Vom Journalismus zu leben wird schwieriger

Zwischen Selbstverwirklichung und Überlastung: Druck auf Journalist:innen steigt

Die Medienkrise stellt den Journalismus vor enorme Herausforderungen. Eine Selbsteinschätzung erfahrener Schweizer Journalist:innen verdeutlicht den spürbaren Druckanstieg in der Branche. Trotz der verschlechterten Arbeitsverhältnisse empfehlen viele Journalist:innen den Beruf dennoch.

Autorinnen: Carina Majer, Jasmin Karim und Patricia Mutti; Studentinnen Bachelor Kommunikation und Medien 

Die Schweizer Medienlandschaft erlebte in den letzten Jahren einen grossen Wandel. Durch die Verbreitung des Internets und insbesondere der sozialen Medien etablierten sich die Begriffe der Medien- und Journalismuskrise in unserer Gesellschaft. Das Problem: Wer Internet hat, kann Informationen ungehindert verbreiten und diese auch kostenlos konsumieren. Warum also noch dafür bezahlen? In der Medienbranche resultieren daraus Finanzierungsschwierigkeiten, die zu Sparmassnahmen, Fusionen und Titelschwund führen. Diese Massnahmen wirken sich unmittelbar auf die Arbeit der Angestellten aus. 

Das Onlinemagazin «Republik» veröffentlichte im Mai 2023 den Artikel «Die Flucht der Journalistinnen» inklusive einer Statistik, die aussagt, dass durchschnittlich jede Woche zwei Medienschaffende den Beruf verlassen. Auch die Republik selbst meldete im April 2023, dass aufgrund von Finanzierungsschwierigkeiten mehr als zehn Prozent der Redaktion entlassen werden. Diese Konsequenz verdeutlicht, wie die Medienkrise die Angestellten trifft. Welche weiteren Auswirkungen des Branchenwandels die Journalist:innen im Arbeitsalltag spüren, zeigt die «Worlds of Journalism Study» (siehe Kasten am Ende des Beitrags).

«Ein Modell für bezahlbaren Qualitätsjournalismus in Print oder Online ist nicht in Sicht, obwohl Tausende gescheiter Köpfe seit Jahren darüber nachdenken.»

-Zitat aus der «Worlds of Journalism Study»

Signifikante Zunahme des Drucks in der Branche

Die Selbsteinschätzung erfahrener Schweizer Journalist:innen, die seit mindestens fünf Jahren im Beruf tätig sind, verdeutlicht die negativen Auswirkungen der Krise auf die Arbeitnehmenden. In den vergangenen fünf Jahren nehmen die Fachleute eine signifikante Zunahme des Drucks in der Branche wahr. 

Selbsteinschätzung von Journalist:innen: Arbeitsbelastung und Druck nehmen zu

Die Anzahl an auswertbaren Antworten variiert zwischen den einzelnen Fragen. 

Mehr als 70% der Befragten berichten von gestiegener Arbeitszeit und -belastung. Darüber hinaus nimmt die Mehrheit einen verstärkten Druck im Hinblick auf Profiterwartungen und eine verstärkte Neigung zur Sensationsberichterstattung wahr. Die letzten beiden Faktoren lassen sich direkt mit den Finanzierungsschwierigkeiten des Journalismus verbinden. Die voranschreitende Digitalisierung journalistischer Produkte hat dazu geführt, dass Medien zunehmend von der Anzahl Klicks seitens der Leserschaft abhängig sind. Die Annahme: Je reisserischer die Schlagzeile und je sensationeller die Geschichte, desto öfter wird der Artikel geklickt. 

Selbsteinschätzung von Journalist:innen: Glaubwürdigkeit und Zeit für Recherche sinken

Die Anzahl an auswertbaren Antworten variiert zwischen den einzelnen Fragen. 

Im Laufe der Zeit ist die Arbeitszeit und -belastung von Journalist:innen angestiegen, während die verfügbare Zeit für Recherchen abgenommen hat. Dies beobachten 79% der Befragten. Gleichzeitig schätzt ein Grossteil der Journalist:innen (68%), dass die Glaubwürdigkeit der Medien in den Augen der Öffentlichkeit gesunken ist. Trotz dieser Herausforderungen nehmen die Arbeitnehmenden den Journalismus weiterhin als eine relevante Institution für die Gesellschaft wahr (40%). Die Mehrheit der Befragten (53%) fand, dass die redaktionelle Entscheidungsfreiheit unverändert blieb, während lediglich 37% der Journalist:innen angaben, dass ihrer Meinung nach die Entscheidungsfreiheit abgenommen hat.

Einhaltung vom Qualitätsmanagement-Kriterien für qualitativ hochwertigen Journalismus

Obwohl der Journalismus zunehmend kritisiert wird, bleibt er ein wichtiger Bestandteil der Schweizer Demokratie. Hält er sich an die Qualitätsstandards, kann sich die Schweizer Bevölkerung gut informieren und fundierte Entscheidungen an der Urne treffen. Deshalb ist es wichtig, dass trotz der schwindenden verfügbaren Zeit pro Beitrag qualitativ hochwertiger Journalismus betrieben wird.

In der Schweiz wird vom «Stiftverein Medienqualität Schweiz» jährlich ein Rating publiziert. Dort werden verschiedene Schweizer Medien anhand der Kriterien der «Berichterstattungsqualität» und «Qualitätswahrnehmung des Publikums» bewertet. Auffällig im Rating ist die Spitzenposition des SRF, dem öffentlichen Medium der Schweiz. Denn dieses setzt vor allem aufgrund der verpflichtenden Konzession auf Qualitätssicherungsprozesse, um qualitativ hochwertigen Journalismus zu gewährleisten.

«Qualität im Journalismus ist wichtig für unsere Demokratie und Gesellschaft.»

– Zitat aus der «Worlds of Journalism Study»

Qualitätsmanagement-Kriterien werden nicht immer und überall umgesetzt. Druck steigt


Laut der Selbsteinschätzung von Schweizer Journalist:innen setzten nicht alle Medien Qualitätsmanagement-Kriterien immer um. Ungefähr die Hälfte der Journalist:innen gibt an, regelmässig Briefings und Blattkritiken durchzuführen sowie Leistungszielen zu folgen (jeweils zwischen 47 und 49%). Hingegen gehört das Gegenlesen bei der Mehrheit zur Routine: Ganze drei Viertel (75%) bestätigen, dass ihre Text immer gegengelesen werden. 

Die Bedeutung der Einhaltung dieser Prinzipien wird durch das Medienqualitätsrating untermauert. Vinzenz Wyss und Guido Keel stellten 2016 in einer Studie fest, dass es gerade Printmedien sind, bei denen eine geringere Umsetzung der obengenannten Qualitätsmanagement-Kriterien festzustellen ist. Sie konnten zeigen, «dass solche Verfahren beim öffentlichen Rundfunk eher zur Routine gehören als etwa bei den Printmedien.» Eine unzureichende Qualitätskontrolle erhöht den Druck auf die individuelle Leistung. Es liegt deshalb auch im Interesse der Journalist:innen, dass Qualitätssicherung konsequent umgesetzt wird. 

Lichtblick – Keine grosse Abwanderung 

Laut einem Bericht von Avenir Suisse hängt die Anzahl erwerbstätiger Journalist:innen von der Beobachtungsperiode ab. Vergleicht man nur die letzten drei Jahre der Erhebung des Bundesamtes für Statistik (BFS) miteinander, ist ein Abwanderungstendenz im Journalismus sichtbar. Vergleicht man jedoch eine grössere Zeitspanne der BFS-Statistik, dann kann von keiner Abwanderung gesprochen werden. Denn die Zahl der Journalist:innen schwankt von 2011 bis 2019 nur leicht. Im Jahr 2011 sind 12’000 Erwerbstätige erfasst worden, im Jahr 2019 nur leicht unter 12’000. Avenir Suisse resümiert im Bericht, dass basierenden auf den BFS-Zahlen kein «historischer Kahlschlag» in der Medienbranche zu erkennen sei. 

Trotz steigender Arbeitsbelastung: Mehrheit der Journalist:innen empfiehlt den Beruf weiter


Auch die «Worlds of Journalism Study» zeigt, dass viele Journalist:innen ihren Beruf gerne ausüben. Fast drei Viertel der Befragten geben an, dass sie ihre Tätigkeit weiterempfehlen würden. 

Traumjob mit mangelnder Entlöhnung 

Die Gründe für die Weiterempfehlung oder das Abraten ihres Berufes variieren von Journalist:in zu Journalist:in. Für viele ist es ein Abwägen zwischen der Tätigkeit und deren Entlöhnung.

Schönster Beruf der Welt, aber brotlos. Druck steigt.

Ausgewählte Antworten aus der «Worlds of Journalism Study», die für oder gegen das Arbeiten im Journalismus sprechen.

Als Vorteile des Berufs nennen sie den sozialen Austausch und das fortlaufende Erweitern des eigenen Wissens. Weiter beschreiben viele von ihnen den Journalismus als äusserst abwechslungsreich, sinnbringend und gesellschaftlich relevant. Zeitlich und finanziell gesehen, zahlt sich der Journalismus jedoch schlecht aus. Journalist:innen berichten vom «Zeitdruck als ständigem Begleiter», von sinkenden Löhnen und Arbeit, die sie rund um die Uhr beschäftigt. 


Ein Beruf für Idealist:innen 

Die Antworten, welche 909 der befragten Journalist:innen mittels offener Antwortfunktion abgaben, widerspiegeln ein Gefühl von Wehmut. Für viele von ihnen galt der Journalismus lange als hoch angesehener Beruf mit einem gewissen Prestige. 

Angesichts der Medienkrise erkennen viele Journalist:innen ihre geliebte Arbeit jedoch nicht wieder. Dadurch zeichnet sich in den Antworten ein Widerspruch ab: Viele der Befragten empfehlen den Journalismus aufgrund dessen, was der Beruf im Prinzip sein sollte, und raten gleichzeitig von dem ab, was er in Realität ist. 

«Ich finde es eigentlich den tollsten Job. Er ist vielseitig, interessant, und man lernt jeden Tag etwas Neues. Von diesem Idealismus kann ich aber leider meine Rechnungen nicht bezahlen.»

– Zitat aus der «Worlds of Journalism Study»

Was sich aus den Antworten klar herauslesen lässt: Journalist:in wird man nicht aus finanzieller Ambition. Um dem wachsenden Druck in der Branche Stand zu halten, braucht es Herzblut und eine gute Portion Idealismus. 

«Man sollte sich gut überlegen, ob man bereit ist, sehr viel zu arbeiten, für wenig Geld und meist auch wenig Ruhm. Journalisten sind Idealisten. Wenn man aber die
Begeisterung mitbringt, soll man sich das ruhig wagen.» 

– Zitat aus der «Worlds of Journalism Study»



Die Studie «Worlds of Journalism» ist eine internationale Journalist:innenbefragung, die 2007 erstmals durchgeführt wurde. Die hier verwendeten Daten stammen aus der zweiten Phase von 2015 bis 2016, bei der 67 Länder und über 27’500 Journalist:innen teilnahmen. Für die Schweiz erheben Journalistik-Professor Vinzenz Wyss (IAM Institut für Angewandte Medienwissenschaft der ZHAW) und sein Team die Daten. 

Jasmin Karim, Carina Majer und Patricia Mutti studieren im vierten Semester Kommunikation am IAM. Im Rahmen des Projektseminars «Datenjournalismus» werteten sie zu den Themen «Arbeitsbedingungen der Journalist*innen» und «Qualitätsmerkmale von Medien» den Schweizer Datensatz der Studie (insgesamt 909 Personen) aus.




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