People Analytics schafft Mehrwert durch eine bestimmte Denkart, welche implizite Annahmen und Entscheidungsmuster sichtbar und überprüfbar macht. Auch ein KMU kann mit geringer Datenmenge
ein solch wertschöpfendes, unternehmensspezifisches Human Capital Management installieren. Denn bereits solide deskriptive Datenauswertungen und kritisches Denken ermöglichen, aus Personaldaten Mehrwert für das Unternehmen wie auch die Mitarbeitenden zu schaffen.
Geht People Analytics in KMU?
People Analytics ist ein Megatrend mit grossem Potenzial für ein datengetriebenes, evidenzbasiertes Personalmanagement. In der Praxis zeigt sich aber, dass der Umsetzungsgrad und Nutzen von People Analytics in Grossunternehmen trotz entsprechender Möglichkeiten häufig unter den Erwartungen bleibt.
In KMU kommt erschwerend hinzu, dass es oftmals an nötiger Anwendungskompetenz, Datenmengen oder Digitalisierungsgrad fehlt. Über 99% aller Unternehmen in der Schweiz sind KMU (Unternehmen mit weniger als 250 Beschäftigten), zwei Drittel aller Schweizer Beschäftigten arbeiten in KMU. KMU teilen in Bezug auf HR insbesondere folgende Herausforderungen: Sie haben kein HR und/oder HR-Stellen, die sich meistens ausschliesslich mit HR-Administration beschäftigen können. Einige übergeordnete Unternehmensziele sind hingegen deckungsgleich: Leistungsfähigkeit und Gesundheit der Mitarbeitenden erhalten und steigern sowie Sinnhaftigkeit in der Arbeit ermöglichen. Vor diesem Hintergrund soll im Folgenden aufgezeigt werden, wie eine evidenzbasierte Personal und Organisationsentwicklung in einem KMU trotz erschwerter Rahmenbedingungen aussehen kann.
Den Wertbeitrag der Mitarbeitenden quantifizieren
Insbesondere für KMU ist ein durchdachtes Management ihres Humankapitals von zentraler Bedeutung: Der zielgerichtete und nachhaltige Einsatz des Mitarbeitenden ist nicht nur für die genannten drei Ziele Voraussetzung, sondern auch für den Unternehmenserfolg. Die Mitarbeitenden sind gemäss der ökonomischen Theorie des Human Capital Management als Investoren ihres Kapitals zu verstehen und als solche zu behandeln, ansonsten sie ihr Kapital wieder zurückziehen und das Unternehmen entsprechend an Wertschöpfungspotenzial verliert.
Doch wie kann der Wertbeitrag der Mitarbeitenden sichtbar gemacht werden? Fakten- und evidenzbasierte Vorgehensweisen sind in anderen Unternehmensfunktionen längst etabliert. Der Einsatz von People Analytics muss dazu einen Geschäftsnutzen liefern, beispielsweise gute Zusammenarbeit im Team ermöglichen, gemeinsam getragene Unternehmensziele ohne Zielkonflikte sicherstellen oder zufriedene Mitarbeitende durch systematische Interventionen hervorbringen.
Denken in Zusammenhängen gefordert
Um Business Impact sicherzustellen, sind vor allem Personen- und Geschäftszahlen zu verknüpfen sowie ein Modelldenken in angenommenen Ursache- und Wirkungszusammenhängen anzuwenden. Im Sinn einer Business-First-Haltung sind dabei immer geschäftliche Herausforderungen und antizipierte Ergebnisse in den Mittelpunkt zu stellen. In der Unternehmenspraxis findet jedoch leider häufig eine eindimensionale Art des Denkens statt, die in einfachen, wirkungslosen Massnahmen mündet: z.B. entsteht die Auffassung, dass die Mitarbeitenden künden, weil der Lohn nicht stimmt. Als Folge werden Lohnerhöhungen in der Annahme gefordert, dass zufriedene Mitarbeitende mehr Leistung bringen als unzufriedene Mitarbeitende. Eine datenbasierte Analyse der Ausgangslage macht jedoch deutlich, dass fehlende Entwicklungsmöglichkeiten und Handlungsspielräume die wahren Kerntreiber der Mitarbeiterfluktuation sind. Solche Erkenntnisse können bei dünner Datengrundlage in KMU auch auf Basis von bestehendem Wissen erlangt werden. People Analytics ist eine datenbasierte, hypothesengeleitete Vorgehensweise, die durch etablierte Erkenntnisse
sinnvoll ergänzt werden kann.
Implizite Annahmen dingfest machen
Konkret muss eine Geschäftsleitung im Rahmen der Unternehmensstrategie die anzugehenden Themen festlegen und sich über ihre zugehörigen impliziten Annahmen verständigen. Dabei ist der angestrebte Output mit 1–3 erfolgsrelevanten KPI zu definieren. Wie und durch welche Faktoren kommt dieser Output nun zustande? Dieses Modelldenken erfordert, implizite Management-Annahmen explizit zu machen, z.B., wie entsteht Leistung? Durch diesen gemeinsamen Verständigungsprozess erfolgt eine klare Fokussierung auf wenige Einflussfaktoren, die sich zu einem späteren Zeitpunkt auch systematisch überprüfen lassen. Welche Ziele und Ergebnisse verfolgen wir beispielsweise mit der Einführung «agiler Arbeitsweisen» in unserem Unternehmen? Was erhoffen wir uns von «Agilität» und meinen wir damit genau? Erst die Auseinandersetzung mit den zugrunde liegenden Konzepten und deren Wirkungszusammenhängen ermöglicht eine wirkungsvolle Gestaltung bei der Einführung. Möglicherweise resultiert sonst erst später die Einsicht, dass Agilität für eine bestimmte unternehmensspezifische Ausgangslage nicht die beste Lösung darstellt. Bei der Datenanalyse reicht oft eine deskriptive Auswertung für die Ableitung von wirksamen Massnahmen. Dazu müssen relevante Geschäfts- und Mitarbeiter-Kennzahlen identifiziert und hypothesengeleitet in Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge überführt werden. Durch den Vergleich mehrerer Geschäftsjahre können diese verifiziert und in wirksame Interventionen übersetzt werden.
«Andere machen es auch so» ist kein Argument
People Analytics schafft solide Entscheidungsgrundlagen für ein unternehmensspezifisches Human Capital Management jenseits bestehender Glaubenssätze und Best Practices. Quantifizierung, Systematisierung und kritisches Denken helfen nicht nur, den Wertbeitrag der Mitarbeitenden (endlich) sichtbar zu machen, sondern Gewohnheiten («wir haben es immer so gemacht») durch individualisierte Human-Capital-Lösungen zu ersetzen. Bei People Analytics stehen die Mitarbeitenden und die Geschäftsergebnisse im Mittelpunkt, nicht HR. In diesem Sinne stellen datengestützte Managemententscheidungen keinesfalls die Bedeutung der Mitarbeitenden infrage. Im Gegenteil, People Analytics verhilft dem Faktor Mensch endlich zum Stellenwert, den er verdient. Von dieser Denk- und Vorgehensweise können KMU genauso profitieren wie grössere Unternehmen.
Autorenschaft
Dr. Marius Gerber, leitet seit 2020 die Fachstelle für Human Capital an der ZHAW School of Management and Law in Winterthur. Seine Themenschwerpunkte sind: agiles HR, People Analytics, Personal- und Organisationsentwicklung.
Dr. Sven Grund, ist selbständiger Unternehmensberater bei www.doc-hr.com in Zürich. Seine Themenschwerpunkte sind Evidenzbasierte personal-, Team-, Organisationsentwickung und Führungskräftecoaching