Mit der Firma MyoSwiss hat die ZHAW einen Industriepartner gefunden, um die User Experience von Exoskeletten zu erforschen. Die Zusammenarbeit mit dem Zürcher Startup ebnet den Weg in eine hoffnungsvolle Zukunft für Menschen mit Bewegungseinschränkungen.
VON MICHAELA MÄDER
«Nur 300 Meter an den Krücken gehen bereitet mir bereits enorme Schmerzen», erzählt Lorenz Schwärzler. Der heute 51-Jährige erlitt bei einem Badeunfall vor rund 30 Jahren einen Halswirbelbruch, seither ist er inkomplett querschnittgelähmt. Im Jahr 2018 hat er den Myosuit entdeckt und ausprobiert. «Es ist verrückt, ich habe mit dem Myosuit keine Schmerzen mehr beim Gehen. Er stützt mich ideal in der Hüfte und der Wirbelsäule», erzählt Lorenz Schwärzler begeistert.
Für Jamie Duarte, CEO von MyoSwiss, sind solche Stimmen wertvoll und bestärken ihn und sein Team im täglichen Tun und Handeln: «Sich frei bewegen zu können, ist ausschlaggebend für die Selbständigkeit und Lebensqualität eines jeden Menschen», so der Ingenieur. Für manche ist dies jedoch nicht selbstverständlich.
Und genau da möchte das Med-Tech-Unternehmen ansetzen. Das Ziel: Menschen mit Bewegungseinschränkungen Lösungen anbieten, mit denen sie ihr Potenzial ausschöpfen können. Die Entwicklung des Myosuit ist ein erster Meilenstein in diese Richtung.
Der Vergleich mit dem E-Bike
Doch wie funktioniert der Myosuit? «Unser Exoskelett ist eine Bewegungshilfe für Menschen mit schwachen Beinen. Er funktioniert wie ein E-Bike. Das heisst, er liefert individuelle Unterstützung und Kraft im Hüftbereich und in den Beinen, immer so viel, wie die jeweilige Nutzerin, der jeweilige Nutzer gerade benötigt. Um den Myosuit erfolgreich nutzen zu können, muss jedoch ein gewisses Mass an Restmuskelfunktion in den Beinen vorhanden sein», so Duarte. Denn wie beim E-Bike muss die Bewegung vom Nutzer selbst initiiert werden, dann erst setzt die zusätzliche Unterstützung ein.
Derzeit sind rund 40 Myosuits auf dem Markt, im Einsatz vor allem in Physiotherapiestudios, Rehakliniken oder auch in privaten Settings. Das Ziel ist nun, das Produkt bekannter zu machen, damit noch mehr Erfolgsgeschichten wie jene von Lorenz Schwärzler erzählt werden können.
ZHAW und User Centered Design
Und genau hier setzt die Zusammenarbeit mit der ZHAW an. Im Rahmen eines Innovationsprojekts der ZHAW, finanziert durch Innosuisse, die Förderagentur des Bundes, wird untersucht, wie Exosuits durch sogenanntes User Centered Design verbessert werden können. Dazu wurden Nutzer des Myosuits befragt, wo sie Stolpersteine sehen und wie diese Hürden abgebaut werden könnten. «Nach den ersten Interviews mit Gruppen aus den Bereichen der Sportrehabilitation und der Geriatrie haben wir uns schliesslich auf die zweite Gruppe, also jene der älteren Personen, fokussiert», sagt Eveline Graf, Projektleiterin seitens ZHAW. Aus den Interviews hat Eveline Graf drei wichtige Erkenntnisse gewonnen: Erstens muss die Akkulaufzeit des Myosuits optimiert werden, um den Alltag flexibel gestalten zu können. Zweitens muss das An- und Abziehen einfacher zu bewältigen sein. Von den jetzt benötigten zehn Minuten soll der Vorgang wunschgemäss auf zwei Minuten reduziert werden. Und drittens muss die Bedienung intuitiver und auch für Nichtfachpersonen einfach verständlich sein.
«Aus den Interviews und Erkenntnissen definieren wir nun einen Anforderungskatalog, den wir MyoSwiss übergeben,» so Eveline Graf. Der Ball liegt dann wieder beim Med-Tech-Unternehmen, und die Modifizierungen des Myosuit gehen in die nächste Entwicklungsrunde. Doch die Arbeit der ZHAW ist damit nicht abgeschlossen: «Wir legen unseren Schwerpunkt derzeit auf die Ausbildung der Physiotherapeuten und Physiotherapeutinnen. So
möchten wir die Fachpersonen im Umgang mit dem Myosuit schulen und ihnen beibringen, wie sie ihre Patientinnen und Patienten optimal auf die Nutzung zu Hause vorbereiten können», erklärt Eveline Graf.
Bei Lorenz Schwärzler klappt das bereits – dank dem Myosuit ist er mobiler und selbständiger geworden. Er hat ein hochgestecktes Ziel: zehn Kilometer am Stück zu gehen. Am Zürich Marathon 2019 hat er bereits einen wichtigen Meilenstein erreicht. Mit dem Myosuit hat er stolze fünf Kilometer zurückgelegt. Man darf gespannt sein auf seine nächsten Erfolge. //
EVELINE GRAF leitet an der ZHAW den Forschungsschwerpunkt «Entwicklung, Implementierung und Evaluation neuer Technologien in der Physiotherapie» und unterrichtet Biomechanik sowie Projektmanagement im BSc und MSc Physiotherapie. Das Thema «Gehen» hat ihre Forschungslaufbahn seit jeher geprägt. Für Eveline Graf sind bei einem Produkt die Usability und die User Experience genauso relevant wie die Technik.
JAMIE DUARTE ist Co-Founder und CEO der MyoSwiss AG. Er hat in den USA und an der ETH Zürich studiert – mit dem Fokus auf robotische Rehabilitation – und gründete zusammen mit Kai Schmidt 2017 das ETH Spin-off MyoSwiss. Er ist überzeugt, dass Bewegung im Leben eines jeden Einzelnen essenziell ist. Seine Vision: Ein Exoskelett zu entwickeln, das man so einfach und schnell anziehen kann wie eine Hose oder ein T-Shirt.