Gut gerüstet zurück in den Beruf

Ein Mentoring-Programm der ZHAW und des Ergotherapie-Verbands Schweiz unterstützt Ergotherapeut:innen dabei, nach einem Unterbruch wieder im Beruf Fuss zu fassen. Eine Absolventin ist Elisabeth Büche: Sie ist heute in einer Praxis angestellt und betreut ihre Klient:innen häufig bei diesen zu Hause.

von Annina Dinkel

Das Auto von «Ergo Mobil» hält vor einem Mehrfamilienhaus, Elisabeth Büche steigt aus. Sie wird schon von Frau Keller* erwartet. Die Klientin hat eine Cerebralparese und lebt dank ihres Elektrorollstuhls sowie Spitex- und Mahlzeitendienst selbstständig. Einmal in der Woche wird sie von Ergotherapeutin Elisabeth Büche besucht. Gemeinsam besprechen sie, wie sich Frau Kellers Alltag strukturieren und anpassen lässt, damit ihr Leben zu Hause einfacher wird.

Dass Elisabeth Büche heute so als Ergotherapeutin arbeitet, verdankt sie auch dem «ErGo-Mentoring». Dieses Programm entwickelten der Ergotherapie-Verband Schweiz (EVS) und das Institut für Ergotherapie der ZHAW vor rund fünf Jahren gemeinsam. «Hintergrund warder zunehmende Fachkräftemangel», sagt Anika Stoffel, Programmverantwortliche und Leiterin Weiterbildung am ZHAW-Institut für Ergotherapie. «Wir wussten, dass Ergotherapeut:innen nach einer längeren zum Beispiel familiär bedingten Pause zögern, wieder einzusteigen. Zudem fühlen sich viele unsicher, wenn sie es doch tun.» Mit dem Mentoring-Programm wollten Stoffel und ihre Kolleginnen vom EVS solche Fachkräfte wieder für die Arbeitswelt gewinnen oder sie dabei unterstützen, trotz Herausforderungen als Ergotherapeut:in tätig zu bleiben.

Rückkehr nach 30 Jahren

Elisabeth Büche hatte vor über 30 Jahren die Ergotherapie-Schule in Biel abgeschlossen. Bereits während des Studiums bekam sie ihr erstes Kind. In den darauffolgenden vier Jahren kamen vier weitere hinzu. Während der intensiven Familienzeit trat der Beruf in den Hintergrund. Therapeutisch mit Klient:innen zu arbeiten, wäre «körperlich zu nah» gewesen, sagt Büche. Mit dem Berufseinstieg der Kinder bildete sie sich zur Sozialbegleiterin weiter und stieg in einer grossen sozialen Institution bis zur Abteilungsleiterin für Integrationsmassnahmen auf. Nach zehn Jahren wünschte sich Elisabeth Büche eine Veränderung. Als in einer Rehaklinik eine Teilzeitstelle als Ergotherapeutin ausgeschrieben war, bewarb sie sich – und bekam den Job.

Fragen stellen, Wissenslücken füllen

Während ihrer Zeit in der Rehaklinik meldete sich Büche für das «ErGo-Mentoring»-Programm an: «Nach 30 Jahren weg vom Beruf fühlte ich mich unsicher, was die Erwartungen an mich sind und ob das, was ich tue, wirklich Ergotherapie ist. Zudem hatte ich praktische Fragen. Zum Beispiel, wie ich bei einem Herzpatienten an der Ergonomie arbeiten kann.» Im Mentoring konnte sie solche Fragen mit anderen Ergotherapeut:innen besprechen und ihre Berufsidentität reflektieren. Neben dem Austausch und wertvollen Kontakten schätzte Elisabeth Büche vor allem, dass sie durch das Programm Zugriff auf Unterrichtsinhalte des heutigen Bachelor-Studiengangs der ZHAW hatte. «So konnte ich Wissenslücken füllen und mir einen guten Überblick verschaffen.»

Zum Mentoring gehörte auch die Möglichkeit zu hospitieren. Elisabeth Büche nutzte diese erst relativ spät, nachdem sie bereits in der Praxis «Ergo Mobil» begonnen hatte. «Die Domiziltherapie interessierte mich. Aber ich musste zuerst prüfen, ob das wirklich meine Klientel ist», so Büche. Bei der Hospitation konnte sie einen Tag lang eine Winterthurer Ergotherapeutin bei Hausbesuchen begleiten und sie anschliessend bei einem Online-Gespräch mit Fragen zur Domiziltherapie löchern.

Mehr Selbstvertrauen und Zufriedenheit

Heute blickt Elisabeth Büche zufrieden auf ihren Weg zurück: «Ergotherapie ist ein wirklich toller Beruf, gerade weil er so vielfältig ist. Wir haben die perfekte Ausgangslage, uns dahin zu entwickeln, wo es uns hinzieht.» Das «ErgoMentoring»-Programm habe ihr geholfen, ihr Profil zu finden. Sie empfiehlt es daher auch anderen Ergotherapeut:innen. Allerdings: «Man muss den Sprung ins kalte Wasser wagen und sich mit Neugierde und Motivation etwas erarbeiten.» Das unterstreicht auch Anika Stoffel von der ZHAW: «Ein solches Programm ist immer ein Puzzleteil. Es braucht jedoch noch weitere Komponenten, um im Beruf zu bleiben. Etwa Unterstützung in der Praxis.» Seit Büches Abschluss wurde das Mentoringprogramm weitergeführt, regelmässig evaluiert und optimiert. Die Rückmeldungen fallen entsprechend positiv aus. So sagen fünf von sechs Absolvent:innen, dass ihr Selbstvertrauen und die Zufriedenheit im Beruf mit dem Programm zugenommen haben.

Der Hausbesuch bei Frau Keller ist zu Ende. Elisabeth Büche verabschiedet sich und kehrt zu ihrem Auto zurück. Dass sie ein solches nutzt, war bis vor kurzem keine Selbstverständlichkeit. Nach der Fahrprüfung war Büche jahrzehntelang nicht Auto gefahren. «Es hat mich Überwindung gekostet, ein Auto zu kaufen und mich wieder ans Steuer zu setzen. Aber für den Beruf und die Unabhängigkeit hat es sich mehr als gelohnt», sagt sie und fährt ab. //

*Name geändert

Vitamin G, S. 25-26


Mentoring-Programm mit vier Bausteinen

Das «ErGo-Mentoring» richtet sich an Neu- und Wiedereinsteiger:innen in der Ergotherapie. Es dauert rund ein Jahr und umfasst vier Bereiche:

Beratung: Standortbestimmung und Planung zu Beginn sowie Ausblick im Sinne einer Laufbahnplanung am Ende des Programms.

Persönliches Mentoring: Ein:e Mentor:in unterstützt die Teilnehmer:innen in ihrem Entwicklungsprozess – basierend auf deren Fragestellungen. Bei Bedarf wird auch eine Hospitation vermittelt.

Peer-Mentoring: Die Teilnehmer:innen treffen sich mehrmals zu einem geleiteten Peer-Mentoring. Dabei geht es um den Austausch sowie gemeinsames Lernen anhand spezifischer Leitfragen oder Modelle.

Weiterbildung: Alle Teilnehmer:innen besuchen einen Weiterbildungskurs zum Thema «Formulieren von Interventionszielen». Zudem erhalten sie Zugang zu digitalen Lerneinheiten des aktuellen Bachelorstudiums.


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