Eine Wegbereiterin der akademischen Hebammenausbildung tritt ab: Beatrice Friedli hat das Institut für Hebammenwissenschaft und reproduktive Gesundheit an der ZHAW aufgebaut und 16 Jahre erfolgreich geleitet – mit Mut, Beharrlichkeit und Taktgefühl.
von Lucie Machac
«Ich bin pensioniert.» Dieser Satz geht Beatrice Friedli nur schwer über die Lippen. Sie hebt dabei ungläubig die Augenbrauen – und lacht. «Der Beruf gibt mir so viele Impulse. Wenn das nun wegfällt, bin ich gespannt, wie ich damit umgehe.» Die 64-Jährige ist jedoch zuversichtlich. Schliesslich hat sie schon ganz andere Hürden gemeistert. Denn Beatrice Friedli gehört zu den Pionierinnen der Akademisierung der Hebammenausbildung in der Schweiz. Gemeinsam mit ihrem Team hat sie das Institut für Hebammenwissenschaft und reproduktive Gesundheit an der ZHAW aufgebaut und während 16 Jahren mit Weitblick geführt.
Wagemutig war Beatrice Friedli schon als Teenager. Noch nicht ganz volljährig verbrachte sie einige Monate in einem Kibbuz und bereiste anschliessend – ohne dass es die Eltern wussten – halb Israel. Zurück in der Schweiz wollte sie erst einmal ihr Französisch aufbessern, also absolvierte sie in Lausanne ein Praktikum im Gesundheitswesen. «Nach der Krankenpflegeausbildung habe ich im Spital gearbeitet, wusste aber schnell, dass ich eigenständiger sein will und selbst entscheiden möchte.» Der Beruf als Hebamme schien ihr dafür ideal.
Auf den Hinterbeinen
«Mich hat vor allem die Frauen- und Familienbetreuung interessiert. Die Geburt eines Kindes ist eine sehr intensive Zeit mit vielen Veränderungen. Die werdenden Familien durch diesen Prozess zu begleiten, finde ich sehr wichtig und sinnvoll », sagt Beatrice Friedli. Nach einigen Jahren wechselte sie jedoch in den Ausbildungsbereich. Wollte sie noch mehr Gestaltungsspielraum? «Ich habe meine Karriere nie wirklich geplant. Die Hebammenschule Zürich hat mich gefragt, ob ich unterrichten möchte – und ich wollte!»
Sie habe «sehr unbedarft angefangen », sich aber bald das nötige Rüstzeug zum Unterrichten geholt. Fünf Jahre später bewarb sich Beatrice Friedli als Leiterin der Hebammenschule Zürich. Kurz nach Amtsantritt teilte man ihr jedoch mit, dass der Kanton die Schule schliessen will. Doch da hatten die Zuständigen die Rechnung ohne Beatrice Friedli gemacht. Statt zu resignieren, stellte sie sich mit ihrem Team auf die Hinterbeine. «Ich musste sehr schnell aktiv werden», erinnert sich Friedli. Sie musste lernen, wie sie politisch argumentiert, wo sie lobbyiert und wie sie restrukturiert, damit die Schule nicht schliessen muss. Einmal mehr hat Beatrice Friedli gewagt – und gewonnen: Sie hat die Schule elf Jahre lang geleitet.
Nicht nur Herz und Hände
2005 wurde schweizweit beschlossen, dass Hebammen auf Hochschulstufe ausgebildet werden. Beatrice Friedli wurde ab 2007 mit der grossen Aufgabe betraut, an der ZHAW den Bachelorstudiengang und das Institut für Hebammenwissenschaft und reproduktive Gesundheit aufzubauen und zu leiten. Gemeinsam mit ihrem Team hat sie das Curriculum für den Bachelorstudiengang, die Bereiche Forschung und Entwicklung sowie Weiterbildung und Dienstleistung entwickelt. «Es war wichtig, von Anfang an die Praxis, den Berufsverband und die politischen Akteur:innen mit einzubeziehen, um Akzeptanz für das Studium zu schaffen», sagt Friedli. Denn nicht alle waren von der Akademisierung des Hebammenberufes begeistert.
Es hiess damals: Eine Hebamme braucht ein Herz und zwei rechte Hände. «Das habe ich nie verstanden. Bei Ärzt:innen hat man nie in Frage gestellt, dass sie neben Herz und Händen auch den Kopf brauchen», ärgert sich Beatrice Friedli. Jedenfalls brauchte es neben Überzeugungskraft viel Feingefühl, um diversen Stakeholdern plausibel zu machen, welche Vorteile es hat, wenn Hebammen künftig ein Studium absolvieren. Und dass sie dennoch praktische Erfahrung mitbringen, weil diese im Studium integriert ist. Mit anderen Worten: Beatrice Friedli wurde zur Expertin im Networking und Lobbying, im Anträgeschreiben und Verhandeln.
«Mit der Zeit konnte ich mir schnell einen Überblick verschaffen und wusste, wann der beste Moment ist, zu agieren.» Vieles habe sie sich «durchs Machen und Erleben» angeeignet. Gleichzeitig hat sie sich während ihres gesamten Berufslebens weitergebildet. «Ich brauche in regelmässigen Abständen Hirnfutter», betont Beatrice Friedli, die viele Jahre auch Mitglied der Departementsleitung war.
Langer Kampf für Master
Egal ob auf der politischen oder gesellschaftlichen Ebene: Beatrice Friedli hat einige Kämpfe ausgefochten, damit sich die Hebammenausbildung auf Fachhochschulstufe etabliert. «Auch wenn wir alle Fakten dargelegt haben, mussten wir oft bereit sein, noch eine Runde zu machen, weitere Argumente zu sammeln und noch mehr Unterstützende ins Boot zu holen. » Veränderungsprozesse bräuchten halt einen langen Atem und Beharrlichkeit, sagt Beatrice Friedli. Eigenschaften, die ihr auch bei der Entwicklung des Masterstudiengangs für Hebammen oftmals geholfen haben.
Für die frisch gestartete akademische Ausbildung war es natürlich herausfordernd nachzuweisen, dass das Institut nicht nur genügend Forschungsthemen bearbeiten, sondern auch genügend Drittmittel erwerben kann. Auf politischer Ebene zog sich das Verfahren zudem deutlich in die Länge, so dass der Masterstudiengang erst 2017 starten konnte. Friedli ist am langwierigen Prozedere fast verzweifelt. Aber der Einsatz habe sich stets gelohnt, weil eine fundierte und evidenzbasierte Hebammenausbildung letzlich der Gesellschaft zugutekomme. «Wenn ich sehe, was unsere Absolvent:innen alles daraus machen, wie sie in der Praxis gelobt werden oder neue Versorgungsmodelle entwickeln, finde ich das schlicht grandios.»
Stolz ist Beatrice Friedli auch auf ihr Team. «Ich arbeite mit grossartigen Menschen zusammen. Dank ihrem Engagement ist es gelungen, viele innovative Konzepte zu erarbeiten und neue Entwicklungen in der Geburtshilfe anzustossen.» In einer Führungsposition sei es deshalb wichtig, eine grosse Offenheit für Menschen mitzubringen und die Ideen anderer ernst zu nehmen. Spricht man mit langjährigen Weggefährt:innen und Mitarbeitenden über Beatrice Friedli, fallen Attribute wie integer, loyal, mutig, aber stets reflektiert. Sie habe grosses Vertrauen in ihre Mitarbeitenden und einen Führungsstil, der Raum lässt, aber auch Sicherheit gibt.
Noch nicht am Ziel
Es scheint, als habe Beatrice Friedli nicht nur die Hebammenausbildung einen grossen Schritt vorwärtsgebracht, sondern auch sonst sehr vieles richtig gemacht. Am Ziel sei die Berufsentwicklung aber noch lange nicht, findet die abtretende Leiterin. «Die Advanced-Practice-Rollen müssen sich noch besser etablieren. Wir brauchen unbedingt mehr Masterabsolvierende und promovierte Hebammen, damit Frauen und Familien stets optimal und nach neustem Wissensstand betreut werden können. Und ich wünsche mir, dass sich die Schwangerenvorsorge durch Hebammen endlich auch in der Schweiz durchsetzt.»
Beatrice Friedli will die Entwicklungen weiterhin genau beobachten. Ruhestand? Von wegen. Sie kann sich gut vorstellen, künftig Coachingaufträge oder Intervisionen zu übernehmen. Primär freut sie sich aber darauf, mehr Freizeit zu haben. «Ich weiss gar nicht mehr, wann ich das letzte Mal im Kino war.» //