Wie berechnen wir krankheitsbedingte Arbeitsausfälle? (Teil I / II)

Quelle: BartPhoto @ Adobe Stock

Von Mélanie Lötscher-Stamm

Wenn Menschen krank sind, gehen sie entweder nicht ihren üblichen Tätigkeiten nach oder üben diese nur in reduziertem Masse aus. Bei erwerbstätigen Personen spricht man dann von Produktionseinbussen («production losses»), deren Kosten als Teil der Krankheitskosten untersucht werden können. In dieser zweiteiligen Blogbeitrags-Reihe wird zuerst untersucht, wie die Erfassung und Berechnung der Produktionseinbussen gestaltet wird, bevor im zweiten Teil das Beispiel Influenza genauer untersucht wird. 

Bei der Untersuchung von Produktionseinbussen können unter anderem folgende Formen unterschieden werden:

  • Absenteeism («Absentismus»1) beschreibt, dass Personen aufgrund einer Erkrankung nicht zur Arbeit erscheinen. Dies hat eindeutige Auswirkungen auf die Quantität der geleisteten Arbeit.
  • Presenteeism («Präsentismus»2) beschreibt, dass Personen trotz Erkrankung zur Arbeit erscheinen, diese aber aufgrund der Erkrankung nicht in der gleichen Qualität oder Quantität ausüben können.

Um die totalen Produktionseinbussen zu erfassen, müssten grundsätzlich beide Phänomene berücksichtigt werden. Wie aber können diese erfasst werden?

Absenteeism könnte grundsätzlich basierend auf Arztzeugnissen respektive Abwesenheitsmeldungen beim Arbeitgeber berechnet werden, wenn der Zugriff auf diese Daten gegeben ist. Allerdings sind auch diese beiden Varianten nur eingeschränkt hilfreich: So fehlen hier die Informationen, aufgrund welcher Erkrankung die Person bei der Arbeit gefehlt hat, wodurch eine Zuteilung der entstandenen Kosten zu einer Krankheit unmöglich wird. Zusätzlich können in einigen Ländern (wie z.B. der Schweiz) kurze Abwesenheiten auch ohne Arztzeugnis akzeptiert werden, wodurch nicht für jede Abwesenheit auch ein Zeugnis ausgestellt wird. Die Analyse über ausgestellte Arztzeugnisse oder eingereichte Abwesenheitsmeldungen ist daher nur eingeschränkt geeignet – und aufgrund des Datenzugriffs sowieso schwierig umzusetzen.

Der Weg zur Messung von Absenteeism führt daher oft über Fragebögen. Verschiedene Review-Arbeiten haben versucht, eine Übersicht der häufigsten Instrumente zu erstellen [1-3]. Ein bekanntes Beispiel ist der «Work Productivity and Activity Impairment Questionnaire (WPAI)» [4]. Mit diesem Fragebogen wird unter anderem abgefragt, wie viele Stunden die befragte Person in den letzten sieben Tagen aufgrund ihrer Krankheit nicht arbeiten konnte. Da es sich um eine Selbstauskunft handelt, werden nur die letzten sieben Tage abgefragt. Dadurch soll verhindert werden, dass die Angaben aufgrund schwindender Erinnerung verfälscht werden. Neben dem WPAI gibt es noch eine breite Auswahl weiterer Instrumente, die teilweise für spezifische Krankheitsbilder erstellt oder angepasst wurden (siehe erwähnte Literatur).

Presenteeism ist ebenfalls nur schwierig messbar. In vielen Berufen ist die Leistung einer Person nicht eindeutig messbar, weder in der erreichten Quantität noch in der erreichten Qualität. Auch hier muss daher auf eine Erhebung durch Fragebögen zurückgegriffen werden. Der zuvor erwähnte WPAI-Fragebogen beinhaltet beispielsweise auch eine Frage dazu, wie die befragte Person ihren Produktivitätsverlust während der geleisteten Arbeitszeit inschätzt. Andere Fragebögen wurden spezifisch nur für den Aspekt des Presenteeism entwickelt, wie beispielsweise der «Work Limitations Questionnaire (WLQ)» [5]. Auch hier handelt es sich natürlich um eine Selbsteinschätzung der betroffenen Person.

Um nun die Kosten dieser Produktionsverluste zu berechnen, müssen die erfassten und hochgerechneten Stunden mit einem entsprechenden Preisschild versehen werden. Dazu wird beispielsweise der nationale Durchschnittslohn als Ansatz verwendet [6] oder die Personen werden zusätzlich zu ihrem durchschnittlichen Monatslohn befragt, welcher als Basis verwendet wird [7]. Natürlich wirkt sich Krankheit auch auf die Tätigkeiten von nicht-erwerbstätigen Personen aus. Auch diese werden durch die Fragebögen teilweise erfasst. Da sich die Quantifizierung mit einem Kostensatz allerdings schwierig gestaltet, wird dieser Produktionsverlust in Studien oft ignoriert. Für ein ganzheitliches Bild der Produktionseinbussen einer Krankheit müssten zudem auch jene von pflegenden Angehörigen einbezogen werden, was die Berechnung natürlich noch komplexer gestaltet.

Im zweiten Teil dieser Beitragsreihe wird aufgezeigt, welche Schwierigkeiten sich in der Untersuchung der Produktionseinbussen aufgrund Influenza-Erkrankungen ergeben und wie in der nationalen und internationalen Literatur mit diesen Schwierigkeiten umgegangen wird.

1 Während der englische Begriff «absenteeism» krankheitsbedingte Abwesenheiten bezeichnet, ist der deutsche Begriff des «Absentismus» häufig mit Abwesenheiten ohne Krankheitsgrund verbunden. Für den Blogbeitrag wird daher der englische Begriff verwendet.

2 Sowohl der englische Begriff «presenteeism» als auch der deutsche Begriff «Präsentismus» wird verwendet, um Personen zu beschreiben, die trotz Krankheit am Arbeitsplatz erscheinen und Leistungen erbringen. Für die Vereinheitlichung des Beitrags wird auch hier der englische Begriff verwendet.

Mélanie Lötscher-Stamm ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Team Gesundheitsökonomische Forschung am WIG.

Referenzen:

[1] Mattke, S., Balakrishnan, A., Bergamo, G., & Newberry, S. J. (2007). A review of methods to measure health-related productivity loss. American Journal of Managed Care, 13(4), 211.

[2] Lofland, J. H., Pizzi, L., & Frick, K. D. (2004). A review of health-related workplace productivity loss instruments. Pharmacoeconomics, 22, 165-184.

[3] Hubens, K., Krol, M., Coast, J., Drummond, M. F., Brouwer, W. B., Uyl-de Groot, C. A., & Hakkaart-van Roijen, L. (2021). Measurement instruments of productivity loss of paid and unpaid work: a systematic review and assessment of suitability for health economic evaluations from a societal perspective. Value in Health, 24(11), 1686-1699.

[4] Reilly, M. C., Zbrozek, A. S., & Dukes, E. M. (1993). The validity and reproducibility of a work productivity and activity impairment instrument. Pharmacoeconomics, 4, 353-365.

[5] Lerner, D., Rogers, W., Chang, H. (2002). The work limitations questionnaire. Qual Life Newsl. 28. 9-10.

[6] Braakman-Jansen, L. M., Taal, E., Kuper, I. H., & van de Laar, M. A. (2012). Productivity loss due to absenteeism and presenteeism by different instruments in patients with RA and subjects without RA. Rheumatology, 51(2), 354-361.

[7] Henke, C. J., Levin, T. R., Henning, J. M., & Potter, L. P. (2000). Work loss costs due to peptic ulcer disease and gastroesophageal reflux disease in a health maintenance organization. The American journal of gastroenterology, 95(3), 788-792.


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