Netto-Null mit Freiwilligkeit oder Verboten?

In Diskussionen über mögliche Massnahmen zur Begrenzung der Klimaerhitzung wird oft betont, diese müssten in der Schweiz auf Freiwilligkeit beruhen. Neue Gesetze oder gar Verbote werden abgelehnt und damit der Klimaschutz zur Privatsache erklärt. Aber lassen sich die Klimaziele der Schweiz mit Freiwilligkeit erreichen?

Ein Gastbeitrag* von Prof. Jürg Rohrer

Der Ausstoss an Treibhausgasen (THG) ist innerhalb der Bevölkerung stark unterschiedlich verteilt: 1 % der Bevölkerung verursacht 11 % der gesamten Schweizer THG-Emissionen, 10 % sind für etwa 30 % verantwortlich (siehe Abbildung). Der hohe THG-Ausstoss dieser Personen stammt von Privatjets, mehreren Häusern, Ferienreisen, grossen Autos und anderem Luxus. Das bietet somit ein beträchtliches Potenzial für freiwillige Reduktion. Umfragen in dieser Personengruppe zeigen allerdings, dass die Bereitschaft für freiwillige Reduktionen gering ist. Monetäre Anreize werden bei dieser sehr wohlhabenden Personengruppe kaum wirken.

Die Grafik zeigt die Verteilung der Treibhausgasemissionen nach Bevölkerungsanteilen.

Was kann eine in der Schweiz lebende Person für den Klimaschutz machen? Sie kann zum Beispiel ihren Konsum drastisch reduzieren, auf Flugreisen verzichten, auf öffentlichen Verkehr oder Elektromobilität umsteigen, sich vegan ernähren, im Winter die Zimmertemperatur reduzieren oder in eine kleinere Wohnung umziehen. Bei sehr konsequenter Umsetzung lässt sich dadurch der THG-Ausstoss einer Durchschnittsperson etwa um die Hälfte reduzieren. Realistischer ist allerdings eine Reduktion um etwa 20 %, wie unsere Studie zeigt.

Was ist mit den restlichen 50 bis 80 % der Emissionen? Einzelpersonen können nicht entscheiden, wo und mit welchen Materialien die öffentliche Infrastruktur wie Strassen oder Gebäude gebaut und betrieben wird. Auch Polizei, Armee, Land- und Forstwirtschaft, das Gesundheitswesen oder die Herstellung und der Transport von Konsumgütern verursachen Treibhausgase, die eine Einzelperson nicht beeinflussen kann. Mieter:innen haben in der Regel keine Mitbestimmungsmöglichkeit beim Heizungsersatz ihrer Wohnungen und Wohnungsbesitzer:innen in Mehrfamilienhäusern können diese Entscheidung nur gemäss ihrem Besitzanteil am Gebäude beeinflussen.

Selbstverständlich müssen auch diese THG-Emissionen auf Netto-Null reduziert werden. Solange in Unternehmen und Organisationen der Fokus auf Kostenminimierung bzw. Gewinnmaximierung liegt, werden diese Emissionen nicht freiwillig abgebaut. Dazu braucht es politisch legitimierte Massnahmen: Einerseits Anreizsysteme, zum Beispiel in Form von Subventionen oder CO2-Abgaben auf allen Produkten und Dienstleistungen. Andererseits aber auch Gesetze, die alle Akteure – auch die eingangs erwähnten sehr wohlhabenden Personen mit den grössten THG-Emissionen – zu einem klimaverträglichen Verhalten führen.

Fazit

Es braucht sowohl freiwillige Verhaltensänderungen als auch politische Massnahmen und verbindliche Regeln. Politische Massnahmen zur Reduktion der THG-Emissionen haben aber ein vier Mal grösseres Potenzial und wirken zudem rascher als Eigenverantwortung. Klimafreundliches Verhalten muss nicht nur gefördert, sondern auch konsequent eingefordert werden.

Über den Autor
Jürg Rohrer ist Dozent für Erneuerbare Energien und Energieeffizienz an der ZHAW Life Sciences und Facility Management in Wädenswil. Er leitet die Forschungsgruppe Erneuerbare Energien und die Master Research Unit (MRU) Ecological Engineering.

*) Dieser Beitrag ist im Jahrbuch «klimafreundlich SCHWEIZ 2023» erschienen.


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