede/r die nötigen Kompetenzen für Erfolg in Gesellschaft, Beruf und persönlichem Leben erwerben.

Was wünschen sich Arbeitgeber?

In Zeiten von Fachkräftemangel steigt die Herausforderung für Arbeitgebende, genügend qualifizierte Arbeitskräfte zu finden. Deshalb investieren sie – wie das Referat von Herrn Jordi, Leiter Human Resources SBB und Mitglied der Konzernleitung, zur «Einschätzung aus Arbeitgebersicht» an der Herbsttagung der ZUW aufzeigte – verstärkt in die Personalentwicklung: dank wissensstarken Mitarbeitenden können Ressourcen bedarfsgerecht eingesetzt und die Innovationskraft sowie die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens verbessert werden.

Microcredentials lassen sich einfach in den Arbeitsalltag integrieren und versprechen einen raschen Return on Investment, da sie spezifisches Know-how vermitteln – so kann gezielt auf individuelle Anforderungen reagiert werden. Gemäss Jordi ist es dabei wichtig, die Vergleichbarkeit im stetig wachsenden «Weiterbildungsdschungel» sicherzustellen. Deshalb sollten auch kurze Lerneinheiten zertifiziert werden. Denn ein Qualitätsnachweis ist sowohl für Lernende als auch für Arbeitgebende relevant.
Ein weiterer zentraler Aspekt ist die Anschlussfähigkeit: Microcredentials sollten stapelbar sein und zu einem höheren Abschluss führen können. Dies erhöht die Durchlässigkeit des Bildungssystems.

Was meinen die Anbieter? –  Nichts Neues, aber irgendwie doch

Bildungsinstitutionen in der Schweiz sind im Vergleich zu Anbietern aus anderen Europäischen Ländern aufgrund des dualen Bildungssystems bereits mit modularen (CAS/MAS) und kleinformatigen Weiterbildungsangeboten vertraut. Microcredentials ähneln in vielerlei Hinsicht den an der ZHAW bereits etablierten CAS oder Weiterbildungskursen (WBKs). Auch andere Hochschulen bieten ähnliche Weiterbildungsformate unter unterschiedlichen Namen an. Doch um die gewünschte Anschlussfähigkeit zu gewährleisten, bedarf es klarer Deklarationen und einheitlicher Qualitätsstandards. Swissuni, der Schweizerische Verband der universitären Weiterbildung, formulierte diesbezüglich ein Positionspapier zu Micro-Credentials für ein gemeinsames Verständnis und Handhabe.  

Microcredentials bieten spannende Möglichkeiten, erfordern aber eine sorgfältige Planung. Die administrative Komplexität und der Beratungsaufwand sind grösser, da die curriculare Studienplanung anspruchsvoller wird. Das Kosten-Nutzen Verhältnis sollte gut überdacht werden.

Fazit: Präzisionsbildung analog zur Präzisionsmedizin

Ähnlich wie bei der personalisierten Medizin geht es auch in der Weiterbildung darum, aus einer Vielzahl von Angeboten die passende Behandlung zu finden. Dabei müssen Risiken und Nebenwirkungen abgeschätzt werden. Mit gezielter Abstimmung auf den spezifischen Gesundheitszustand und die persönlichen Merkmale kann im Idealfall eine massgeschneiderte Behandlungsstrategie entwickelt werden – so angewendet, können Microcredentials einen echten Mehrwert liefern.

Cassandra Waech ist Studienleitung, Team Weiterbildung WIG.

Quellen und weitere Bezüge:

* Europäischer Rat (2022). Begriffsbestimmung: «Microcredentials sind Nachweise über die Lernergebnisse, die eine Lernende bzw. ein Lernender im Rahmen einer weniger umfangreichen Lerneinheit erzielt hat. Diese Lernergebnisse werden anhand transparenter und eindeutig definierter Kriterien beurteilt. Lernerfahrungen, die zum Erhalt von Microcredentials führen, sind so konzipiert, dass sie den Lernenden spezifische Kenntnisse, Fertigkeiten und Kompetenzen vermitteln, die dem gesellschaftlichen, persönlichen, kulturellen oder arbeitsmarktbezogenen Bedarf entsprechen. Microcredentials sind Eigentum der Lernenden, können geteilt werden und sind übertragbar. Sie können eigenständig sein oder kombiniert werden, sodass sich daraus umfangreichere Qualifikationen ergeben. Sie werden durch eine Qualitätssicherung gestützt, die sich an den im jeweiligen Sektor oder Tätigkeitsbereich vereinbarten Standards orientiert.»

Rat der Europäischen Union EU (2022). Ein europäischer Ansatz für Microcredentials
Schweizerischer Verband der universitären Weiterbildung Swissuni (2023). Positionspapier zu Micro-Credentials
Swissuniversities (2024). Microcredentials – Gemeinsames Verständnis der Schweizer Hochschulen
Zentrum für universitäre Weiterbildung ZUW (2024). Herbsttagung: «Microcredentials in der Hochschulweiterbildung»
ZHAW, Digital Health Lab Academy. Digital Health & the Human Factor: Gesamtkurs
ZHAW, WIG. Weiterbildungen am WIG in der Übersicht


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