«KVG-pflichtige Leistungen»: Wozu braucht es diese Begriffsbildung?

Abbildung: Kosten der KVG‐pflichtigen Leistungen nach Finanzierungsregime

Von Matthias Maurer

Wie in einem früheren Blog berichtet, haben wir im Auftrag des Bundesamtes für Gesundheit das Effizienzpotenzial bei den KVG-pflichtigen Leistungen in einer Studie geschätzt. Aber was ist mit «KVG-pflichtigen Leistungen» gemeint? Und warum ist diese Begriffsbildung für die laufenden Diskussionen möglicher KVG-Teilrevisionen von Bedeutung?

Was sind KVG-pflichtige Leistungen?

Unter KVG-pflichtigen Leistungen verstehen wir alle Leistungen, die von der Obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) gemäss Krankenversicherungsgesetz (KVG) (mit-)finanziert werden. Der Aufhänger und Anknüpfungspunkt ist somit die OKP, im Volksmund «Grundversicherung» genannt. Somit fallen alle Leistungen darunter, für die in der OKP eine volle oder zumindest eine teilweise Versicherungsdeckung besteht.

Wie hoch sind die Kosten der KVG-pflichtigen Leistungen?

Die Abgrenzung der KVG‐pflichtigen Leistungen von den gesamten Leistungen im Schweizer Gesundheitswesen ist nicht einfach. In unserer Studie haben wir eine solche Schätzung auf der Basis der BFS‐Statistik «Kosten und Finanzierung des Gesundheitswesens» vorgenommen. Diese zerlegt die gesamten Gesundheitsausgaben nach Leistungsbereichen, Leistungserbringern und Finanzierungsregimes. Die Statistik weist daher zwar den Anteil der über die OKP-Prämien finanzierten (d.h. direkt durch den Krankenversicherer vergüteten) Leistungen aus, nicht jedoch die Anteile der weiteren Quellen, wie z.B. Selbstzahlungen durch die Versicherten.

Die Schwierigkeit bei der Schätzung der Kosten der KVG‐pflichtigen Leistungen liegt nun darin, dass sich diese nicht in jedem Fall direkt aus der BFS‐Statistik herleiten lassen. Während einige Kosten eindeutig unter die KVG-pflichtigen Leistungen fallen (z.B. über die OKP-Prämien finanzierte akutstationäre Behandlungen) oder sich deren Anteil berechnen lässt (z.B. über die durch die Kantone finanzierten akutsomatischen Behandlungen), ist bei anderen der KVG-Anteil nicht eindeutig bestimmbar (z.B. Selbstzahlungen von akutstationären Behandlungen oder Zahlungen von Gemeinden für häusliche Langzeitpflege). Die Abgrenzung der KVG‐pflichtigen Leistungen von den gesamten Leistungen im Schweizer Gesundheitswesen konnte daher nur mittels fundierter Kenntnisse auf der Ebene der einzelnen Finanzierungsregimes pro Leistungsbereich erfolgen.

Insgesamt über alle Leistungsbereiche sind wir bei einem Anteil der KVG-pflichtigen Leistungen von 56% der gesamten Gesundheitskosten für das Jahr 2016 angelangt. Im Umkehrschluss heisst das, dass 44% der Leistungen des Gesundheitswesens in der Schweiz in keiner Weise durch die soziale Krankenversicherung nach KVG gedeckt sind und daher vollständig über andere Quellen (z.B. andere Sozialversicherungen wie UVG oder Zusatzversicherungen) finanziert werden.

Wie werden die KVG-pflichtigen Leistungen finanziert? 

Wie erwähnt umfassen die KVG-pflichtigen Leistungen neben der Finanzierung durch die OKP‐Versicherer auch die Finanzierung durch den Staat sowie die privaten Haushalte, sowohl über Kostenbeteiligungen (Franchise, Selbstbehalt) als auch über weitere Selbstzahlungen. Letztere entstehen durch direkt von den Versicherten bezahlte Rechnungen, die nicht beim Krankenversicherer eingereicht wurden. In der Abbildung sind die Anteile der einzelnen Finanzierungsregimes ersichtlich: so werden rund 70% über die OKP finanziert (60% über Prämien und 10% als Kostenbeteiligung der Versicherten) und ca. 20% über den Staat, wobei hier vor allem die Kantone den Löwenanteil tragen. Die Selbstzahlungen durch die privaten Haushalte entsprechen den restlichen 10% der Kosten der KVG-pflichtigen Leistungen.

Was bedeutet dies für die anstehenden KVG-Teilrevisionen? 

Das «Universum» der Kosten der KVG-pflichtigen Leistungen geht somit weit über die OKP-Prämien hinaus! Es gilt daher, bei den kommenden Diskussionen über die KVG-Teilrevisionen betreffend die Kostendämpfungsmassnahmen dem gesamten Finanzierungskontext Rechnung zu tragen. Eine reine Betrachtung der Prämienentwicklung greift daher zu kurz.

Matthias Mauerer ist stellvertretender Institutsleiter am WIG.


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