Das ZHAW-Projekt «Hand in Hand» bringt Alleinerziehende und Studierende zusammen: Während die auf sich allein gestellten Mütter oder Väter wertvolle Hilfe im Alltag erhalten, sammeln die Studierenden Praxiserfahrung und Credits für ihr Studium. Das Projekt begeistert beide Seiten und ist dank eines nächtlichen Anrufs zustande gekommen.
von Marion Loher
Als alleinerziehende Mutter und berufstätige Ärztin steht Franziska Graf* täglich vor organisatorischen Hürden. «Mein Sohn ist erst acht Monate alt und fordert mich sehr», sagt sie. Die Balance zwischen Beruf und Familie zu finden, sei oft schwierig. Umso erleichterter war die junge Mutter, als sie im Internet auf das Projekt «Hand in Hand» des ZHAW-Departements Gesundheit stiess, das Studierende mit Alleinerziehenden vernetzt, um sie zu unterstützen. Sie meldete sich an und besuchte zusätzlich den Treff, der ebenfalls Teil des Programms ist. «Der Austausch mit Gleichgesinnten tut einfach gut.»
Zur Entlastung im Alltag wurden ihr zwei Studierende unterschiedlicher Studiengänge zugeteilt, die sich während eines Semesters abwechselnd oder gemeinsam um das Kind kümmerten oder andere Aufgaben wie Einkaufen oder die Begleitung zum Flughafen übernahmen. «Ich habe mich von Anfang an gut mit den beiden verstanden und wir haben schnell Vertrauen aufgebaut», sagt die alleinerziehende Mutter. Sie ist dankbar für die Unterstützung, die ihr den Alltag spürbar erleichtert. «Endlich kann ich wieder etwas Sport treiben», freut sie sich und lacht. Eine der beiden Studierenden ist Erena Hili. Sie studiert Pflege im sechsten Semester und musste nicht lange überlegen, als sie von diesem Angebot als Wahlpflichtmodul hörte. «Ich finde das Projekt sehr hilfreich», sagt sie. «Es ist praxisnah, lässt den Studierenden viel Flexibilität und man bekommt Vergütung in Form von Credits.» Doch es war nicht nur der praktische Nutzen, der Erena Hili überzeugte, sondern auch der persönliche Bezug zum Thema. Ihre Mutter zog sie und ihre Geschwister ebenfalls allein auf. «Ich weiss, wie herausfordernd dieser Alltag sein kann», sagt sie. «Zum Glück hatte meine Mutter ein starkes Umfeld.» Da aber nicht alle Alleinerziehenden diese Unterstützung hätten, wolle sie etwas zurückgeben.
Die Einsätze bei Franziska Graf wurden individuell abgestimmt: Die Mutter schrieb ihre Anliegen in den Chat und Erena Hili oder ihr Tandempartner Michael Mathis, der im vierten Semester Ergotherapie studiert, meldeten ihre Verfügbarkeit zurück. Durchschnittlich war die Studentin einmal pro Woche für ein paar Stunden bei Franziska Graf. Besonders spannend fand Erena Hili die interprofessionelle Zusammenarbeit. «Mein Tandempartner hatte als angehender Ergotherapeut vor allem die Feinmotorik im Blick, ich den ganzheitlichen Beziehungsaspekt», sagt sie. «So konnten wir viel voneinander lernen und unsere Stärken optimal kombinieren.»
Ein nächtlicher Anruf als Auslöser
Initiiert wurde das Projekt «Hand in Hand» von Marion Huber, Leiterin der Fachstelle Interprofessionelle Lehre und Praxis am Institut für Public Health. Auslöser war ein Anruf gewesen, den sie als Patentante vor einigen Jahren mitten in der Nacht bekommen hatte. «Eine berufstätige alleinerziehende Freundin war krank und brauchte dringend Hilfe. Sie sagte mir auch, dass sie häufig das Problem habe, nicht zu wissen, an wen sie sich wenden könne. Ihr familiäres Umfeld war nicht in der Nähe.»
Daraufhin wurde 2021 im Rahmen einer Bachelorarbeit der Unterstützungsbedarf für Alleinerziehende im Raum Winterthur untersucht und festgestellt, dass dieser vorhanden ist. Zudem wurde klar, dass viele nicht nur kurzfristige Hilfe benötigen, sondern auch langfristige Lösungen, die sie in ihren Alltag integrieren können. Mit dieser Erkenntnis nahm Marion Huber Kontakt mit den Dienststellen auf und baute das Projekt als Wahlpflichtmodul für Bachelor- Studierende des Departements Gesundheit auf. «Nebst der Unterstützung durch Studierende wollten wir auch ein Netzwerk schaffen, das den Austausch fördert», erklärt sie. Daraus sind die Treffen entstanden, die alle zwei Monate in Form eines sonntäglichen Brunchs stattfinden. «Die Rückmeldungen der Teilnehmenden sind sehr positiv», sagt Moira Trüb, die bei Marion Huber als wissenschaftliche Assistentin im Projekt mitarbeitet. Künftig wird es an den Netzwerktreffen auch ein 30-minütiges Referat zu einem spezifischen Thema geben, basierend auf den Bedürfnissen der Alleinerziehenden.
Einblicke in andere Lebensrealitäten
Ein Teammitglied der ersten Stunde von «Hand in Hand» ist Deborah Scharfy. Als alleinerziehende Mutter von zwei Kindern und Hebammen-Studentin im dritten Semester kennt sie beide Perspektiven. Sie weiss, was Einelternfamilien brauchen und wo es Verbesserungsmöglichkeiten gibt, kann aber auch das Arbeitspensum der Studierenden einschätzen. Aktuell gibt es mehr Alleinerziehende als Studierende, die sich zur Verfügung stellen. Deborah Scharfy vermutet, dass viele den Aufwand scheuen. «Damit sich dieser in Grenzen hält, findet die Unterstützung im Tandem statt», erklärt sie. Das hat gleich mehrere Vorteile: Zum einen entlastet es die Studierenden, zum anderen fördert es die Zusammenarbeit zwischen den Berufen. «Das Projekt bietet den Studierenden nicht nur praxisnahe Erfahrung, sondern auch Einblicke in die Lebensrealität von Alleinerziehenden.» Für sie selbst ist die Hilfestellung zurzeit weniger dringlich, da ihre Kinder bereits fünf und sieben Jahre alt sind. «Dank Kindergarten und Hort klappt es inzwischen ganz gut.» Als die Kinder jünger waren, sei das anders gewesen. «Ich hatte damals niemanden aus meinem familiären Umfeld. Deshalb war ich froh, als mir eine Frau aus der Nachbarschaft ab und zu half, die Kinder ins Bett zu bringen. Das war Gold wert.»
Auch für Franziska Graf hat sich die Situation seit Februar etwas entspannt, da ihr Baby nun einen Kita-Platz hat. Doch an Wochenenden oder bei Terminen wie einem Zahnarztbesuch kommt es immer wieder zu Engpässen. Dann genügt eine kurze Nachricht im Chat und Erena Hili oder Michael Mathis springen ein. Sie helfen der Mutter auch über das Praxisprojekt hinaus. «Solange es neben dem Studium möglich ist, mache ich gerne weiter», sagt Erena Hili. Und die Mutter betont: «Ich bin sehr dankbar, die beiden über das Projekt kennengelernt zu haben. Solche Angebote sind unglaublich wichtig.» Projektinitiantin Marion Huber möchte in Zukunft weitere Unterstützungsmöglichkeiten für vulnerable Gruppen schaffen, die unterversorgt sind. «Wir wollen helfen und gleichzeitig den Studierenden eine praxisnahe Ausbildung bieten, die ihnen auch im richtigen Leben von Nutzen ist.» //
Wahlpflichtmodule: vielfältige Themen, interprofessionelle Chancen
Die Wahlpflichtmodule der Bachelorstudiengänge am ZHAW-Departement Gesundheit bieten Studierenden eine vielfältige Auswahl an Themen und Kompetenzfeldern. Sie ermöglichen eine gezielte, interessengeleitete Entwicklung und fördern gleichzeitig die interprofessionelle Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Gesundheitsberufen. Denn Studierende aller Gesundheitsstudiengänge belegen diese Module gemeinsam und trainieren so die Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen. «Um die Qualität der Versorgung nachhaltig zu verbessern, wird die interprofessionelle Zusammenarbeit im Gesundheits- und Sozialwesen immer wichtiger», betont Marion Huber, Leiterin der Fachstelle Interprofessionelle Lehre und Praxis am Institut für Public Health der ZHAW. Gleichzeitig könne sie eine wirksame Antwort auf den Fachkräftemangel sein.
Das breite Angebot der Wahlpflichtmodule umfasst Themen wie Digital Health, Spiritual Care, Migration und Gesundheit oder Globale Gesundheit und internationale Gerechtigkeit. Eine erste Modul-Gruppe behandelt teils gesellschaftliche und wirtschaftliche Strukturen sowie aktuelle Herausforderungen wie den Klimawandel oder die Frage Wahlpflichtmodule: «Gesundheit, was darf sie kosten?». In diesem Modul analysieren Studierende gesundheitsökonomische Fragen und setzen sich mit dem Schweizer Gesundheitssystem auseinander.
In der zweiten Modul-Gruppe erweitert sich das Angebot um Themen, die sich stärker auf die Praxis und interprofessionelle Zusammenarbeit beziehen. Neben der Reflexion beruflicher Herausforderungen und der Entwicklung kooperativer Problemlösekompetenzen werden hier auch gesellschaftliche, technologische oder kulturelle Entwicklungen betrachtet. So vermittelt beispielsweise das Modul «Digital Health» die Beurteilung bestehender digitaler Tools und die Entwicklung neuer, fiktiver Angebote. Nebst dem Fachwissen erwerben die Studierenden personale, soziale und kommunikative Kompetenzen. Weiter können gewisse Praxiseinsätze angerechnet werden. Dazu zählt beispielsweise das Projekt «Hand in Hand» oder das interprofessionelle Onlineangebot «Gemeinsam lernen unter einem D-A-CH», das Hochschulen aus der Schweiz, Deutschland und Österreich gemeinsam entwickelt haben.