Die Klimakrise als Krise der Vorstellungskraft

Im CAS Klimastrategien beschäftigen sich die Teilnehmenden nicht nur mit konkreten Auswirkungen, Messungen und Massnahmen, sondern auch mit Geschichten und Erzählungen. Denn wie wir Sprache verwenden und wen wir als Protagonisten wählen, prägt uns und wie wir der Klimakrise begegnen.

Ein Gastbeitrag von Bettina Schwarzen

Was haben ein ungarisches Volksmärchen und der Entstehungsmythos eines Amazonas-Stammes mit der Umsetzung von Klimastrategien zu tun? Über diese Frage spreche ich mit einer Teilnehmerin unseres CAS Klimastrategien, als ich an einem schönen, wenngleich viel zu warmen Freitag Ende September gleichzeitig mit ihr auf dem ZHAW Campus Grüental ankomme. Wir steigen damit direkt ins Thema der beiden anstehenden Kurstage ein. Veronika Studer-Kovacs vom Institut Kulturen der Alpen hatte uns diese beiden Texte zur Vorbereitung auf ihren Input «Klima und Sprache» geschickt. Nachdem wir uns zuvor mit Massnahmen zu Klimaschutz und Klimaanpassung, der Messung von Emissionen und den physischen Auswirkungen des Klimawandels beschäftigten, wird der Zusammenhang mit den Geschichten, die Völker sich erzählen und über sich erzählen, nicht unmittelbar klar. Und doch sind es die Geschichten, ihre dominanten Figuren und die Sprache, die wir verwenden, die unsere Sicht der Welt und unsere Gestaltungsmöglichkeiten in ihr festlegen. Denn wie wir unsere Umgebung und unsere Rolle in ihr wahrnehmen, ist durch die Erfahrungen geprägt, die wir in unseren Familien und unserer Gesellschaft machen. Nicht als flüchtige, abwischbare Strukturen, sondern als physische neuronale Verbindungen sind sie in unsere Gehirne eingeschrieben. Verbindungen, die zu lösen und neu zu formen Energieaufwand bedeutet.

ZHAW-Dozentin und Künstlerin Monica Ursina Jäger zeigt den Panoramaweg in Wädenswil. Dieser macht sicht- und fühlbar, was die Klimakrise und unsere Reaktion darauf konkret bedeuten können.

Begreifen wir uns als Teil eines grösseren Ganzen, für das wir gemeinsam Verantwortung tragen, oder sind unsere Helden einzelne, unabhängige Kämpfer, die Hindernisse überwinden und in endlicher Zeit Siege erringen? Was für eine Wirkung hat in diesem Zusammenhang der Gebrauch des Wortes «Klimawandel», der etwas Allmähliches, Unausweichliches, nicht ausschliesslich Negatives suggeriert? Lohnt es sich, dagegen anzukämpfen, wenn ich allenfalls nur geringfügig betroffen bin?

Überzeugungen anpassen statt Verhalten ändern

Folgt man diesen Erzählungen, dann ist der Bogen von Sagen und Mythen hin zur modernen Verhaltensökonomie schnell gespannt, von der CEE-Dozent Manuel Grieder berichtet: dass wir zum Beispiel unsere Einstellungen gerne bestätigt sehen und widersprüchliche Informationen dafür ausblenden können. Oder dass wir unter kognitiver Dissonanz leiden, wenn unser Verhalten nicht mit unseren Einstellungen und Überzeugungen zusammenpasst – zum Beispiel, wenn wir mit der zunehmend verbreiteten Erkenntnis konfrontiert sind, dass unser Verhalten dazu beiträgt, dass unser Klima sich ändert, dieses Verhalten aber von unseren inneren und äusseren Belohnungssystemen verstärkt wird. Wie einfach ist es, auf Gewohntes und gesellschaftlich Eingeübtes zu verzichten? Einfacher ist es vielerorts, statt unseres Verhaltens unsere Überzeugungen anzupassen, uns vor neuen Erkenntnissen zu verschliessen und damit Alternativen auszublenden.

Experiment aus der Verhaltensökonomie: Die CAS-Teilnehmenden spielen in Gruppen und müssen in mehreren Spielrunden neu entscheiden, wie sie ihre Ressourcen nutzen – zum Wohle der Allgemeinheit oder zum Eigenwohl.

Kunst, die wissenschaftliche Erkenntnis auf neue Art sichtbar und gefühlsmässig begreifbar macht, ebenso wie Sprache und deren Gebrauch im lebhaften, offenen Austausch mit anderen, öffnet uns Räume für das Erkennen und Durchdenken von Alternativen zum Gewohnten. So wie der Tag mit den Teilnehmenden am CAS Klimastrategien 2023.

Über die Autorin:
Dr. Bettina Schwarzen ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Center for Energy and the Environment (CEE) der ZHAW School of Management and Law. Sie ist Teil des Teams, das den CAS Klimastrategien durchführt und weiterentwickelt.

Fotos: Bettina Schwarzen


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