Aus dem Methodenzoo: das DALY

Phoenicoparrus jamesi (James’s Flamingoes) von Christian Mehlführer ist lizenziert unter CC BY 3.0.

Von Johannes Pöhlmann

Jede Disziplin kennt spezielle Masszahlen und Methoden, oft einen ganzen «Methodenzoo». Die Gesundheitsökonomie ist keine Ausnahme. Eine in den letzten Jahren aus dem epidemiologischen in den gesundheitsökonomischen Zoo eingewanderte Masszahl ist das disability-adjusted life year (DALY). So richtig heimisch ist das DALY, das als «behinderungsbereinigtes Lebensjahr» übersetzt wird, in der Schweiz allerdings noch nicht. Wir wollen das DALY in diesem Blogbeitrag etwas bekannter machen.

Was ist bzw. misst ein DALY?

Ein DALY misst die «Last» einer Krankheit. Die «Last» setzt sich aus zwei Teilen zusammen:

  • Behinderung/Einschränkung (disability): Krankheiten und Verletzungen reduzieren oft die Lebensqualität oder gehen mit Einschränkungen im Alltag einher, z.B. bei Depression oder Hörverlust. Wie stark diese Einschränkungen sind, wird über disability weights (DW) bewertet. Diese nehmen für «perfekte» Gesundheit den Wert 0 und für Tod (oder äquivalente Zustände) den Wert 1 an. In Umfragen wird dann ermittelt, als wie schlimm ein bestimmter Krankheitszustand bewertet wird. Zum Beispiel wurde in einer grossen Umfrage für das Global Burden of Disease (GBD)-Projekt einer schweren Parkinsonerkrankung von den Befragten ein Gewicht von 0.575 zugeschrieben, also eine recht starke Einschränkung. Diese Gewichte werden mit der Zeit, die in diesem Zustand verbracht wird, multipliziert, und ergeben die years lived with disability (YLD).
  • Vorzeitiger Tod: Eine Krankheit oder Verletzung kann auch dazu führen, dass eine Person frühzeitig stirbt, also ohne diese Krankheit oder Verletzung noch jahrelang hätte leben können. Es gibt unterschiedliche Ansätze, wie «noch jahrelang hätte leben können» definiert und mit welchem Standard verglichen wird. Im schon erwähnten GBD-Projekt für das Jahr 2016 wurde zum Beispiel eine Lebenserwartung bei Geburt von 86.6 Jahren angenommen. Wer im Alter von 50 Jahren stirbt, verliert also 36.6 Lebensjahre. Diese verlorenen Jahre werden als years of live lost (YLL) bezeichnet.

Wenn man YLD und YLL addiert, erhält man die entsprechenden DALYs: DALY = YLD + YLL.

Ein Berechnungsbeispiel

In der folgenden Grafik findet sich ein Berechnungsbeispiel für eine Person, die mit 50 Jahren an Krebs erkrankt. Jedes der 5 Jahre nach der Diagnose bzw. während der Ersttherapie wird mit einem DW von 0.29 gewichtet, so dass sich für diese Phase 5*0.29 = 1.45 YLD ergeben. Für weitere 15 Jahre ist die Person frei von Krebs (es fallen also keine DALYs) an, ehe der Krebs mit Metastasen im Alter von 70 Jahren zurückkehrt. Zwei Jahre lang hat die Person metastasierten Krebs, was mit einem DW von 0.45 pro Jahr 0.90 YLD ergibt. Das letzte Lebensjahr verbringt die Person im medikamentös behandelten Endstadium. In dieser Phase fallen 1*0.54 = 0.54 YLD an. Bei ihrem Tod im Alter von 73 Jahren hätte die Person noch geschätzte 13.6 Jahre (bis zu angenommen 86.6 Jahren) leben können, verliert also wegen Krebs 13.6 Lebensjahre (YLL). Insgesamt ergeben sich somit 1.45+0.90+0.54 = 2.9 YLD und 13.6 YLL, also 16.5 DALYs.

DALYs als wichtige Masszahl für Entscheidungsträger

Bisher haben wir DALYs für eine einzelne Person und Krankheit diskutiert. Der Reiz von DALYs liegt aber besonders darin, dass sie sich auch für eine ganze Gruppe/Bevölkerung und mehrere Krankheiten gleichzeitig berechnen lassen. Die DALYs können dann für verschiedene Krankheiten oder Risikofaktoren verglichen werden.

Das bereits erwähnte GBD-Projekt hat für eine Vielzahl von Ländern die DALYs verschiedener Krankheiten und Risikofaktoren berechnet und in toll designten, interaktiven Tools frei zugänglich gemacht (wir empfehlen sehr, diese eindrücklichen Tools einmal auszuprobieren!). Für die Schweiz im Jahr 2017 können wir mit den GBD-Daten nun zum Beispiel die Krankheitslast von Parkinson (11’579 DALYs) mit der von Schizophrenie (16’501 DALYs) vergleichen. Aus DALY-Perspektive wäre in der Schweiz für 2017 die Krankheitslast der Schizophrenie höher als die von Parkinson. Ein weiteres Beispiel aus der Schweiz, für den Risikofaktor körperliche Inaktivität, findet sich in einer in diesem Blog schon vorgestellten Studie. Diese Studie zeigte, dass sich 2013 etwa 40’433 DALYs in der Schweiz dem Mangel an körperlicher Aktivität zuschreiben liessen.

Für Gesetzgeber, Verbände, Patientenorganisationen und andere Akteure können solche Schätzungen der Krankheitslast sehr hilfreich sein. DALYs können dabei helfen, ein besseres Verständnis für die «Dimension» einer Krankheit zu entwickeln und verschiedene Krankheiten zu vergleichen. Daraus wiederum lassen sich Schwerpunkte in der Gesundheitspolitik ableiten. Zudem können auf Basis der DALYs Prioritäten in Prävention und Behandlung (und natürlich Finanzierung) gesetzt werden.

In Anbetracht dieser Vorzüge hoffen wir sehr, dass das DALY auch in der Schweiz bald vom Exoten zum Nutztier wird!

Johannes Pöhlmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Fachstelle HTA und Gesundheitsökonomische Evaluationen.

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