«Non-Adherence»: Wenn wir die verschriebenen Medikamente nicht einnehmen

Von Renato Farcher

Das Schweizer Gesundheitssystem ist komplex und die gesundheitspolitischen Debatten werden oft von Fragen zu Kosten und zur Finanzierung dominiert. Nicht zuletzt richten sich gesundheitspolitische Massnahmen stark auf die Kontrolle der Mengenausweitung und Kostendämpfung. Eine Massnahme, die dabei selten diskutiert wird, ist die Verbesserung der Therapietreue bei Medikamenten. Unter Therapietreue wird dabei das bewusste Einhalten von Therapieverordnungen durch die Patienten verstanden. Nicht zuletzt bringt eine Steigerung der Therapietreue positive Gesundheitseffekte und oft hohe Kosteneinsparungen mit sich.

In der Fachsprache wird die Therapieuntreue als «non-adherence» oder «non-compliance» bezeichnet. Im Unterschied zu «non-compliance» ist die Bezeichnung «non-adherence» inhaltlich neutraler und richtet sich weniger stark auf die Selbstverschuldung der Patienten, wenn es um die Nicht-Einhaltung der Medikamententherapie geht. Aufgrund dessen wurde in jüngster Zeit «non-compliance» durch die Bezeichnung «non-adherence» abgelöst und wird auch in diesem Blog verwendet.

Die häufigsten Gründe für «non-adherence» sind laut einer Patientenbefragung: Vergessen (30%), andere Prioritäten (16%), eigene Entscheidung (11%), fehlende Information (9%). Eine kanadische Studie, welche die Ursachen für «non-adherence» untersucht hat, kam des Weiteren zum Schluss, dass bei Kopfschmerzen, koronarer Herzkrankheit und Depression die «non-adherence» häufiger vorkommt als bei anderen Beschwerden. Am wenigsten häufig kam sie bei Harnweginfekten und Entzündung vor. Ebenfalls zeigte die Studie, dass die «non-adherence» höher war, nachdem innerhalb der Therapie die Medikamente gewechselt wurden.

Die Kosten, welche durch «non-adherence» verursacht werden, sind gross. Sie entstehen durch erneute Konsultationen des Arztes bei Verschlechterung des Krankheitszustandes, sowie aufgrund neu gestellter oder wiederholter Diagnosen durch den Arzt. Diese führen zu einer Therapieintensivierung oder gar zu irreparablen Schäden des Patienten, welche hätten vermieden werden können.

Eine Studie des Beratungsunternehmens Booz & co. und der Bertelsmann Stiftung berechnete die volkswirtschaftlichen Kosten durch «non-adherence». Basierend auf der Methodik dieser Studie schätzten die Autoren auch die Kosten für die Schweiz und kamen auf 6 bis 11 Milliarden Franken. Die Schätzung berücksichtigte dabei nur die indirekten Kosten. Die indirekten Kosten – oft auch Produktionsverluste genannt – sind Kosten, die durch den vorübergehenden oder dauerhaften Verlust der Arbeitsfähigkeit entstehen. Diese bilden sich durch verringerte Leistungsfähigkeit, Abwesenheit, Frühpensionierung oder frühzeitigen Tod. Weiter zeigt eine aktuelle Schätzung von Santésuisse das Sparpotenzial, welches durch die Reduktion von «non-adherence» realisiert werden kann. Nach ihrer Schätzung könnten bis zu 4 Milliarden Franken eingespart werden, würden nur 110’000 von rund 2 Millionen chronisch kranken Menschen in der Schweiz ihre «adherence» verbessern.

Setzt man die potenziellen Einsparungen durch Reduktion von «non-adherence» ins Verhältnis zum Sparpotenzial von 1 Milliarde Franken, welches durch die Wirkung von gesundheitspolitischen Massen «ambulant vor stationär» erzielt werden könnten, sind Massnahmen gegen «non-adherence» nicht zu vernachlässigen. Auch die Relation zu den Gesundheitskosten in der Schweiz von 80 Milliarden Franken zeigt das beträchtliche Sparpotenzial auf.

Im Hinblick auf die demografische Alterung, die steigende Lebenserwartung und die mit ihr einhergehende Veränderung der Häufigkeit von chronischen Erkrankungen, scheinen Massnahmen zur Reduktion von «non-adherence» umso wichtiger. Neben Studien braucht es jetzt mehr Diskussionen und das Bewusstsein, welche innovativen Massnahmen zum Nutzen der Patienten und der Gesellschaft beitragen.

Renato Farcher ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Fachstelle HTA und Gesundheitsökonomische Evaluationen am WIG.

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