POWERFRAU OHNE ZEIT FÜR LANGEWEILE

Sie forscht und unterrichtet, malt, kocht und betreut Gäste in ihrem Guesthouse: Marion Huber ist ein Tausendsassa und hat schon viel in ihrem Leben erlebt. Etwas vom Eindrücklichsten war für die stellvertretende Leiterin der Fachstelle Interprofessionelle Lehre und Praxis am Departement Gesundheit die Arbeit mit Wachkoma-Patienten.

VON MARION LOHER

Es gibt etwas, das Marion Huber in ihrem Leben gar nicht mag – und das ist Routine. «Ich brauche Abwechslung, viel Abwechslung sogar», sagt die 54-Jährige und lacht. Vor kurzem hat die Dozentin am ZHAW-Departement Gesundheit das von ihren Eltern geerbte Haus im Schwarzwald zu einem Guesthouse umgebaut. Schon bald möchte sie dort an den Wochenenden für ihre Gäste kochen sowie Ski- und Wandertouren anbieten. Die Arbeit an der ZHAW soll deswegen aber nicht zu kurz kommen. «Ich hatte in meinem Leben meist mehrere Jobs gleichzeitig», sagt die ausgebildete Physiotherapeutin mit einem Augenzwinkern.

Kreativer Ausgleich

Marion Huber arbeitet seit 2008 an der Hochschule. Sie hat die interprofessionelle Ausbildung in den vier Gesundheitsberufen Pflege, Hebamme, Physio- und Ergotherapie mit aufgebaut. Mittlerweile ist sie stellvertretende Leiterin der Fachstelle Interprofessionelle Lehre und Praxis, Verantwortliche für studienübergreifende Module sowie Fachverantwortliche und Dozentin für das Wissenschaftliche Arbeiten. Entspannt und lässig gekleidet in Jeans und Bluse sitzt die umtriebige Wissenschaftlerin an diesem Nachmittag in der Kantine des neuen Hochschulgebäudes. Ihr Sprachtempo ist hoch, sie hat viel zu erzählen. «Ich bin selten nur an einem Projekt dran, fahre meistens mehrgleisig», sagt sie und wirft ihre langen, graumelierten Haare in den Nacken. In den letzten Monaten hat die gebürtige Deutsche vor allem die Umstrukturierung des Gesamtunterrichts der interprofessionellen Module beschäftigt. «Das war viel Arbeit, auch weil Corona innert kurzer Zeit mehr E-Didaktik forderte.»

Aufgewachsen ist die Tochter einer Pianistin und Stieftochter eines Arztes in Verbier im Kanton Wallis. Im Alter von acht Jahren zog es die Familie zurück nach Deutschland, mit 25 Jahren kam Marion Huber wieder in die Schweiz. Zuvor hatte sie ihr Abitur in einem Internat in Niedersachsen abgeschlossen. Ihr Schwerpunktfach damals war Kunst, wobei es ihr besonders die Malerei angetan hatte. Wenn immer möglich nahm sie Pinsel und Farbkasten in die Hand und malte. Einige ihrer Bilder wurden auch ausgestellt. Ganz auf die Malerei zu setzen, habe sie sich aber nicht getraut. «Ich hätte mich zu oft zu stark verbiegen müssen.» Sie entschied sich für eine Ausbildung zur Physiotherapeutin. Das Malen aber blieb – mit Ausnahme einiger Jahre – ihr liebstes Hobby. Mittlerweile hat sie ein eigenes Atelier, wo sie praktisch jeden Abend vor der Leinwand sitzt. Oft malt sie schon am Morgen, beim Kafi, bevor sie an die Hochschule geht – sofern ihr Hund nicht die ganze Aufmerksamkeit fordert.

Es braucht einen Perspektivenwechsel

Als stellvertretende Leiterin der Fachstelle Interprofessionelle Lehre und Praxis ist es ihr wichtig, unter den verschiedenen Gesundheitsberufen ein gemeinsames Sprachverständnis zu schaffen. So finden am Departement Gesundheit regelmässig Lehrveranstaltungen statt, an denen angehende Pflegefachleute, Hebammen, Physio- und Ergotherapeutinnen und -therapeuten sowie Gesundheitsförderinnen und -förderer teilnehmen und zusammen Themen bearbeiten. «Wir sensibilisieren Studierende dafür, einander besser zuzuhören und nachzufragen, wenn sie etwas nicht verstehen.» Es gebe Begriffe, die von allen Berufsgruppen verwendet werden, jede aber etwas anderes darunter verstehe. «Wir müssen lernen, die Perspektive zu wechseln und nicht per se vom eigenen Verständnis auszugehen», so die Expertin. Für eine gute und professionelle Zusammenarbeit im Gesundheitsbereich sei dies enorm wichtig, nur so könnten Missverständnisse, Doppelspurigkeiten und Behandlungsfehler am Patienten vermieden werden. Seit 2017 ist dies nicht mehr bloss trockene Theorie für die Studierenden. Im Rahmen des Modells ZIPAS, der Zürcher interprofessionellen klinischen Ausbildungsstation, können sie dieses berufsübergreifende Arbeiten in Spitälern unter Supervision an echten Patientinnen und Patienten praktizieren.

Dass es diese Möglichkeit gibt, ist auch Marion Huber zu verdanken. Sie hat viel Erfahrung in dieser Art der Zusammenarbeit und das Konzept mitgestaltet. Bevor sie an die ZHAW kam, hatte sie in der Rehabilitationsklinik REHAB-AG Basel die Wachkomastation mitaufgebaut und war dort während 15 Jahren zunächst als Physiotherapeutin, dann auch als Heilpraktikerin und später als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig. Im Team wurde aber nicht «nur» interprofessionell, sondern bereits transprofessionell gearbeitet. «Wir hatten alle dieselben Weiterbildungen, obwohl wir aus unterschiedlichen Berufsgattungen kamen. So erledigten alle die gleichen Aufgaben am Patienten.» Sie nahm ihre Wachkoma-Patienten oft mit nach draussen. «Wir legten uns ins Gras oder spielten Fussball», erzählt sie. «Ich fand das sinnvoller, als sie durchzubewegen.» Für die Physiotherapeutin war es körperlich anstrengend, da sie alle Bewegungen mit dem Patienten synchron machte. Trotzdem: Die Mühen lohnten sich. «Es gab kaum einen Patienten, der nicht reagierte, und wenn es nur die Körperspannung war, die rauf oder runter ging.» Marion Huber bezeichnet sich selbst als «energetisch nervösen Menschen, der im Leben schnell unterwegs ist». Nie hätte sie deshalb gedacht, dass sie einmal mit Wachkoma-Patienten arbeiten würde. Sie hatte grossen Respekt davor, sich auf deren Tempo einzulassen. Doch wie so vieles in ihrem Leben hat sie es einfach getan, weil sie spürte, dass es richtig war. «Als ich den ersten Patienten behandelte, konnte ich automatisch runterfahren.»

Auch Rückschläge halten sie nicht auf

Irgendwann aber stiess sie mit ihrem Wissen an Grenzen und sie wollte mehr. Doch eine durch einen Zeckenbiss ausgelöste Borreliose, die zu einer vorübergehenden Halbseitenlähmung führte, und ein Snowboard-Unfall, bei dem sie sich den Unterschenkel zertrümmerte, stoppten die Powerfrau abrupt. Mehr als zweieinhalb Jahre war sie ausser Gefecht gesetzt. Doch sie kämpfte sich zurück und begann, nebst der Arbeit auf der Wachkoma-Station an der Universität Basel Psychologie zu studieren. Im Rahmen ihrer Masterarbeit im Fachgebiet Neurowissenschaften entwickelte sie ein interprofessionelles Beobachtungsraster für Menschen im Wachkoma, das inzwischen in diversen Zentren in der Schweiz und in Deutschland eingesetzt wird. Für ihre Doktorarbeit validierte sie das Instrument.

Heute ist sie nur noch unregelmässig in der Basler Rehabilitationsklinik. Team und Stimmung seien nicht mehr wie früher, musste sie feststellen. Ein guter Zeitpunkt für die international anerkannte Wissenschaftlerin, einen Gang runterzuschalten. Nach 15 Jahren, in denen sie sich selten mehr als eine Woche Ferien im Jahr und kaum mehr als vier Stunden Schlaf pro Nacht gönnte, will sie es beruflich ein wenig ruhiger angehen und ihren Fokus verstärkt auf die Studierenden und die Forschung, aber auch auf die Malerei und das Guesthouse legen. Von Routine ist Marion Huber dennoch weit entfernt. //

Vitamin G, Seite 6-7


Marion Huber 
ist seit 2009 stellvertretende Leiterin der Fachstelle Interprofessionelle Lehre und Praxis am Departement Gesundheit. Seit 2008 verantwortet sie die studiengangübergreifenden Module und seit 2013 das Fach Wissenschaftliches Arbeiten, bei dem sie auch als Dozentin tätig ist. Nach dem Abschluss zur diplomierten Physiotherapeutin und Heilpraktikerin studierte sie Psychologie an der Universität Basel und schloss mit der Masterarbeit im Fach ­ gebiet Neurowissenschaften ab. Seit 2015 ist sie zudem Professorin für Inter ­ professionelle Zusammenarbeit und Kommunikation. Die 54­Jährige wohnt in Schaffhausen und steht kurz davor, ihren Wohnsitz nach Winterthur und in den Schwarzwald zu verlegen.


WEITERE INFORMATIONEN

Magazin «Vitamin G – für Health Professionals mit Weitblick»


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