Fast wie Ferien? Interdisziplinäre Medienforschung in Afrika

Eines der grösseren Forschungsprojekte am IAM mutet ausserordentlich exotisch an – Kenya, Mali, Ghana, Sambia – allein die Länder rufen eher Assoziationen nach Abenteuer und Aufregung hervor, als nach langweilig-seriöser Forschung, und das Thema Landwirtschaft ist wohl kaum aufs IAM zugeschnitten. Was hat es also auf sich mit diesem Projekt?

Von Christoph Spurk, Dozent und Projektleiter Forschungsprojekte Medien und Journalismus
in Entwicklungsländern am IAM Institut für Angewandte Medienwissenschaft

Seit 2015 nimmt das IAM an einem interdisziplinären Forschungsprojekt teil, das erst mal quer in der Landschaft steht: Es geht um Landwirtschaft – nicht gerade unser Unique Selling Point; es geht um Afrika und dann auch noch um analoges Radio – nicht wirklich modern, oder?

Auf der anderen Seite: Das Projekt mit dem unaussprechlichen Akronym ORM4Soil ist vergleichsweise gross: Sechs Jahre Förderungszeitraum (also ziemlich lang), fünf Länder (also ziemlich viele), davon vier in Afrika (Ghana, Kenya, Mali, und Sambia), drei unterschiedliche Disziplinen, zwei Schweizer Forschungsinstitute plus insgesamt fünfzehn afrikanische Universitäten und Institute, zusammengehalten von einer gemeinsamen Forschungsfrage:

Wie kann es sein, dass die natürliche Bodenfruchtbarkeit in grossen Teilen Afrikas dramatisch sinkt, obwohl es genügend ausgefeilte und anwendbare landwirtschaftliche Techniken gibt, diesen Niedergang aufzuhalten, die aber von der Mehrheit der Kleinbauern nicht (ausreichend) angewendet wird?

Das Problem ist nicht klein: Mehr als die Hälfte der Bevölkerung in den vier afrikanischen Ländern lebt von der Landwirtschaft, und die Landwirtschaft muss genügend Nahrungsmittel bereitstellen, für eine stets (leider zu stark) wachsende Bevölkerung.  Aber bei sinkender Bodenfruchtbarkeit nützt irgendwann auch kein Dünger mehr, um auch nur die gleichen Erträge wie zuvor zu ernten, von einem auskömmlichen Einkommen ganz zu schweigen.

Was hat das IAM mit Bodenfruchtbarkeit und Landwirtschaft zu tun?

Mehr als es auf den ersten Blick erscheint, aber offensichtlich ist es auch nicht. Bisher haben sich nämlich vor allem Agrarwissenschaftler darum bemüht zu verstehen, warum vor allem Kleinbauern in Afrika die von der Forschung empfohlenen Anbaumethoden (teils organisch, teils konventionell, teils als Kombination) nicht anwenden. Und herausgefunden, dass die Liste der Gründe lang und vielfältig ist: Manche Techniken sind doch nicht an die Verhältnisse bei Kleinbauern angepasst, oft fehlt der Zugang zu notwendigen Krediten, teils sind die Kenntnisse der Bauern in Landwirtschaft mangelhaft (entgegen mancher Mythen unter westlichen Forschern) und es gibt viele weitere soziale, kulturelle und persönliche Gründe, die Innovationen behindern («das haben wir noch nie so gemacht»; «das Risiko ist mir zu hoch» ). Aber bisher kann keiner verlässlich sagen, welche Gründe wirklich wichtiger sind als andere.

Medienwissenschaftler schauen das Problem von einer anderen Warte aus an: Liegt der Grund für die zu geringe Übernahme neuer Techniken, die die Bodenfruchtbarkeit erhalten, nicht vielleicht in mangelhafter Kommunikation und Information? Werden die Bauern auf den richtigen Kanälen mit der sachlich richtigen Information in der ihnen adäquaten Sprache unterrichtet? Können sie rückfragen? Wird nur zu den Bauern, aber nicht mit ihnen kommuniziert? Werden all diese Fragen abschlägig beschieden, dann kann die Übernahme von bislang unbekannten Techniken kaum gelingen. Genau diese Teilfragen sind Sache des IAM.

Dieser gesamthafte Blick auf das Problem erfordert einen interdisziplinären Zugang: Agronomen arbeiten mit Soziologen und Medienwissenschaftlern zusammen (das ist der Plan). Und das ist komplex, weil die einzelnen Forschungselemente der unterschiedlichen Disziplinen zeitlich strikt getaktet sind und ineinandergreifen müssen, sonst kommt nichts (oder wenig) dabei raus.

Diese Kette sieht in etwa so aus: Auf der Basis von ersten Befragungen mit Kleinbauern in Ghana, Kenya, Mali und Sambia, sind neue agrartechnische Versuche angestellt worden, mit dem Ziel herauszufinden, welche –abgewandelten Technologien (Einsatz von mehr Wirtschaftsdünger, neue Baumarten, die selbst Nährstoffe und organische Masse bereitstellen) sowohl die bisherigen Hindernisse in der Übernahme überwinden (weil sie zum Beispiel weniger Arbeitsaufwand erfordern oder den Zukauf von Mineraldünger ersetzen) und trotzdem die Bodenfruchtbarkeit steigern. Diese Tests haben insgesamt drei bis vier Jahre in Anspruch genommen. Danach haben Agronomen und Medienwissenschaftler gemeinsam die Ergebnisse der Versuche zu «einfachen Aussagen» verdichtet und eine Radio-Kampagne entworfen, die die besten Techniken den Bauern nahebringen sollen.

Radio ist das Massenmedium der Kleinbauern Afrikas

Radio, weil der «klassische» Rundfunk im ländlichen Raum Afrikas das Massenmedium schlechthin ist (ca. 90% Nutzung), weit vor Fernsehen (20%-30%), Zeitungen (10%) und Internet (1 – 3 %). Die inzwischen weit verbreitete Mobiltelefonie hilft dem Radio, weil jedes Mobiltelefon auch als Radio nutzbar ist. Darüber hinaus werden den Bauern die neuen Techniken auf Demonstrationsfeldern gezeigt, aber die Masse wird übers Radio erreicht. Die Radiokampagnen sind in den vier Ländern von November 2018 bis Mai 2019 gesendet worden, je 10mal eine halbe bis eine Stunde im üblichen «Farmer program» auf den am meisten gehörten Radiostationen des Gebiets, in dem unsere Forschung stattfindet. Die Sendungen sollten vier Wochen vor der nächsten Aussaat abgeschlossen sein, damit die Kleinbauern, ausreichend Zeit haben, schon für die nächste Aussaat eine Umstellung vorzunehmen.

Und nun – wir starten im Oktober dieses Jahres –  werden in einer grossen Untersuchung die gleichen Bauern wie schon 2016 nochmals befragt, um zunächst herauszufinden, was die Bauern und Bäuerinnen aus der Radio-Kampagne verstanden und behalten haben, und dann wer von ihnen eine der empfohlenen Techniken bei der letzten Aussaat schon übernommen hat, und sei es nur auf einer kleinen Teilfläche.

Und warum Medienforschung?

Genau deshalb ist dies ein Forschungsprojekt für das IAM. Wir helfen nicht nur die Ergebnisse der landwirtschaftlichen Versuche zu kommunizieren, in erster Linie erforschen wir den Kommunikationserfolg bei den Bauern.

Und insofern ist das Projekt gar nicht so exotisch, wie es auf den ersten Blick erscheint. Gut, bisweilen ist die Durchführung nervenaufreibend, weil halt nicht alles so funktioniert, wie es sollte, aber aufgrund der Verschränkung der Elemente, halt doch zum Funktionieren gebracht werden muss. Aber solches hat man auch schon von anderen Projekten aus unserer Medienforschung gehört, die sich «nur» zwischen Bern, Winterthur und Zürich abspielen.

Mehr Info zu ORM4Soil («Farmer-driven organic resource management to build soil fertility and improve food security»), auf  www.orm4soil.net


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