Sparpotenziale in der Psychiatrie

Von Cassandra Waech
Ein Interview mit Dr. med. Benjamin Dubno, Chefarzt / Stv. Ärztlicher Direktor, ipw und Dozent Integrationsmodul Medizin für Nichtmediziner

Immer mehr Menschen leiden im Verlauf ihres Lebens an einer psychischen Erkrankung. Eine kürzlich erschienene Studie des Winterthurer Instituts für Gesundheitsökonomie WIG, ZHAW zeigte, dass die Kosten für psychische Störungen mit 6.857  Mrd. CHF (entspricht 10.6 Prozent der gesamten Gesundheitskosten) aussergewöhnlich hoch sind. Die meisten Patienten werden ambulant oder tagesklinisch und damit kostengünstig betreut, weit weniger Patienten werden stationär therapiert. Dennoch fallen gemäss Sonntagszeitung 60 Prozent der Kosten in der Psychiatrie im stationären Bereich an. Gemäss Aussage von Prof. Dr. Simon Wieser, Institutsleiter am WIG, gäbe es grosses Sparpotenzial, wenn die Therapien in der Psychiatrie vermehrt ambulant erfolgen könnten. Eine Expertenmeinung aus der Praxis über mögliche Sparpotenziale in der Psychiatrie im nachfolgenden Interview mit Dr. med. Benjamin Dubno.

Die Integrierte Psychiatrie Winterthur – Zürcher Unterland (ipw) ist bekannt als Pionierin der integrierten Versorgung und setzt seit vielen Jahren erfolgreich auf eine patientennahe Psychiatrie. Sie führt neben der stationären Betreuung verschiedene ambulante und tagesklinische Angebote in der Jugend-, Erwachsenen- und Alterspsychiatrie.

Herr Dubno, was meinen Sie zur Aussage von Herrn Wieser? Wo sehen Sie Sparpotenziale in der Psychiatrie?
Eine psychiatrische Behandlung soll dort erfolgen, wo dies für den Patienten, seine Erkrankung und sein Umfeld am sinnvollsten ist. Je nachdem genügt eine ambulante Behandlung oder eine tagesklinische Betreuung, manchmal ist auch ein stationärer Aufenthalt empfehlenswert. Zu vermeiden sind systemimmanente Fehlanreize, so lassen sich Tageskliniken aktuell nicht kostendeckend betreiben. Die tagesklinischen und sozialpsychiatrischen Angebote sind auch in der ipw häufig defizitär. Der Grund sind die vom Bund festgelegten Tarifstrukturen: Ambulante und tagesklinische Tarife sind viel tiefer als stationäre. Zudem vergüten die Krankenkassen fast nur ärztliche Leistungen, jedoch nicht die Arbeit von Psychologinnen, Sozialarbeitenden und weiteren Therapeuten. Und schliesslich müssen sich die Kantone weder an den ambulanten noch an den tagesklinischen Tarifen beteiligen – wobei der Kanton Zürich in beiden Fällen finanzielle Mittel beisteuert. Wir würden gerne mehr Tageskliniken eröffnen, jedoch ist deren Finanzierung derzeit immer noch unsicher. Wünschenswert wäre eine faire Abgeltung überzeugender und kostengünstiger Behandlungsalternativen. Ein Abbau bestehender ambulanter und tagesklinischer Strukturen ist für uns jedoch kein Thema.

Welche Erfahrungen haben Sie mit Ihren ambulanten Angeboten gemacht? Wo sehen Sie Möglichkeiten den Patienten eine optimale Betreuung zu geben und gleichzeitig die Kosten tief zu halten?
Im Jahr 2017 behandelten wir in der ipw insgesamt 8403 Patientinnen und Patienten: 68,69% bzw. 5351 wurden ausschliesslich ambulant, 0.61% bzw. 51 nur tagesklinisch sowie 16.42% bzw. 1621 nur stationär betreut. 19.29% der Betroffenen durchliefen ein gemischtes Behandlungssetting. Eine ausgezeichnete und kostengünstige Alternative zu einem Klinikaufenthalt ist z.B. das Home-Treatment durch medizinische, psychotherapeutische und pflegerische Fachpersonen: Die Erkrankten werden in ihrer gewohnten Umgebung betreut und genesen erwiesenermassen schneller. Noch ausstehend ist derzeit die national einheitliche Finanzierung und damit auch Förderung von solchen Angeboten.

Zu einer optimalen Betreuung gehören auch gut ausgebildete Ärztinnen/Ärzte sowie Gesundheitsfachpersonen. Die ipw verstärkte kürzlich ihr Engagement als Bildungsinstitution und leistet neu als Lehrspital einen wichtigen Beitrag, dem Fachkräftemangel im Gesundheitswesen durch gezielte Nachwuchsförderung zu begegnen.

Wie engagiert sich die ipw in der Fachkräfte-Ausbildung?
Für Gesundheitsfachpersonen sind wir seit langem eine wichtige Bildungsstätte in der Region Winterthur / Zürcher Unterland. Derzeit bilden wir 130 Mitarbeitende aus bzw. weiter, etwa zur Fachärztin, zum Pflegefachmann, zum Fachmann Gesundheit. Erstmals organisieren wir beispielsweise dieses Jahr gemeinsam mit dem Kantonsspital Winterthur eine dreitätige Summerschool, um Medizinstudierenden den Klinikalltag und die unterschiedlichen Disziplinen praxisnah zu vermitteln. Weiter mache ich regelmässig Führungen durch die Akutstation der Klinik Schlosstal, so z.B. im Rahmen des Weiterbildungsstudiengangs «Medizin für Nichtmediziner» der ZHAW. Wir engagieren uns dadurch auch medizinfremden Fachkräften aus dem Gesundheitswesen einen Einblick in den Tagesablauf einer Psychiatrie zu geben. An unserem kommenden Tag der offenen Tür laden wir ebenfalls zu einem Blick hinter die Kulissen der Psychiatrie ein.

Cassandra Waech ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am WIG.

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