Raus aus der Komfortzone: Self Leadership Unterricht im Bachelorstudium

Beitrag von Elias Jehle

Foto: Elias Jehle

«Be the change that you wish to see in the world». In Anlehnung an dieses Zitat von Mahatma Gandhi unterrichtet Elias Jehle, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der ZHAW School of Management and Law, Self Leadership im Bachelorstudiengang. Im Interview erklärt er, wie er in seinem Unterricht Konventionen bricht und warum der Besuch des Wahlpflichtmoduls auch darüber hinausstrahlt. Fragen: Lisa Messenzehl

Self Leadership im Bachelorstudium: worum geht es hier genau?

Wer andere erfolgreich führen möchte, sei es nun als Projektleiter, Führungskraft oder Themenexperte, muss zuerst die eigene Self Leadership Kompetenz stärken. Ausserdem setzt ein selbstbestimmtes, sinnerfülltes und glückliches Leben eine vertiefte Auseinandersetzung mit der eigenen Person voraus, um eine gewisse Klarheit zu erlangen, wo und wie man wirken möchte. Es geht darum sich klar(er) zu werden: was möchte ich mit meinem Leben anfangen (Lebensvision verfassen), was ist mir wirklich wichtig (Leitwerte festlegen), was sind meine Stärken (Stärkenprofil erstellen) und Bedürfnisse (notwendige Rahmenbedingungen erkennen), wie kann ich meine selbst gesteckten Ziele erfolgreich umsetzen (Zielsetzungskompetenz, Projektmanagement) und wie gehe ich konstruktiv mit den Stolpersteinen auf dem Weg dorthin um (Resilienz, Lösungskompetenz)?

Was ist anders in Ihrem Unterricht?

Es beginnt beim Setting, denn der Grossteil des Kontaktunterrichts findet während einer zweieinhalbtägigen Blockveranstaltung im Selbstversorger Pfadiheim Alt Uetliberg statt. Die Studierenden wirken bei den Vorbereitungen und bei der Durchführung vor Ort mit. Diese Rahmenbedingungen fördern das Gemeinschaftsgefühl unter den Studierenden und schaffen die benötigte Vertrauensbasis für diese sehr persönliche Arbeitsweise. Die Studierenden meinten dazu:

  • «Der Gruppenzusammenhalt während der ganzen Blockveranstaltung hat mich wirklich sehr berührt. Ich glaube, es macht wirklich einen Unterschied, wenn Menschen miteinander zusammen essen, spielen und unter dem gleichen Dach schlafen, als sich in einem der Unterrichtsräume der ZHAW zu treffen.»
  • «Die Blockveranstaltung auf dem Uetliberg war eine spannende, intensive sowie aufschlussreiche Zeit. Nicht nur durch die diversen Übungen, sondern auch durch die ganze Situation und den Veranstaltungsort war es eine neue und ungewohnte Erfahrung.»

Ich bin auch der Überzeugung, dass die begrenzte Gruppengrösse dabei eine Rolle spielt. Bei der ersten Durchführung hatte ich noch 32 Studierende. Die Erfahrung hat dann aber gezeigt, dass eine Reduktion auf maximal 20 Studierende sinnvoller ist.

Ausserdem versuche ich ihnen weniger in der Rolle des Dozierenden zu begegnen, sondern mehr als Coach oder Mentor. Natürlich habe ich die Prozessverantwortung, aber ich betone mehrmals, dass sie die Experten sind für ihr Leben. Dies auch als Ausdruck des Prinzips der Eigenverantwortung. Die Blockveranstaltung (nicht das Modul!) ist auch bewusst eine «Leistungsnachweis-freie-Zone», und jeder einzelne entscheidet selbst, wie stark er sich darauf einlässt, und was er für sich mitnimmt – nach dem Motto: «Du bekommst das, was du gibst!»

Das Modul basiert sehr stark auf erfahrungsbasiertem Lernen. Es setzt bei den Studierenden eine hohe intrinsische Motivation und die Bereitschaft, sich mit sich selbst und den anderen Modulteilnehmenden aktiv auseinander zu setzen, voraus.

 Wie empfänglich sind die Studierenden für diese Lehr- und Lernform?

Wenn die Studierenden die genannten Voraussetzungen mitbringen, funktioniert es sehr gut. Deshalb begrüsse ich es auch, dass sie sich im Rahmen eines Wahlpflichtmoduls bewusst dafür entscheiden müssen und nicht dazu «zwangsverpflichtet» werden. Im Rahmen des Pflichtprogramms des Studiums habe ich nämlich nur eine eingeschränkte Bereitschaft der Studierenden, sich auf solche Themen wirklich einzulassen, erlebt.

In Ihrem Modul lassen Sie die Studierenden ihre eigene Grabrede schreiben. Ist Sarkasmus eine bewährte didaktische Methode?

Da fragen Sie wohl den Falschen, denn ich bin kein Sarkasmusexperte. Es stimmt aber, dass die Studierende als Vorbereitungsauftrag auf das Blockseminar ihre eigene Grabrede verfassen. Die Aufgabenerteilung löst im ersten Moment auch eine gewisse Irritation bei ihnen aus, was ich als didaktisches Konzept durchaus begrüsse! Ich liefere dann aber auch gleich auf einer Metaebene die Erklärung nach. Es geht hier nicht um irgendwelche morbiden Gelüste, sondern darum, sein Leben vom Ende her zu betrachten, um sich bewusst zu werden, was wirklich zählt. Und falls sich jemand durch die Grabrede irgendwie negativ getriggert fühlt, kann er auch gerne seine Laudatio zum 80. Geburtstag verfassen. Übrigens habe nicht ich diese Übung erfunden, sondern bereits Stephan R. Covey hat in seinem Klassiker der Self Leadership Literatur «The seven habits of highly effective people» (Englische Erstausgabe 1989) dazu eingeladen.

Wie sieht der Leistungsnachweis aus?

Es gibt ganz klassisch eine schriftliche Selbstreflexion anhand von ein paar wenigen Leitfragen am Ende des Semesters. Ausserdem führen die Studierenden in Gruppen einen externen 90-180minütigen Workshop zu einem selbst gewählten Self Leadership Thema durch, für den sie in ihrem privaten oder beruflichen Umfeld Teilnehmende rekrutieren müssen. Es reicht also nicht mehr, nur im «geschützten ZHAW Biotop» einen Vortrag zu halten, sondern die Studierenden müssen «draussen in der freien Wildbahn» ihre Frau / ihren Mann stehen. Der Themenstrauss ist sehr bunt und reicht von Mindfulness über Stressmanagement, Teambuilding mit Schulklassen, gesunde Ernährung, Crossfit, Escape Room (inkl. Vor- und Nachbereitung), Klettern (inkl. Mentaltraining) bis hin zu diversen Persönlichkeitstests.

Der dritte Leistungsnachweis, den ich erst kürzlich neugestaltet habe, ist ein «persönliches Projekt», das für jeden Einzelnen im Leben von Bedeutung ist. Hier kann es zum Beispiel darum gehen, sportliche Ziele zu erreichen, Verhaltensmuster zu ändern, Meditation im Alltag zu integrieren, Ernährung umzustellen oder neue Dinge auszuprobieren. Die Studierenden legen sich mit Hilfe der SMART (spezifisch, messbar, attraktiv, realistisch, terminierbar) Formel nach der Blockveranstaltung ein Ziel fest. Dieses soll einen gewissen Stretch («raus aus der Komfortzone») darstellen, und es geht mir nicht primär um die Zielerreichung, sondern um die Reflexion des Prozesses. Dabei sind sie nicht alleine unterwegs, sondern treffen sich in regelmässigen Abständen zu zweit (als Buddysystem) oder zu dritt (als Peer Group), und durchlaufen jeweils einen klar strukturierten Intervisionsprozess. Dieser dient der gegenseitigen Unterstützung und einer gewissen «sozialen Kontrolle». Ich bin schon selbst sehr gespannt auf die ersten Erfahrungen mit diesem neuen Leistungsnachweis.

Sie haben Ihr Konzept bei der Tagung «Best Teaching – Best Practices» zum Thema «Transformationen in der Lehre» an der ZHAW vorgestellt. Worin besteht der transformative Charakter Ihrer Lehre?

Entscheidend ist für mich, dass das Modul bei den Studierenden den einen oder anderen Samen setzt oder sogar direkt etwas in Bewegung bringt. Das kann sich sehr unterschiedlich zeigen, je nachdem, wo die jeweilige Person gerade in ihrem Leben steht. Ich hatte einen Studierenden, der kurz darauf seinen Job bei einem renommierten Unternehmen gekündigt hat, um sich selbstständig zu machen und somit seinen Traum zu verwirklichen. Bei anderen hatte ich den Eindruck bzw. bekam ich das Feedback, dass sie sich nun dem Leben wieder mehr «geöffnet» haben und optimistischer, mit mehr Klarheit und Selbsterkenntnis in die Zukunft gegangen sind. Dazu eine Auswahl von Feedbacks von Studierenden:

  • «Die Erstellung der Lebensvision und des Projektplans hat mir geholfen meine Ziele in überschaubare Schritte herunter zu brechen, damit ich diese nun aktiver Schritt für Schritt verfolgen kann.»
  • «Nicht zuletzt habe ich gemerkt, dass mir das Kreieren und die Durchführung eines eigenen Workshops Freude bereitet und mich das Feedback der Workshopteilnehmer sehr erfüllt hat.»
  • «Durch den Kurs habe ich besser verstanden, was ich eigentlich vom Leben will.»

Wie wird sich der Kurs weiterentwickeln?

Wenn ich nach vorne blicke, möchte ich zukünftig noch spontaner auf die Bedürfnisse der Gruppen eingehen können.

Persönlich haben mich die bisher gemachten Erfahrungen darin bestärkt, dass das Thema bei der Zielgruppe auf grosses Interesse stösst – vorausgesetzt, die innere Bereitschaft ist vorhanden. Ich habe die Vision, dass ein solches Modul nicht nur an der School of Management and Law, sondern auch an anderen Departementen der ZHAW angeboten wird. Noch besser, wenn sogar alle Studierenden in der Schweiz die Möglichkeit bekämen, ein solches Angebot, bestenfalls mit ECTS Punkten, zu besuchen. Es könnte von einem Netzwerk von Kursleitenden durchgeführt werden. Eine Mischung aus Online- Learning/Meetings und einer zwei- bis dreitägigen Blockveranstaltung mit persönlichem Kontakt wäre da wohl ganz passend.

Beitrag von Elias Jehle

 


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