Im Spiel übt sich das Schreiben leichter

Kinder, die Schwierigkeiten beim Schreiben haben, sollten häufig und intensiv üben. Das Serious Game «Konditorei Kritzel» animiert sie spielerisch dazu. «Damit kann der Lernerfolg erhöht werden», sagt Co-Projektleiterin und Psychologin Annina Zysset.

von Eveline Rutz

Soll die Torte aus Legosteinen, Fischen und Schuhen bestehen? Oder doch lieber aus Schokolade, Biskuits und einer Bananenfüllung? Vor dieser Entscheidung stehen Kinder, wenn sie das Lernspiel «Konditorei Kritzel» nutzen. Auf dem Tablet müssen sie einzelne Schichten gestalten und die farbenfrohe Torte schliesslich ausliefern. Dabei fahren sie mit einem Stift den grafischen Formen, Schnörkeln und Wegen auf dem Bildschirm nach und trainieren so ihre grafomotorischen Fähigkeiten. Sie üben, genau und in einem angenehmen Tempo zu schreiben. «Das Serious Game animiert sie spielerisch dazu, die gleichen Schwung- und Schreibübungen immer wieder zu machen», sagt Annina Zysset, Psychologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Public Health. Dank dem digitalen Tool seien die Kinder motivierter und länger bei der Sache. Auf Papier empfänden sie solche repetitiven Aufgaben häufig als mühsam. «Beim Spielen verbessern sie ihre Fähigkeiten fast nebenbei.»

Schreibschwierigkeiten zählen zu den häufigsten Lernstörungen bei Schulkindern. Sie erschweren es Betroffenen, dem Unterricht zu folgen und sich zu beteiligen. Sie können zudem negative Gefühle auslösen und das Selbstwertgefühl beeinträchtigen. «Daher sollten sie frühzeitig und engagiert angegangen werden», sagt Zysset. Digitale Tools stellten dafür eine neue Möglichkeit dar. «Sie können zum Lernerfolg beitragen.»

Belohnungen statt Einstiegshürden

Die «Konditorei Kritzel» ist von einem interdisziplinären Team entwickelt worden. Forschende der Institute für Public Health und für Ergotherapie an der ZHAW sowie der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) haben dafür zusammengearbeitet, finanziell unterstützt wurden sie dabei von der Digitalisierungsinitiative der Zürcher Hochschulen (DIZH). «Das Spiel ist niederschwellig designt», sagt Annina Zysset, die das Projekt co-geleitet hat. So funktioniert es beispielsweise ohne Sprache: Wer es nutzen möchte, muss weder lesen noch schreiben können. Kinder benötigen keine spezifischen Sprachkenntnisse, sie können es spielen, ohne etwa Deutsch zu verstehen. Ausserdem ist das Serious Game selbsterklärend – eine Instruktion braucht es nicht.

Um die Motivation zu steigern, haben die Gamedesigner:innen unter anderem Belohnungen eingebaut. Nutzer:innen erhalten laufend optische und akustische Rückmeldungen. So werden sie etwa honoriert, wenn sie eine Tortenschicht fertig gestaltet haben. «Dank der unmittelbaren Feedbacks bleiben sie länger dran», sagt Annina Zysset. Sie verbesserten sich spielerisch, die Übungen seien wirksamer. Das Spiel verfügt über drei Schwierigkeitsstufen. Es passt sich den Leistungen der Nutzer:innen an und endet nach maximal 20 Minuten. Dieses Zeitlimit wurde eingebaut, da Kinder tendenziell zunehmend mehr Zeit vor einem Bildschirm verbringen, was negative Folgen haben kann. Ethische Fragen seien zu berücksichtigen, Vor- und Nachteile gelte es sorgfältig abzuwägen, sagen die Entwickler:innen.

Pilotstudie liefert wertvolle Hinweise

Zu den potenziellen Vorteilen von digitalen Lernspielen zählt, dass sie rasch Fortschritte ermöglichen. Darauf deutet auch ein Pilotversuch mit der «Konditorei Kritzel» hin, an dem sich rund 40 Erstklässler:innen aus dem Kanton Zürich beteiligt haben. Etwa die Hälfte der Kinder konnte das Game während dreier Monate zwei Mal wöchentlich spielen. Die restlichen Schüler:innen konnten dies nicht: Sie hatten Unterricht wie bisher. Alle Kinder mussten vor und nach der Pilotphase einen Schreibtest absolvieren, damit sich ihre Entwicklung dokumentieren lässt. Zudem sind sie in Fokusgruppen befragt worden. Erste Auswertungen deuteten darauf hin, dass Kinder ihre Schreibmotorik im Game verbesserten, sagt Annina Zysset. «So zeichnen die Kinder, die mit dem Game geübt haben, die Muster flüssiger nach als die Kinder, die das Spiel nicht nutzen konnten.»

Die Projektverantwortlichen sind zurzeit daran, die gesammelten Daten zu analysieren. Ende Jahr wollen sie ihre Erkenntnisse aus der Pilotstudie kommunizieren. Die Zahl der Teilnehmenden sei allerdings klein und die Zeitspanne kurz gewesen, gibt Zysset zu bedenken. Um den Einfluss des Games auf den Lernerfolg genauer zu beschreiben, brauche es eine grössere Erhebung. Teilnehmende der Pilotstudie bewerteten die «Konditorei Kritzel» als motivierend und unterhaltsam. Lehrpersonen beobachteten, dass Kinder selbständig arbeiteten, länger übten und sich steigerten. «Wir haben wertvolle Hinweise erhalten, was wir noch realisieren könnten», sagt Zysset. Das Projektteam denkt etwa daran, zusätzliche Charaktere und weitere Levels zu schaffen. Das Spiel kann auch bei Kindern ohne Lernschwäche eingesetzt werden. «Es profitieren alle davon», betont Annina Zysset. Es breit zu nutzen, könne zudem helfen, einer Stigmatisierung entgegenzuwirken. «Wie es zum Einsatz kommt, ist den Lehrpersonen überlassen.»

Spass fördert die Ausdauer

Viele Kinder entscheiden sich übrigens für Legosteine, Schuhe und Fische, wenn sie in der «Konditorei Kritzel» eine Torte «backen». «Dieses verspielte Element kommt gut an», berichtet die Psychologin. Es bringe Kinder dazu, ausdauernd zu üben. Serious Games hätten im Bildungsbereich grosses Potenzial, sagt Annina Zysset abschliessend. «Sie dürften künftig stärker und vielfältiger eingesetzt werden, um Kinder bei ihren aktuellen Fähigkeiten abzuholen und sie effektiv und individuell zu fördern.» //

Vitamin G, S. 20-21


Serious Games: Training und Unterhaltung

Sogenannte Serious Games verbinden ein ernsthaftes Anliegen mit Spass. Sie vermitteln Wissen oder animieren Nutzer:innen dazu, eine bestimmte Situation zu meistern. Sie fordern heraus und sind gleichzeitig unterhaltsam. In der Rehabilitation können sie als Exergames dazu motivieren, die gleichen Bewegungen immer wieder auszuführen. Und sie erlauben es, physische und kognitive Fähigkeiten gleichzeitig zu trainieren. So bereiten sie Patient:innen etwa auf die Rückkehr in den Alltag vor. Grosses Potenzial haben Serious Games auch im Bildungsbereich. Dort können sie genutzt werden, um Schüler:innen individuell zu unterstützen.


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