INPUTS AUS BERLIN UND SMARTER HEALTH CARE IN DER SCHWEIZ

Quelle: eigene Aufnahme Maria Carlander

Von Maria Carlander

Das Deutsche Netzwerk für Versorgungsforschung organisierte Ende März zum 11. Mal eine Spring School, d.h. eine Weiterbildung im Bereich Versorgungsforschung. Eine Delegation des Teams Versorgungsforschung des WIG ist mit dem Zug nach Berlin gereist und hat an der Weiterbildung teilgenommen, um Inputs für ihre aktuellen und zukünftigen Forschungsprojekte zu gewinnen. Die Spannbreite der Versorgungsforschung ist gross und die an der Spring School angebotenen Module hatten hauptsächlich einen methodologischen Fokus. Der Inhalt und die Erfahrungen der deutschen Kolleg:innen hat zum Nachdenken über die Zukunft der Versorgungsforschung angeregt. Es ist interessant zu sehen, in welche Richtung sie sich entwickelt – in der Schweiz ist Versorgungsforschung eher eine neue Disziplin, die in den letzten zehn Jahren durch unterschiedliche Förderprogramme, z.B. das Nationalfondprojekt NFP 74,  unterstützt wurde. In Deutschland hat die Versorgungsforschung einen hohen Stellenwert und ist tief in der deutschen Gesundheitspolitik und Public Health verankert, ähnlich wie Ernährungsforschung oder Prävention. An einigen Universitäten kann man sogar einen Master in Versorgungsforschung absolvieren.

In diesem Blogbeitrag reflektiere ich die Inputs aus Deutschland zu den Entwicklungen der Gesundheitsversorgung und Versorgungsforschung der Schweiz.

Das NFP 74 hat nach Abschluss des Förderprogramms auf drei Ebenen Empfehlungen für Grundlagen einer «smarten» Gesundheitsversorgung der Zukunft generiert. Im Folgenden werde ich auf einige von diesen eingehen.

NFP 74 Empfehlung für eine smarte Gesundheitsversorgung auf Ebene der Patient:innen

«Die Gesundheitsversorgung soll verstärkt partizipativ und auf den gesamten Lebenskontext der Menschen ausgerichtet werden.»

Bei der partizipativen Versorgungsforschung geht es darum, Patient:innen von der Projektentwicklung an aktiv mitwirken zu lassen. Wichtig dabei ist, dass die Patient:innen auch ein Mitbestimmungsrecht haben, sonst besteht das Risiko einer Pseudobeteiligung («tokenism»). Bei der partizipativen Gesundheitsversorgung geht es in die gleiche Richtung, eine aktive Beteiligung beim eigenen Gesundheitsmanagement (d.h. nicht nur als passive Empfänger:innen) kann förderlich für die Gesundheit sein und eine positive Auswirkung auf Prävention und Selbst-Management und dadurch Gesundheitsoutcomes haben.   

«Versorgungsmodelle, in denen Patientinnen und Patienten Orientierung erhalten und durch medizinische wie nicht-medizinische Angebote geleitet werden («Scouting») sind zu fördern.»

Diese Modelle zeigen ein grosses Potential für die Schweiz. Beispielsweise könnten sogenannte Pflegelotsende für die Koordination zwischen ambulanten und stationären Leistungen und Leistungserbringern implementiert werden. Diese Rollen können von unterschiedlichen Fachpersonen übernommen worden. Für das Projekt «Bewegung als Therapie» der ZHAW wurde beispielsweise eine koordinierende Fachperson für die Bewegungs-Behandlung von nichtübertragbaren Erkrankungen vorgeschlagen.  Ein weiteres Beispiel ist das deutsche Family-SCOUT Projekt, ein Angebot für Familien mit einem krebskranken Elternteil und minderjährigen Kindern. Die Implementierung von solchen Modellen bringt aber auch grosse Herausforderungen bezüglich Finanzierung. Darüber hinaus ist eine Evaluation solcher Projekte sehr komplex und zeitintensiv.

Auf Ebene des Versorgungsnetzwerks…

«Nicht-ärztliche Gesundheitsberufe in der Grundversorgung sollen gestärkt werden. Ärztinnen und Ärzte sollen die entsprechend erweiterten Kompetenzen in ihr Vorgehen integrieren.»

In diesem Bereich passiert kontinuierlich ein Wandel in der Schweiz – beispielsweise können (hoffentlich) in Zukunft Advanced Practice Nurses eine Rolle als Pflegelotsende übernehmen und Physiotherapeut:innen ohne ärztliche Verordnung Patient:innen behandeln.

…und Auf Ebene der Systemgestalter

«Es braucht geeignete finanzielle und rechtliche Rahmenbedingungen, um innovative Versorgungsmodelle zu erproben und bei Eignung zu multiplizieren.»

Für Forschende lautet die grosse Frage immer: wo kommt das Geld für unsere Forschung her? In der Schweiz gibt es z.B. den Innovationsfonds, auch der Experimentierartikel im Bundesgesetz über die Krankenversicherung (KVG) kann bei Gelegenheit genutzt werden. Der Schweizerische Nationalfond trägt natürlich substanziell zur Forschung bei, leider sind die Eingabemöglichkeiten selten. Der Bedarf für weitere Finanzierungsmöglichkeiten für innovative Projekten und deren wissenschaftliche Evaluation ist aber weiterhin gross.

Ausblick für die Schweiz

Die schweizerische Gesundheitsversorgungslandschaft hat noch viele Baustellen, welche hoffentlich in Zukunft fertiggestellt werden. Während in Deutschland Disease-Management-Programme, z.B. für Diabetes, gesetzlich festgelegt werden, gibt es in der Schweiz keine gesetzlichen Vorgaben. Guidelines werden von Leistungserbringern teils freiwillig umgesetzt, was beispielsweise Konsequenzen für die Behandlungsqualität und die Gesundheitskosten haben kann. Aus meiner Sicht braucht es den Willen aller Stakeholder (Patient:innen, medizinische Leistungserbringer und Politik) um eine «smarte» Gesundheitsversorgung in der Schweiz zu gestalten.

Maria Carlander ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Team Versorgungsforschung am WIG.


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