Nicht-Beanspruchung medizinischer Behandlungen wegen Corona-Pandemie weiterhin substanziell – aber abnehmend

Von Dr. Marc Höglinger

Auch nach der Lockerung des Lockdowns in der Woche vom 11. bis 17. Mai werden noch rund 20% der medizinischen Behandlungen nicht beansprucht. Etwa zur Hälfte, weil die Patientin oder der Patient aus eigenem Antrieb den Termin absagt oder verschiebt, zur Hälfte, weil die behandelnde Gesundheitsfachperson den Termin absagt bzw. verschiebt. Dabei handelt es sich nur vereinzelt um dringende Termine. Da medizinische Behandlungen nun schon seit zwei Monaten in grösserem Ausmass nicht wahrgenommen werden, besteht dennoch ein Risiko, das in gewissen Bereichen und für gewisse Patientengruppen eine adäquate Versorgung nicht gewährleistet ist.

Spezialärzte stark betroffen, gefolgt von Spitälern

Die Abbildung oben zeigt eindrücklich, wie stark die medizinischen Behandlungen zu Beginn des Lockdowns zurückgegangen sind. Besonders betroffen waren etwa die Augenärzte und Zahnärzte mit einem Minus von über 80%, aber auch die Spitäler und die Physiotherapie mit einem Minus von über 60%. Etwas weniger betroffen waren die Hausärzten mit einem Minus von 45%. Inzwischen hat sich die Lage aber teilweise entspannt, mit einem Minus von nur noch 20% bei meisten Behandlungen.

Die Abbildung unten zeigt bei den absoluten Zahlen eine deutliche Zunahme der beanspruchten Leistungen in den letzten zwei Wochen. Bei den Zahnärzten gibt es sogar Anzeichen für eine «Kompensation» der unterlassenen Leistungen.

Ein weltweites Problem

Dieses Muster ist nicht Schweiz-spezifisch, wie ein aktueller Artikel im Economist zur weltweiten Unterlassung operative Eingriffe aufgrund der Covid-Pandemie aufzeigt. Das genaue Ausmass und die Auswirkungen werden allerdings noch in kaum einem Land systematisch beobachtet. Unsere Daten liefern diesbezüglich wertvolle Einsichten in die Folgen der Corona-Krise auf die medizinische Versorgung in der Schweiz.

Indirekte gesundheitliche Schäden durch die Pandemie vermeiden

Interessant dürften die nächsten Wochen sein: normalisiert sich die Situation weitgehend oder gibt es Patientengruppen, welche weiterhin auf notwendige medizinische Behandlungen verzichten? Gesundheitsdienstleister wie Ärztinnen und Ärzte, Physiotherapeuten oder Psychiaterinnen sollten in der nächsten Zeit diesbezüglich hellhörig sein und bei Bedarf Patientinnen und Patienten gezielt kontaktieren. Denn neben dem Corona-Virus gibt es viele andere Gesundheitsrisiken und Erkrankungen, die sorgfältig beachtet und behandelt werden müssen. Der gesundheitliche Schaden durch die Corona-Pandemie darf wegen unterlassener medizinischer Behandlungen nicht noch vergrössert werden.

Datengrundlage: COVID-19 Social Monitor

Der COVID-19 Social Monitor ermöglicht ein zeitnahes Monitoring der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Schweizer Bevölkerung: Das Winterthurer Institut für Gesundheitsökonomie erfasst in Zusammenarbeit mit dem Institut für Epidemiologie, Biostatistik und Prävention der Universität Zürich seit Ende März regelmässig und zeitnah das Befinden der Schweizer Bevölkerung während der COVID-19 Pandemie mittels einer für die Schweizer Bevölkerung repräsentativen Panel-Befragung. Details zum Projekt, dem methodischen Vorgehen und laufend aktualisierte Resultate finden sich auf der Homepage des COVID-19 Social Monitors.

Marc Höglinger ist Versorgungsforscher am WIG und seit Beginn des Lockdowns vorwiegend mit dem COVID-19 Social Monitor beschäftigt.

Dank an Klaus Eichler, André Moser, Simon Wieser und Michael Stucki für kritische Hinweise zu diesem Beitrag.

Schlagwörter: COVID-19, Marc Höglinger

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