Von Melanie Schliek
Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO ist das Risiko eines schlechten Gesundheitszustands höher für Personen mit niedrigerem sozioökonomischem Status. Vor allem Frauen mit einem tiefen sozioökonomischen Status neigen zu einer geringeren Inanspruchnahme von Gesundheitsdienstleistungen und zeigen häufig einen schlechteren Gesundheitsstatus als Männer. Zusätzlich sind Frauen durch Schwangerschaft und Geburt mehr gesundheitlichen Risiken ausgesetzt.
Im Rahmen meiner Masterarbeit an der Universität Luzern hatte ich die Gelegenheit, in Kooperation mit der NGO Women’s World Banking ihr Mikroversicherungsprogramm Caregiver für einkommensschwache Frauen in Ägypten zu untersuchen. Die Berechtigung zu einem Mikrokredit setzt eine Teilnahme am Caregiverprogramm voraus. Die Prämien dieses Versicherungsprogrammes sind an die regelmässigen Raten der Kreditrückzahlung gekoppelt. Die Vision ist es, für nicht- oder unterversicherte Frauen ein erschwingliches, bedarfsgerechtes Versicherungssystem zugänglich zu machen und dabei einen Teil der Kosten bei einem Spitalaufenthalt zu decken. In meiner Arbeit analysierte ich, ob sich die Menge und Art der Inanspruchnahme von stationären Spitalleistungen, von Frauen im Mikroversicherungsprogramm, während der Covid-19-Pandemie veränderte.
Mit dem Ausbruch von Covid-19 fielen die Krankenhauseinweisungen weltweit stark. Teilweise arbeiteten Spitäler in der Schweiz mit weniger als 50% Auslastung. Dieses Muster konnte in vielen Ländern beobachtet werden. Die Gesundheitsbehörden liessen Wahloperationen und andere unkritische Leistungen in Spitälern verschieben. Somit wurde der Zugang zu Gesundheitseinrichtungen erschwert und auch die Angst der Bevölkerung vor einer Ansteckung hemmt die Inanspruchnahme der Gesundheitsleistungen. Dies führte dazu, dass regelmässige Gesundheitsleistungen wie Vorsorgeuntersuchungen oder Impfungen aufgeschoben wurden. Sinkende Hospitalisierungsraten könnten somit zu einem erheblichen Schaden der öffentlichen Gesundheit geführt haben.
Wie wurde die Forschungsfrage beantwortet?
Women’s World Banking stellte die Daten aus Ägypten bereit, welche den Zeitraum von Januar 2018 bis August 2020 abdeckten. Untersucht wurden vier Kategorien der Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-10): Mutterschaft, Krankheiten des Atmungssystems, des kardiovaskulären sowie des gastrointestinalen Systems. Mit einer deskriptiven quantitativen Analyse wurde die Veränderung der Anzahl und Art der Krankenhausleistungen und der Aufenthaltsdauer vor (Januar 2018 – Januar 2020) und während der Pandemie (Februar 2020- August 2020) untersucht.
Wie unterscheidet sich die Inanspruchnahme von Spitalleistungen in den verschiedenen ICD-10 Kategorien?
Während der Pandemie gab es im Vergleich zur Zeit vor Covid-19 einen deutlichen und statistisch signifikanten Anstieg bei den Spitaleintritten bei pulmonalen Erkrankungen, aber weniger Eintritte im Bereich Mutterschaft und im Bereich Herz-Kreislauf. Bei den Eintritten wegen gastrointestinalen Erkrankungen zeigte sich kein signifikanter Unterschied. Die Aufenthaltsdauer im Spital über alle vier Krankheitskategorien stieg insgesamt um 3.1 %.
Parallel zum Anstieg der Covid-19-Einweisungen zeigte sich ein Anstieg der Eintritte wegen pulmonalen Erkrankungen (alle Lungenkrankheiten abgesehen von Covid-19). Eine Erklärung dafür könnte sein, dass die auf Covid-19 sensibilisierte Bevölkerung bei jedem Husten oder einer Kurzatmigkeit ins Spital ging, obwohl es sich nicht um Covid-19, sondern um eine andere pulmonale Erkrankung handelte.
Während der Pandemie gingen die Einweisungen im Bereich Mutterschaft, im Vergleich zu vor der Pandemie, leicht zurück. Möglicherweise haben Frauen aus Angst vor einer Infektion mütterliche Gesundheitsversorgungen nicht in Anspruch genommen.
Die Eintritte bei kardiovaskulären Erkrankungen gingen während der Pandemie zurück. Diese Ergebnisse bestätigen die Resultate anderer internationaler Berichte, die einen signifikanten Rückgang der kardiovaskulären Einweisungen während der Pandemie beschreiben. Auch hier könnte der Rückgang die Angst vor einer Ansteckung im Spital widerspiegeln.
Ein Augenmerk sollte auf den Rückgang der Aufenthaltsdauer aller Spitalaufenthalte im April 2020 im Vergleich zur Zeit vor Covid-19 gelegt werden. Dies könnte darauf hindeuten, dass während des Lockdowns nur die dringendsten Fälle behandelt und diese auch frühestmöglich wieder entlassen wurden. Im Vergleich zur Zeit vor Covid-19 gab es jedoch im Juni 2020 im Schnitt einen deutlichen Anstieg der Aufenthaltsdauer. Dies könnte implizieren, dass alle Fälle, die während des Lockdowns aufgeschoben wurden, möglicherweise eine umfassendere Behandlung im Spital benötigten als zu einem früheren Zeitpunkt.
Fazit
Weniger Krankenhauseinweisungen von Nicht-Covid-Patienten sind mit geringeren Ressourcen aufgrund der Covid-19-Pandemie verbunden. Zudem hängen sie mit einer weit verbreiteten Unsicherheit und Angst der Bevölkerung vor einer Ansteckung zusammen. Folglich sollten medizinische Akteure sowie Gesundheitsbehörden oder Dienstleister darauf Bedacht sein, dass nicht nur Patienten mit akuten medizinischen Erkrankungen, sondern auch weniger kritische Fälle eine bedarfsgerechte stationäre Versorgung erhalten. Schlussendlich sollen nachteilige gesundheitliche Folgen für einkommensschwache Frauen des Caregiverprogramms in Ägypten vermieden und der gesundheitliche Schaden durch die Corona-Pandemie nicht noch vergrössert werden.
Melanie Schliek ist Praktikantin im Team Versorgungsforschung am WIG.