«Wer die Familie mitdenkt, arbeitet wirksamer»

Ob in der Reha-Klinik oder im Kreissaal, ob ambulante oder stationäre Behandlung: Health Professionals haben immer auch mit Angehörigen von Patient:innen und Klient:innen zu tun. Wie sie die Zusammenarbeit mit allen erfolgreich gestalten, vermittelt das CAS Family Systems Care.

von Tobias Hänni

Die Tochter, die ihren dementen Vater pflegt. Der Mittdreissiger, der den querschnittgelähmten besten Freund unterstützt. Der Ehemann, der seine Frau während der Schwangerschaft begleitet. Health Professionals wissen: Erkrankung, Behinderung oder Unfall, aber auch erfreuliche Ereignisse wie etwa die Geburt, betreffen neben der Klientin oder dem Patienten immer auch Angehörige und enge Vertraute. «Jeder Mensch hat ein soziales Netz, das etwa von einer Erkrankung mitbetroffen ist, aber auch deren Verlauf beeinflusst», sagt Barbara Preusse-Bleuler, Pflegexpertin am ZHAW-Departement Gesundheit. «Deshalb sollten Health Professionals das Familiensystem bei ihrer Arbeit immer miteinbeziehen.»

Doch wie gelingt dieser Einbezug? Wie können Health Professionals mit Angehörigen kommunizieren, wie diese beraten? Solche und weitere Fragen beantwortet das CAS Family Systems Care. Die interprofessionelle Weiterbildung vermittelt das Wissen, um Familien kompetent zu beraten: Absolvierende verfügen über die Kompetenzen, familiensystemische Gespräche zu führen, Gesundheitsedukation effektiv zu gestalten und mit interprofessionellem Blick Familien zu begleiten. Barbara Preusse-Bleuler, die mit Schirin Akhbari Ziegler das CAS leitet, weiss: «Wer die Familie mitdenkt, arbeitet wirksamer.» Es sei durch die Forschung belegt, dass Therapien, Medikation und andere Massnahmen eine höhere Wirksamkeit hätten, wenn An- oder Zugehörige einbezogen würden.

Nicht nur mit Patient:innen reden

Was passiert, wenn dies nicht geschieht, veranschaulicht Preusse-Bleuler am Beispiel eines 65-Jährigen, der nach einem Herzinfarkt mehrmals mit Wasser auf der Lunge im Notfall landete. «Der Mann entwickelte aufgrund des Infarkts eine Herzinsuffizienz. Bei einer solchen muss unter anderem die Flüssigkeitsaufnahme streng kontrolliert werden, damit es nicht zu Wasseransammlungen im Körper kommt.» Der Ehefrau des Patienten sei dies nicht bewusst gewesen, wie sich nach dem vierten Besuch im Notfall herausgestellt habe. «Sie hat darauf geachtet, dass sich ihr Mann gesund ernährt. Und dazu gehörte für sie, dass er viel trinkt – zu viel für eine Person mit Herzinsuffizienz.» Das Beispiel zeige, dass es – insbesondere bei der Patient:innenedukation – «häufig nicht ausreicht, nur mit den Patient:innen zu reden». Informiere man die engsten Bezugspersonen ebenfalls und nehme ihre Bedenken und Überzeugungen ernst, dann reduziere das unnötige Wiedereintritte oder ambulante Behandlungen massiv.

Der familiensystemische Ansatz trägt laut Preusse-Bleuler auch dazu bei, dass pflegende Angehörige nicht selbst zu Patient:innen werden. «Werden sie von Anfang an einbezogen, wirkt sich das positiv auf ihre eigene Gesundheit aus.» Der Einbezug senke das Risiko, dass die Angehörigen selbst erkranken, weil die aufwendige Pflegesituation Sorgen und Belastungen mit sich bringt. Und er verhindere Diskussionen innerhalb der Familie, am Beispiel des Herzinfarkts-Patienten etwa über die körperliche Belastung, die Ernährung oder das Medikamentenmanagement. Ein weiterer positiver Nebeneffekt des familiensystemischen Ansatzes: Wenn Health Professionals diesen einsetzen, dann steigt mit der Wirksamkeit ihrer Arbeit auch ihre eigene Berufszufriedenheit. «Das höre ich immer wieder von Fachpersonen aus der Praxis», so Preusse-Bleuler.

Fragmentierung belastet Familien

Die Weiterbildung richtet sich an alle im Gesundheitswesen tätigen Personen. «Wir legen grosses Gewicht auf die interprofessionelle Zusammenarbeit», sagt die Pflegeexpertin, die im CAS zusammen mit Fachpersonen der Physio- und der Ergotherapie sowie der Geburtshilfe doziert. Denn der Versorgungspfad sei oft sehr fragmentiert. «Patient:innen und Klient:innen durchlaufen mehrere Stationen mit verschiedensten Fachpersonen. Das führt zu zahlreichen Schnittstellen, an denen Informationen verloren gehen oder kritische Situationen entstehen.» Das wirke sich nicht nur auf die Versorgungsqualität aus, sondern belaste auch die Angehörigen. «Diese betreiben oft einen grossen Aufwand, um diese Fragmentierung zu überbrücken.»

Hoher Praxisbezug

Um die Angehörigen zu entlasten, braucht es laut Barbara Preusse-Bleuler nicht nur einen familiensystemischen, sondern auch einen integrierten Versorgungspfad. Das ist auch der Grund, weshalb im CAS Family Systems Care interprofessionelle Fallbeispiele im Fokus stehen. «Diese bringen wir Dozierenden und die Teilnehmenden selbst aus der Praxis mit.» Herausfordernde Situationen und Gespräche werden mit professionellen Schauspieler:innen trainiert, zudem werden die Kursteilnehmenden beauftragt, solche Gespräche auch im Berufsalltag zu führen. Darüber hinaus erhalten die Teilnehmenden die Gelegenheit, die Arbeit der Family Systems Care Unit kennenzulernen. Diese berät am Therapie-, Trainings- und Beratungszentrum Thetriz der ZHAW Familien in kritischen Situationen. «Dozierende des CAS arbeiten am Thetriz und sind in eigener klinischer Praxis tätig», so PreusseBleuler. Der Praxisbezug sei eshalb sehr hoch. Ergänzt wird das praktische Trainieren mit Theorie zum familiensystemischen Ansatz, die über Vorlesungen, Plenumsgespräche und E-Learning vermittelt wird. //

Vitamin G, S. 36-37


Magazin «Vitamin G – für Health Professionals mit Weitblick»


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