Neue Regeln zur postmortalen Organspende

Von Dr. Marc Höglinger

Die Bereitstellung von Spenderorganen stellt ein klassisches soziales Dilemma dar, bei dem das Aufeinanderprallen gegensätzlicher individueller und kollektiver Interessen zu einem für alle unerwünschten Ergebnis führt: zu einem Mangel an Spenderorganen. Zahlreiche Patientinnen und Patienten müssen unnötige Leiden auf sich nehmen oder sterben verfrüht, weil sich zu wenige Personen bereit erklären, im Todesfall als Organspender zur Verfügung zu stehen. Ausnahmsweise mal kein Problem der Finanzierung, ruft dieses Problem nach einer Neuregelung der Organspende bzw. der Organzuweisung. In der Schweiz hat sich diesbezüglich wenig getan, aber zahlreiche andere Länder haben mittlerweile die sogenannte Widerspruchsregelung etabliert (z.B. Österreich, Spanien) oder gar eine Priorisierung von Organspendern bei der Organzuweisung eingeführt (Israel). Wissenschaftliche Befunde zeigen relativ klar, dass beide Strategien den Pool an Organspendern vergrössern und die Verfügbarkeit von Spenderorganen verbessern.

Die Krux bei neuen Regeln liegt aber in deren Akzeptanz – sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland scheint die Widerspruchsregelung momentan politisch nicht durchsetzbar. Eine von uns kürzlich durchgeführte Erhebung in Deutschland zeigt aber, dass die breite Bevölkerung diesbezügliche Reformen nicht von vornherein ablehnt. Unter den von uns Befragten, einer Population mit überdurchschnittlich hohem Bildungsniveau und leicht unterdurchschnittlichem Alter, bevorzugt mit 53% eine knappe Mehrheit die Widerspruchsregelung, 42% befürworten die Zustimmungsregelung, 5% sind unentschlossen. Wenig Unterstützung findet dagegen die Strategie der Priorisierung von Spendern bei der Organzuteilung, bei der im Falle eines Organmangels Personen, die selbst als Spender registriert sind, bevorzugt werden. Nur 32% unserer Befragten stimmen einer solchen Regelung zu. Eine Diskriminierung von Nichtspendern scheint für eine Mehrheit nicht akzeptabel zu sein. Verblüffenderweise dürfte die Priorisierungslösung aber, wenn sich der Spenderpool genügend ausweitet, auch den «diskriminierten» Nichtspendern zugutekommen und ihre Chance auf ein Spenderorgan – relativ zu früher – stark erhöhen. Die Erfahrungen in Israel, das die Priorisierung 2009 formal eingeführt hat, werden zeigen, wie sich diese Regel in der Praxis umsetzen lässt und ob die erwünschten positiven Effekte für alle realisiert werden können.

Literaturhinweis:
Höglinger, M. 2016. Can social norms overcome a public good dilemma? Experimental evidence for stated consent to organ donation. Paper presented at the 2016 “Joint Japan-US Conference on Mathematical Sociology and Rational Choice”, Seattle.

Dr. Marc Höglinger ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Team Versorgungsforschung am WIG.

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