Von Janina Nemitz
Die bevorstehende Verrentung von knapp der Hälfte aller schweizerischen Hausärzte in den nächsten 10 bis 15 Jahren, der ausbleibende Nachwuchs und der Trend hin zu immer mehr Teilzeitarbeit in der Ärzteschaft, lassen uns um eine gute Grundversorgung bangen. Dies gilt nicht zuletzt auch, weil wir immer älter werden und möglicherweise selbst bald auf die Leistungen eines Hausarztes angewiesen sind. Doch mehrere neuere Studien lassen uns aufatmen und stimmen auch entsprechende Vertreter von Fachverbänden optimistisch. Es scheint als gäbe es Licht am Horizont und als käme der langersehnte Nachwuchs nach. Doch ist dem wirklich so? Können wir in eine Zukunft ohne Hausärztemangel blicken? Dieser Blog-Beitrag ist der 2. Teil einer Serie, die sich mit der Problematik des Hausärztemangels in der Schweiz befasst.
Zahlreiche Massnahmen zur Förderung des Hausarzt-Nachwuchses
Um auf aktuelle Trends zu reagieren (Stichworte: Verrentung der Hausärzte, fehlender Nachwuchs, steigende Teilzeitbeschäftigung), wurden in den letzten Jahren zahlreiche Anstrengungen zur Förderung der Hausarztmedizin unternommen. Dies geschah zumeist mit dem Ziel den hausärztlichen Nachwuchs langfristig sicherzustellen: Hausarztpraktika während des Studiums wurden eingeführt, Institute für Hausarztmedizin gegründet und Kurse der Hausarztmedizin fest im Curriculum eines jeden Humanmedizinstudenten verankert. Weitere Fördermassnahmen betrafen Mentoring Programme für angehende Hausärzte und kantonal mitfinanzierte Praxisassistenzen.
Licht am Horizont
Erste Studien deuten auf mögliche Erfolge dieser Massnahmen hin und stimmen selbst Vertreter von Fachverbänden optimistisch. So sorgte Mitte letzten Jahres insbesondere die Studie von Diallo et al. (2018) für grosse Schlagzeilen. Die Autoren dieser Studie titelten, dass rund 60% der Schweizer Studierenden am Ende ihres Medizinstudiums grosses Interesse an einer Hausarztkarriere zeigten. Dies seien in etwa doppelt so viele wie noch in 2004 bei einer Erhebung unter Basler Studierenden (vgl. Halter et al., 2005). Für weitere Schlagzeilen sorgte eine Studie zu Praxisassistenzen. Befragt wurden hier alle ehemaligen Praxisassistenten, die zwischen 2008 und 2017 im Kanton Bern eine Praxisassistenz begannen. Von diesen hatten bereits 80% den Weg in die Praxis gefunden, geplant oder waren auf dem Weg dahin und zwar über die Hälfte dort, wo sie bereits ihre Praxisassistenz absolviert hatten.
Ist das Licht nur eine Illusion?
Die Ergebnisse dieser Studien sind jedoch mit Vorsicht zu geniessen. So äusserten zwar 60% der Studierenden ihr Interesse an einer hausärztlichen Karriere, aber nur etwa ein Drittel dieser Studierenden war auch entschlossen, Hausarzt zu werden. Für die anderen zwei Drittel stellte die Hausarztkarriere lediglich eine interessante Option dar. Ob sich diese Studierenden letztendlich auch für den Hausarztberuf entscheiden, ist noch unklar. In diesem Zusammenhang sei auf einen Review-Artikel des Jahres 2015 verwiesen, der in der internationalen Literatur keine Studie findet, welche die Wirksamkeit von Studienmassnahmen zur Förderung der Hausarztmedizin über das Studienziel hinaus nachweisen kann. Kurzum: Diese Massnahmen scheinen zwar das Berufsziel zu beeinflussen, aber nicht die letztendlich getroffenen Berufsentscheidungen. Eine mögliche Erklärung dafür könnten weitere Faktoren sein, die gegen den Hausarztberuf sprechen und nicht durch Veränderungen des Studienprogramms beeinflusst werden können (z.B. das finanzielle Risiko einer Praxiseröffnung oder der Wunsch, Teilzeit zu arbeiten). Möchte man künftig also die Versorgung mit Hausärzten sicherstellen, so gilt es auch diese Faktoren zu berücksichtigen.
Praxisassistenzen vermögen ebenfalls nicht all diese Faktoren zu adressieren, könnten aber eine wichtige Rolle bei der Wahl des Praxisstandorts und somit dem Ausgleich des Stadt-Land-Gefälles spielen. Um dies zu beurteilen, bräuchte man jedoch eine wissenschaftliche Studie, die Praxisassistenzstellen möglichen Bewerbern zufällig zuweist. Inwiefern Praxisassistenzen tatsächlich eine geeignete Fördermassnahme für die Wahl des Hausarztberufes darstellen, kann aus oben genannter Studie ebenfalls nicht abgeleitet werden, denn derzeit befinden sich in Praxisassistenzprogrammen nur diejenigen, die ohnehin schon stärkere Präferenzen für den Hausarztberuf haben.
Was heisst das also jetzt?
Die wissenschaftliche Evidenz, welche Schweizer Massnahmen zur Förderung der Hausarztmedizin beurteilt, ist derzeit noch nicht ausreichend, um zu einem abschliessenden Ergebnis zu kommen. Es mangelt an soliden wissenschaftlichen Studien, die einzelne Fördermassnahmen evaluieren. Lassen sich die Ergebnisse internationaler Studien auch auf die Schweiz übertragen, so werden wir künftig weiterhin mit einem Hausärztemangel rechnen müssen, da Massnahmen zur Förderung der Hausarztmedizin während des Studiums nicht ausreichen, um letztendlich auch den Nachwuchs der Hausärzte langfristig sicherzustellen. Regionale Versorgungsunterschiede könnten sich weiter verschärfen, vor allem dann, wenn Grundversorger zunehmend im stationären Bereich tätig werden (s. Ärztestatistik) oder in ambulanten Zentren arbeiten, die Spitälern angegliedert sind. Eine Entwarnung kann deshalb zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht gegeben werden.
Janina Nemitz ist Co-Teamleiterin der Fachstelle gesundheitsökonomische Forschung am WIG.