Seltene Krankheiten – Wie viel darf ein Medikament kosten?

Quelle: Colourbox

Von Cécile Grobet und Dr. Renato Mattli

Im Rahmen unserer vielfältigen Tätigkeiten erhalten wir am Winterthurer Institut für Gesundheitsökonomie immer wieder Aufträge, um die Kosten-Wirksamkeit von Medikamenten für seltene Erkrankungen zu untersuchen. Was ist ein fairer Preis für ein Medikament, das eine seltene Erkrankung verlangsamt, stoppt oder sogar heilt?

Hohe Preise für Medikamente gegen seltene Krankheiten machen hin und wieder Schlagzeilen. Dabei geht es einerseits darum, dass gefragt wird, ob man sich diese Preise längerfristig leisten kann. Andererseits wird berichtet, dass komplizierte Preisverhandlungen den Zugang zu diesen Medikamenten erschweren und die Patienten Monate oder gar mehrere Jahre warten müssen, bis sich Behörden und Hersteller einig werden.

Warum sind Medikamente für seltene Krankheiten teuer?

In der Schweiz und in Europa gilt eine Krankheit als selten, wenn sie höchstens fünf von 10’000 Personen betrifft. Die Seltenheit der Krankheit führt dazu, dass oftmals nur schon die korrekte Diagnosestellung einer seltenen Krankheit eine Herausforderung ist. Es gibt weltweit zwischen 6’000 und 8’000 seltene Krankheiten. Bis die richtige Diagnose gestellt ist, dauert es manchmal Jahre oder Jahrzehnte.

Bei seltenen Krankheiten ist das Fachwissen meist klein. Dies erfordert eine gute Vernetzung und Koordination unter den Spezialisten. Die Erforschung der Krankheit und die Herstellung von möglichen Medikamenten sind langjährige und aufwändige Prozesse. Dies führt dazu, dass die Forschungskosten pro Patient/in deutlich höher sind als bei häufig vorkommenden Erkrankungen. Zur Deckung der hohen Kosten für Forschung und Entwicklung von Medikamenten mit kleinen Absatzmengen ist ein vergleichsweise hoher Medikamentenpreis nötig.

Welcher Preis ist fair?

Wann jedoch ist der Preis zu hoch und wann ist er fair? Um diese Frage beantworten zu können, helfen gesundheitsökonomische Überlegungen. Bei einer gesundheitsökonomischen Evaluation steht folgende Frage im Zentrum: «Wie sieht das Kosten-Nutzwert-Verhältnis des Medikaments aus?», oder anders ausgedrückt: «Wie viel kostet es, ein qualitätsbereinigtes Lebensjahr (QALY) mittels des Medikaments zu gewinnen?»

In der Schweiz wird diese Frage bisher individuell und ohne Berücksichtigung eines offiziellen Schwellenwerts beantwortet. Andere Länder haben einen Schwellenwert definiert, der angibt, bis zu welchen Kosten pro QALY eine Behandlung von der Grundversicherung bzw. vom Staat bezahlt wird. In England beispielsweise beträgt dieser Wert 20’000 – 30’000 Pfund. Gilt dieser Schwellenwert auch für Medikamente gegen seltene Krankheiten?

Schwellenwert für seltene Krankheiten am Beispiel England

Das National Institute for Health and Care Excellence (NICE) in England hat für hochspezialisierte Behandlungen («high-cost low-volume drugs») höhere Schwellenwerte definiert, die zudem vom Nutzwert der Behandlung für den Patienten abhängen [1]. Für Behandlungen, bei denen die Patientinnen und Patienten weniger als 10 QALYs gewinnen, wird ein Schwellenwert von GBP 100’000 pro QALY angewendet. Er ist damit rund drei- bis fünfmal höher als der Schwellenwert für übliche Behandlungen. Der maximale Schwellenwert liegt bei GBP 300’000 pro QALY für Behandlungen, die mehr als 30 zusätzliche QALYs liefern.

Fazit

Höhere Forschungskosten pro Patient/in und der kleinere Absatzmarkt sprechen sicherlich für einen höheren Medikamentenpreis bei seltenen Krankheiten im Vergleich zu häufigen Krankheiten. Die Schweiz kennt keine Kosten-Nutzwert-Schwellenwerte zur Beurteilung von Medikamentenpreisen. Am Beispiel aus England konnten wir jedoch aufzeigen, dass unterschiedliche Schwellenwerte für seltene Krankheiten im Vergleich zu häufigen Krankheiten zur Anwendung kommen können.

Referenzen

[1] Powell T, O’Donnell M. NICE appraisals of rare diseases. House of Commons Library 2019.

Cécile Grobet ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Fachstelle HTA und gesundheitsökonomische Evaluationen am WIG.

Renato Mattli ist Teamleiter der Fachstelle HTA und gesundheitsökonomische Evaluationen am WIG.

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