Sie kennt die Sorgen von Geflüchteten nur zu gut

Nach ihrer Ankunft in der Schweiz lernte Batoul schnell Deutsch und engagierte sich sogleich für andere geflüchtete Menschen. Doch die belastenden Erlebnisse der Vergangenheit lassen die ZHAW-Studentin aus dem Iran nicht los. Die Geschichte einer Kämpferin.

von Andrea Söldi

Als Batoul letztes Jahr mit dem Studiengang Gesundheitsförderung und Prävention begann, wusste sie noch nicht, ob sie in der Schweiz bleiben kann. Die Iranerin, die aus Sicherheitsgründen nur mit ihrem Vornamen genannt werden möchte, war 2016 in die Schweiz geflüchtet. Ihr Asylgesuch wurde abgelehnt, später auch der Rekurs. Mit der Unterstützung einer Rechtsberatung beantragte sie nach sechs Jahren Aufenthalt eine Härtefallbewilligung. Während der Wartezeit hatte die ZHAW sie provisorisch aufgenommen. «Für mich war diese Zeit von Angst und Stress geprägt», blickt Batoul zurück. «Ich wusste nicht, ob ich überleben würde, sollte ich zurückgeschickt werden.» Unter diesen Bedingungen fiel es ihr schwer, sich aufs Studium zu konzentrieren. Verglichen mit ihrer Situation erschienen ihr die Sorgen ihrer Mitstudierenden schon fast banal. Dank ihrer guten Integration wurde das Gesuch im November 2023 nach sieben Jahren der Ungewissheit und des ständigen Bangens endlich gutgeheissen. Sie erhielt die Aufenthaltsbewilligung B, die auch zur Erwerbstätigkeit berechtigt.

Im Gespräch wird deutlich spürbar, wie stark die Erlebnisse der Vergangenheit die 32-Jährige nach wie vor belasten. Immer wieder wendet sie den Blick ab, hält inne, ihre Stimme stockt. Über die Flucht möchte Batoul nicht sprechen. Wer die Situation im Iran beobachte, könne sich die Gründe vorstellen, sagt sie vorsichtig, weil sie niemanden gefährden möchte: «Frauen haben nicht viele Rechte im Iran. Und ich bin ziemlich freiheitsliebend.»

Schnell Deutsch gelernt
Die erste Zeit nach der Ankunft in der Schweiz war Batoul im Bundesasylzentrum Embrach untergebracht. Bereits in diesen ersten Wochen begann die studierte Sportwissenschaftlerin stundenweise Büros zu putzen und übersetzte für asylsuchende Frauen von Farsi auf Englisch. Nach zwei Monaten wurde sie nach Winterthur verlegt und wohnte ein Jahr in der Kirche Rosenberg, die damals mit Holzhäuschen als Asylunterkunft für Geflüchtete hergerichtet worden war. «Das war schlimm», erinnert sich Batoul. Im Winter sei es kalt gewesen und die dünnen Wände hätten eine Intimsphäre verunmöglicht.

Bei der Organisation Solinetz, bei der sich Ehrenamtliche für Geflüchtete engagieren, besuchte die Iranerin Deutschkurse und lernte schnell. Sie nahm an sportlichen Aktivitäten des Vereins Sportegration teil. Das Laufen mit anderen habe ihr sehr geholfen, erzählt die begeisterte Sportlerin. Sie machte die Ausbildung zur Rettungsschwimmerin und assistierte in der Schwimmschule Winterthur ehrenamtlich bei Kursen für Kinder und geflüchtete Frauen. An einem Anlass in der Bibliothek lernte sie eine Frau kennen, die ihr half, eine Wohnung für eine Wohngemeinschaft zu finden.

Eigentlich hätte die junge Frau gern eine Ausbildung zur Medizinischen Praxisassistentin gemacht oder Physiotherapie studiert. Doch für beides wären praktische Erfahrungen nötig gewesen. Praktikumsplätze hatte sie bereits gefunden, doch während des Asylverfahrens war ihr das Arbeiten nicht erlaubt. «Ich war 24 und voller Energie, doch nichts wollte klappen», schildert sie ihre Frustration. «Ich konnte nicht verstehen, dass qualifizierte und gut integrierte Flüchtlinge nicht arbeiten und sich nützlich machen dürfen, sondern meist nur als Belastung gesehen werden.» Trotzdem gab Batoul nicht auf und suchte immer wieder nach sinnvollen Aufgaben, die ihr und anderen die Integration erleichtern sollten.

Mit Geflüchteten im Museum
Im Rahmen des Projekts TIM (Tandem im Museum), das Menschen über Kunst zusammenbringt, besucht die zum Beispiel regelmässig Ausstellungen im Kunstmuseum Winterthur, manchmal mit Schweizer Freund:innen, manchmal mit anderen geflüchteten Frauen. «Einige machen grosse Augen, wenn sie Gemälde oder Skulpturen von komplett nackten Menschen sehen», erzählt Batoul. Bei den gemeinsamen Betrachtungen komme es aber oft zu einem spannenden Austausch, erzählt sie. «Viele finden es gut, dass die Kunst in Europa so frei ist.»

Seit Februar 2022 hat Batoul zudem ein Teilzeitpensum bei einer städtischen Fachstelle, die Familien mit kleinen Kindern in schwierigen Situationen betreut. Weil sie Farsi spricht, kümmert sie sich vor allem um Familien aus dem Iran und Afghanistan. Obwohl ihre Arbeit geschätzt wurde, musste sie diese im Oktober 2022 vorübergehend kündigen. Denn damals hatte sie den Bescheid erhalten, ihr Rekurs sei abgewiesen worden und sie müsse innert eines Monats ausreisen. Das habe sich angefühlt, als hätte sie ihre Zukunft verloren, erzählt Batoul. Sie sei psychisch am Ende gewesen. Das Härtefallgesuch war ihr letzter kleiner Hoffnungsschimmer.

Um in dieser schwierigen Zeit etwas Halt zu gewinnen, gab sie Gymnastikkurse für italienische Seniorinnen im Kirchgemeindehaus. «Es ging mir schlecht, aber ich habe mich gezwungen, etwas für andere zu tun.» Trotz unsicherer Zukunft lernte sie gleichzeitig für die Aufnahmeprüfung an der ZHAW, die sie im Frühling 2023 bestand. Die Arbeit für die Fachstelle wurde ihr für den Studiengang Gesundheitsförderung und Prävention als praktische Erfahrung angerechnet.

Erlebnisse erschweren das Lernen
Aktuell studiert Batoul im zweiten Semester und kann auch wieder für die Fachstelle arbeiten. «Häufig kann ich das Gelernte in der Praxis direkt anwenden», freut sie sich. Das sei spannend und sie verstehe nun auch vieles aus dem Arbeitsalltag besser – zum Beispiel das Konzept der Chancengleichheit oder die verschiedenen Ansätze der Prävention. Auch die im Studium besprochenen Coping-Strategien seien hilfreich für ihren Job. Viele Familien, die sie betreut, seien nämlich von erschütternden Erlebnissen gezeichnet. Aufgrund ihrer eigenen Geschichte kann sie das gut nachvollziehen. «Ich fühle mit, muss aber auch lernen, mich abzugrenzen.»

Obwohl sie unterdessen fliessend Deutsch spricht, findet sie das Studium in dieser Fremdsprache sehr anspruchsvoll. «Ich muss doppelt so viel Aufwand betreiben wie andere.» Bei Prüfungen darf sie zwar ein Wörterbuch benutzen, doch für das Übersetzen braucht sie mehr Zeit. Zweimal habe sie wegen traumatischer Erinnerungen bei einem Test eine Blockade erlebt, erzählt sie. Die belastende Vergangenheit plage sie ständig und darunter leide auch die Aufmerksamkeit. In einer Traumatherapie versucht sie zu lernen, besser mit dem Erlebten zurechtzukommen. So hofft Batoul, das Studium zu schaffen und daneben möglichst viel arbeiten zu können. «Es ist mir wichtig, meinen Lebensunterhalt bald komplett selber zu verdienen.» //

Vitamin G, S. 29-30


Magazin «Vitamin G – für Health Professionals mit Weitblick»


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