Wer pflegt uns im Jahr 2030?

Quelle Colourbox Kzenon

Von Fabio Knöfler

«Pflegenotstand in der Schweiz!». Seit Jahren machen die Medien auf den Fachkräftemangel in der Pflege aufmerksam. Wie gravierend ist die Situation? Was sind mögliche Lösungen? Und was heisst das für die Gesundheitsversorgung?

Zu wenig und zu kurz

Laut dem Schweizerischen Gesundheitsobservatorium wird der Pflegepersonalbedarf bis zum Jahr 2030 um 36% zunehmen. Die Ausbildungsabschlüsse decken diesen Personalbedarf bei weitem nicht ab. Besonders bei den diplomierten Pflegefachpersonen scheint die Situation gravierend: 2014 wurden nur 43% der erforderlichen Abschlüsse erreicht. Grund für die prekäre Situation ist – unter anderem – eine vergleichsweise kurze Berufsverweildauer. Auch eine neuste Umfrage unter Pflegenden zeichnet ein wenig erfreuliches Bild: rund 47% der Befragten wollen voraussichtlich nicht bis zur Pensionierung im Beruf bleiben.

Was heisst das für den Pflegealltag?

Die Folgen eines Pflegemangels lassen sich bereits heute, insbesondere auch in Nachbarländern, beobachten. Es bleibt weniger Zeit für die Patienten und somit auch für eine qualitativ hochstehende Pflege, was zu frustrierten Patienten und Pflegenden führt. Das Personal ist zudem chronisch überlastet, was sich wiederum negativ auf die Berufsverweildauer auswirkt. Ein Teufelskreis. Was also tun?

Was läuft (nicht)?

Die Rekrutierung von ausländischem Pflegepersonal konnte die Situation bisher zumindest etwas abfedern. So waren zwischen 2010 und 2014 drei von fünf diplomierten Pflegefachkräften eingewandert. Diese Rekrutierung im Ausland führt aber einerseits zu einem Mangel an (teuer ausgebildetem) Pflegepersonal in den Herkunftsländern, anderseits macht sie die Schweiz abhängig vom Ausland und ist deshalb langfristig keine tragfähige Lösung. Der Bund hat auf diese Herausforderungen reagiert und seit 2010 verschiedene Massnahmen zur Steigerung der Abschlüsse und zur Verlängerung der Berufsverweildauer umgesetzt, im Rahmen des «Masterplans Bildung Pflegeberufe» und der «Fachkräfteinitiative». Diese Anstrengungen tragen erste Früchte. So konnten die Abschlüsse bei den Fachfrauen und -männern Gesundheit in den letzten Jahren mehr als verdoppelt werden und auch bei den dipl. Pflegefachpersonen stiegen die Studieneintritte etwas an. Der Berufsverband der Pflegefachfrauen und -männer (SBK) fordert trotzdem weitere Massnahmen, die zu einer deutlichen Verbesserung der Situation führen sollen. Er hat deswegen die Volksinitiative «Für eine starke Pflege» eingereicht, die den Pflegefachpersonen unter anderem das direkte Abrechnen von Leistungen ermöglichen soll. Und sofort wurden Stimmen laut, die vor einer Mengenausweitung warnen. Derzeit erarbeitet die zuständige Kommission des Nationalrates deshalb einen Gegenvorschlag aus. Mit dem Anliegen sei man grundsätzlich einverstanden – die Besserstellung darf aber keine Mehrkosten verursachen. Ob und wie das erreicht werden kann, wird sich zeigen.

Interprofessionelle Versorgungsmodelle als Teil der Lösung?

Verschiedene Untersuchungen weisen darauf hin, dass durch eine verstärkte interprofessionelle Zusammenarbeit die Zufriedenheit der Gesundheitsfachpersonen und deren Verweildauer im Beruf positiv beeinflusst werden können. Im Rahmen des vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) lancierten «Förderprogramm Interprofessionalität im Gesundheitswesen 2017-2020» sollen deshalb die Herausforderungen und Potentiale interprofessioneller Zusammenarbeit untersucht werden. Auch das Winterthurer Institut für Gesundheitsökonomie ist mit dabei und evaluiert im Rahmen dieses Förderprogramms die Auswirkungen von sogenannten «Task Shifting»-Modellen, bei denen gewisse Kompetenzen von Ärzten auf andere Fachpersonen übertragen werden (siehe auch Blog-Beitrag vom 21.03.2019). Wie solche Modelle in der Praxis umgesetzt werden und wie sich diese auf die Versorgung und im ökonomischen Bereich – z.B. auf die Personalkosten – auswirken, darüber wird in diesem Blog laufend berichtet. 

Fachfrau/Fachmann Gesundheit EFZ (FaGe) ist eine berufliche Grundausbildung. Die Ausbildung dauert in der Regel drei Jahre. Eingesetzt werden FaGes in der Pflege und Betreuung, in der Alltagsgestaltung sowie in der Administration in unterschiedlichen Institutionen des Gesundheitswesens. In der Regel sind sie dem diplomierten Pflegepersonal unterstellt.

Diplomierte Pflegefachpersonen HF/FH werden an höheren Fachschulen oder Fachhochschulen ausgebildet. Sie übernehmen die Pflege und Beratung von Patienten und ihren Angehörigen in komplexen Situationen und Umständen mit raschen Veränderungen im Spital. Sie arbeiten selbstständig und übernehmen die fachliche Verantwortung für den Pflegeprozess.

Fabio Knöfler ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Fachstelle Versorgungsforschung am WIG.

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2 Kommentare

  • Lieber Fabio,

    Mehr Pflegefachpersonen bringt mehr Kosten und löst das Problem nur scheinbar. Wir brauchen neue Betreuungs- und Pflegemodelle im Alter!

    Schau mal in die Niederlanden mit dem buurtzorg-Modell. Doch dass so etwas in der Schweiz funktionieren könnte, müssten neue Gesetze, eine getrennte Finanzierung und ein anderes Tarif-Prinzip (pauschal) her. Nebst einem neuen Führungsverständnis.

    Weil im Parlament nur wenige das Thema verstehen, muss es erst “explodieren”. Mit dem Resultat, dass kaum mehr jemand sich für den Pflegeberuf entscheidet. 2030 dürfte es soweit sein.

    Es gäbe noch viel zu sagen.

    Herzliche Grüsse,
    Andreas Mitterdorfer
    (MAS-Student Managed Health Care)

    • Lieber Andreas

      Vielen Dank für deinen Kommentar und das Interesse an unserem Blog.

      Innovative Versorgungsmodelle – wie das von dir erwähnte buurtzorg-Modell – können sicher einen Beitrag leisten, um den Fachkräftemangel in der Schweiz abzufedern. So können Fachpersonen etwa gezielter eingesetzt oder länger im Beruf gehalten werden. Sieht man sich aber die Bedarfsprognosen an, wird ersichtlich, dass eine Erhöhung der Abschlüsse unabdingbar ist. Der Weg wird somit auch zukünftig über die Umsetzung verschiedener Massnahmen führen.

      Zu den Themen Fachkräftemangel, Pflegefinanzierung oder innovative Versorgungsmodelle gibt es tatsächlich noch viel zu sagen. Wir berichten deshalb gerne auch in Zukunft weiter zu diesen und anderen Themen!

      Liebe Grüsse

      Fabio


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