Teilen statt Besitzen ist das Geschäftsmodell von Peer-to-Peer-Sharing-Plattformen. Eine zunehmend automatisierte Verkehrswelt wird diese Branche gänzlich verändern. Werden in Zukunft P2P-Angebote dank autonomen Autos attraktiver als die öffentlichen Verkehrsmittel? Oder wird es komplett überflüssig, ein eigenes Auto zu besitzen?
Dieser Blogbeitrag entstand im Rahmen des METU-Moduls „Technikfolgen-Szenarien selbstfahrender Fahrzeuge“ an der ZHAW School of Engineering. Die Autoren sind Christian Sturm, Martin Moser und Florian Fuchs.
Zunehmender Einfluss von Sharing Economy
Die Sharing Economy ist derzeit in aller Munde. Insbesondere im Automobilmarkt drängen immer neue Angebotsformen auf den Markt. Dabei kommt dem sogenannten P2P-Sharing eine immer grössere Bedeutung zu.
Unter P2P-Sharing versteht man die Vermietung und Verleihung von Gegenständen zwischen Privatpersonen. Wurde früher dem Nachbarn kostenlos die Bohrmaschine ausgeliehen, lässt sich heute über digitale Vertriebskanäle damit Geld verdienen. Dank dieser Digitalisierung und der grossen Verbreitung von Smartphones ist es heute ein Leichtes, auch grössere Dinge wie ein Auto über Sharing-Plattformen an Dritte zu vermieten. Produzenten und Konsumenten vermischen sich mehr und mehr. Es entstehen sogenannte „Prosumenten“.
Das Sharing macht auch vor dem Auto nicht halt. So bietet Sharoo in der Schweiz eine Buchungsplattform, die es Privatpersonen ermöglicht, ihr Auto an Dritte zu vermieten. Wie in Abbildung 1 zu sehen, werden Zugang zum Auto und Abrechnung über die Plattform abgewickelt. Trotz des grossen Hypes ist der Marktanteil von Carsharing-Angeboten allerdings noch verschwindend klein. So sind in Deutschland Anfang 2015 gerade mal 0.03 % aller Autos auf dem Sharing-Markt.
Abbildung 1: Das Smartphone dient als Zugang zum Carsharing. Bildquelle: Sharoo
Der Einfluss der Sharing Economy auf die Verkehrswelt sollte aber nicht unterschätzt werden. Oft besitzen Unternehmen, welche in der Sharing Economy aktiv sind, nur die Plattformen, nicht aber den Gegenstand der Dienstleistung. So ist es möglich, mit relativ wenig Kapitaleinsatz ein umfangreiches Angebot zu arrangieren. Auch kann schnell auf Veränderungen reagiert werden. Dies zeigen Unternehmen, die in anderen Wirtschaftszweigen operieren.
Abbildung 2: Das gezeigte Wohnzimmer ist typisch für ein Angebot auf Airbnb.
Ein gutes Beispiel für dieses Phänomen ist Airbnb. Seit 2008 bietet Airbnb eine Plattform als Markt-platz für Buchung und Vermietung von Unterkünften wie in Abbildung 2. Bis 2012 konnten bereits mehr als 10 Millionen Übernachtungen vermittelt werden. Dies ist beachtlich, vor allem unter dem Gesichtspunkt, dass Airbnb keine eigenen Unterkünfte besitzt.
Autonomes Fahren als Treiber des Carsharings
Was mit Unterkünften bereits alltäglich ist, scheint mit dem Auto noch nicht richtig zu funktionieren. Wie bereits erwähnt, fristet Carsharing noch ein Schattendasein. Offen ist, ob sich das in Zukunft ändern könnte. Dieser Frage gingen Studierende der ZHAW School of Engineering während eines neuen METU-Kurses auf den Grund. Um eine Antwort zu finden, wurden zunächst verschiedene Treiber gesucht, die für oder gegen die Entwicklung sprechen. Als stärkster Treiber wurde die fortschreitende Autonomisierung und Digitalisierung der Verkehrswelt identifiziert.
So steht der Durchbruch von autonomen Fahrzeugen vermutlich kurz bevor. Dies zeigt sich in den umfangreichen Bemühungen von Konzernen wie Tesla, Google und Apple. Auch etablierte Automobilhersteller wie Daimler und VW investieren in die Erprobung. Was diese Entwicklung für den öffentlichen Verkehr bedeuten kann, demonstriert PostAuto in Sion. Seit Sommer 2016 drehen dort zwei Minibusse, sogenannte «SmartShuttles», ihre Runden. Der Shuttle in Abbildung 3 befördert Passagiere kostenlos und vollautonom durch die Altstadt. In Zukunft könnten Busse demnach ihre Fahrgäste bis vor die Haustür bringen.
Abbildung 3: Das SmartShuttle fährt in Sion vollautonom im Strassenverkehr.
Verschiedene Zukunftsszenarien denkbar
Doch was passiert, wenn die Sharing Economy auf digitalisiertes, autonomes Fahren trifft? Um diese Entwicklung abzuschätzen, hilft ein Ausblick ins Jahr 2040. Das Durchspielen von verschiedenen Szenarien ermöglicht das Aufzeigen von Entwicklungspfaden.
1. Szenario: Die Autos verkehren autonom, befinden sich jedoch nach wie vor in Privatbesitz.
Das P2P-Sharingangebot ist dem heutigen sehr ähnlich. Doch eröffnet das autonome Fahren gewaltige Chancen. So fährt das gebuchte Auto direkt vor die Haustüre und muss nicht mehr abgeholt werden. Dies ist heute ein grosses Hemmnis für die Nutzung des Carsharings. Weiter ergeben sich zahlreiche zusätzliche Möglichkeiten. So entfällt beispielsweise das Reinigen der Fahrzeuge, da dies selbständig an einer Servicestation erfolgen kann. Der Kunde oder Besitzer muss keine Zeit mehr aufwenden. Weil zudem der Kundenradius mit autonomen Autos erweitert werden kann, lässt sich das Auto effizienter vermieten und somit wirtschaftlicher betreiben. Mit dem Sharing des privaten Autos ist es also möglich, Geld zu verdienen.
2. Szenario: Die Autos verkehren ebenfalls autonom, befinden sich jedoch nicht in Privatbesitz.
Sobald vollautonome Autos verfügbar sind, gibt es keinen Grund mehr, diese noch privat zu besitzen. Autos, die ununterbrochen im Einsatz stehen, sind wirtschaftlicher, benötigen weniger Parkfläche und der Verwaltungsaufwand sinkt. Dies eröffnet einen Markt für einzelne grosse Anbieter, die mit einer effizienten Flotte preisgünstige Angebote offerieren. Die so angebotene Mobilität verändert das heutige Preisgefüge so stark, dass ein Privatbesitz von Fahrzeugen schlichtweg unattraktiv ist. Diese Entwicklung lässt ein völlig neues Ökosystem entstehen, welches den motorisierten Individualverkehr und den öffentlichen Verkehr verschmelzen lässt. Ein klassisches P2P-Angebot ist überfüssig, da nur noch vereinzelte Fahrzeuge in Privatbesitz sind.
Klare Veränderung mit unklarem Resultat
Inwiefern der Trend zur Autonomisierung und Digitalisierung die Entwicklung im P2P-Carsharing beeinflusst, lässt sich demnach nicht abschliessend sagen. Dies zeigt sich auch in den gegensätzlichen Szenarien, die beide plausibel sind. Klar ist aber, dass aufgrund der Digitalisierung die Verkehrswelt stark im Wandel ist. Viele neue Akteure sehen Potentiale in der Entwicklung von neuen Verkehrsangeboten und Dienstleistungen. In unserer schnelllebigen Zeit wird der Verkehr immer dynamischer. Akteure kommen und gehen. Auch in der P2P-Branche wird kein Stein auf dem anderen bleiben, da sich nebst der Technologie auch die Gesellschaft verändert.
Abbildung 4: Der Trend im Strassenverkehr: Intelligente Fahrzeuge kommunizieren miteinander.
Ein großer, hier nicht genannter Vorteil einer flexiblen Flotte autonomer Fahrzeuge (sei es intensiv peer-2-peer-geshared oder institutionell ohne Fahrzeuge im Individualeigentum) liegt in der Anpassung der Fahrzeuggröße an den Bedarf: Niemand braucht mehr ein 5-Platz-Auto, das zumeist nur von einer Person genützt wird. Nur wenn man wirklich einmal als Gruppe unterwegs ist, wird ein größeres Fahrzeug geordert, oder es fährt ein Konvoi kleinerer Fahrzeuge: Das Argument, dass von 5 Familienmitgliedern nur 2 einen Führerschein haben, fällt ja auch weg.
Setzt man durchgängig auf Kleinfahrzeuge, drängt sich weiters das Gedankenexperiment auf, eine zum bisherigen Straßennetz zwar redundante, aber sehr minimalistische eigene Infrastruktur aufzubauen. Dadurch würden alle Risiken und Komplikationen des Mischverkehrs mit schwereren und manuell gesteuerten Fahrzeugen entfallen, was große Vorteile in Bezug auf Fahrzeugkosten und -gewicht, Energieeffizienz und technische Komplexität mit sich brächte.
Ein auf dieser Überlegung basierendes Konzept ist auf der angeführten Website beschrieben.