sprachliche integration im asylwesen

Sprachliche Integration im Asylwesen

Im vierten Semester des Bachelor Sprachliche Integration hat sich Corinne Gehrig für ein Praktikum bei Asyl Berner Oberland entschieden. Ihr Arbeitsfokus lag während drei Monaten auf der Vermittlung der deutschen Sprache in unterschiedlichen Formaten und Lern-Settings. Corinne erzählt, was sie in diesem intensiven Praxissemester gelernt hat, was sie überrascht hat und worauf sie sich im weiteren Studienverlauf besonders freut.

Autorin: Corinne Gehrig, Studentin Bachelor Sprachliche Integration

Im Frühlingssemester habe ich mein grosses Praktikum für den Studiengang Sprachliche Integration bei Asyl Berner Oberland gemacht. Dort hatte ich die Möglichkeit, Sprachliche Integration direkt an der Basis des Schweizer Asylwesens anzuwenden. Die Organisation begleitet und unterstützt Asylsuchende, Schutzbedürftige, anerkannte Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommene in Kollektivunterkünften und Wohnungen in der Region des Berner Oberlands.

Die Haupttätigkeit in meinem Praktikum war die Vermittlung der deutschen Sprache: einerseits in Form von klassischem Deutschunterricht oder als freiwilliges Angebot zur Unterstützung in Kollektivunterkünften; andererseits als 1:1-Coaching, zum Beispiel zur gezielten Vorbereitung für Sprachniveau-Prüfungen. Das gab mir die einzigartige Gelegenheit, in verschiedenen Arten der Deutschvermittlung Erfahrungen zu sammeln und ich konnte mit Menschen zusammenarbeiten, die ganz unterschiedliche Lernerfahrungen und Voraussetzungen mitbringen.

Einblicke in verschiedene Formate der Deutschvermittlung

Der klassische Deutschunterricht fand in einem Klassenzimmer statt. Lehrmittel, Anzahl Lektionen und Ziel des Kurses wurden durch die Institution vorgegeben. Meine freien Angebote wurden hingegen in offenen Kleingruppen durchgeführt. Sie waren so organisiert, dass maximal fünf Personen anwesend waren, die aber nicht gleichzeitig kommen mussten. So kamen manche später oder gingen früher, und auch die Zusammensetzung der Teilnehmenden war jedes Mal anders. Das Angebot war freiwillig und hatte zum Ziel, dass die Teilnehmenden ausserhalb des Deutschkurses die Möglichkeit erhalten, Fragen zum Deutschlernen zu stellen und sich in Themen zu vertiefen, die sie interessieren. An manchen Tagen kamen beispielsweise vier Personen zu mir, die ganz verschiedene Hausaufgaben mitbrachten, die sie besprechen wollten. Diese Art der Deutschvermittlung verlangte sehr viel Flexibilität von mir, denn ich musste spontan auf alle möglichen Fragen und Anliegen eingehen können. Im klassischen Unterricht konnte ich alles detailliert vorbereiten, mich gedanklich auf die Kursteilnehmer:innen einstellen und mit allen die gleichen Kursinhalte durchnehmen. Bei den freiwilligen Unterstützungsangeboten war das ganz anders.

Beim individuellen Coaching wiederum konnte ich mich, wie beim Unterrichten, vorbereiten. Ich konnte mich auf eine Person konzentrieren und wusste genau, welche Fähigkeiten bei ihr gefördert werden sollen. Das erleichterte die Zielsetzung für die einzelne Lektion. Trotzdem fand ich dieses Format am anspruchsvollsten. Es erforderte von mir die genauste Planung. Es liess sich dennoch nicht verhindern, dass ich manchmal zu wenig Stoff vorbereitet hatte und mein Zeitplan nicht aufging. Gleichzeitig war dieses Format auch ganz besonders spannend.

Schulgewohnte vs. schulungewohnte Kursteilnehmende

Beim klassischen Unterricht waren die Lernenden mehrheitlich schulgewohnt. Bei den freiwilligen Angeboten in den Kollektivunterkünften gab es sowohl schulgewohnte wie auch schulungewohnte Lernende.

In meinem Praktikum sah ich den direkten Vergleich zwischen den verschiedenen Lernwegen. Am meisten fiel mir dabei das unterschiedliche Lerntempo beider Gruppen auf. Mit den schulgewohnten Lernenden konnte ich in innerhalb von kürzester Zeit mehrere Themen behandeln, in der Folgelektion darauf zurückgreifen und das Wissen aufbauen. Bei den schulungewohnten Lernenden nahm ich mehrere Lektionen nacheinander denselben Inhalt durch, damit er sich festigen konnte. Ein Grund dafür sind sicherlich fehlende Lernstrategien. So übte ich zum Beispiel mit den schulungewohnten Lernenden zuerst einmal, wie man sich Notizen macht. Im Anschluss diskutierten wir, wie Notizen als Lernunterstützung genutzt werden können, sprich, wie man Inhalte, die man im Unterricht gehört und erarbeitet hat, danach selbstständig repetieren kann.

Das Thema schulgewohnte und schulungewohnte Kursteilnehmende haben wir im Studium häufig behandelt. Nun konnte ich das Gelernte hautnah in der Praxis erleben und die entsprechenden didaktische Methoden anwenden. Den Unterschied zwischen den beiden Gruppen zu erleben und damit umzugehen, war für mich eine besonders interessante Erfahrung.

Wichtigkeit des Lern-Settings bei sprachlicher Integration

Ein Punkt, der mir zuerst oft banal erschien, war die Sitzordnung im Klassenzimmer.  Sie unterscheidet sich bei den verschiedenen Lernformaten. Im klassischen Unterricht sassen die Kursteilnehmenden in Pultreihen mit Blick auf die Lehrperson und auf die Wandtafel. Im Gegensatz dazu gab es beim freiwilligen Angebot einen grossen Tisch im Aufenthaltsraum der Kollektivunterkunft, wo alle herumsassen. Beide Formen hatten Vor- und Nachteile: Durch die Abgeschlossenheit im Klassenzimmer war der Unterricht ungestört, währendem beim Unterstützungsangebot in der Asylunterkunft stets Leute den Raum betraten und verliessen. Dies störte zwar zum Teil die Konzentration der Lernenden, es entstand aber auch eine Offenheit und Dynamik, so dass sich manchmal weitere Teilnehmende spontan dazusetzten. Der runde Tisch machte es allen Lernenden einfach, sich zu motivieren und mitzumachen. Alle konnten sich beteiligen. Die Pultreihen im Klassenzimmer auf der anderen Seite machten Gruppen- und Partnerarbeiten sehr schwierig. Die Motivation der Kursteilnehmenden, sich im Raum zu bewegen, war sehr klein. Sie tendierten dazu, im Plenum zu sitzen und eher passiv zuzuhören. Die Wichtigkeit der Pult- und Sitzordnung und die Vor- und Nachteile der verschiedenen Formate konnte ich so während des Praktikums bewusst erfahren.

Insgesamt war das Praktikum für mich die bestmögliche Vertiefung der bisherigen Studieninhalte im Bachelor Sprachliche Integration. Ich bin nun sehr motiviert, das Studium mit dem Schwerpunkt Sprachberatung und -coaching und mit den weiteren fachlichen und praxisbezogenen Inhalten fortzusetzen. Und ich kann es kaum erwarten, wieder zu unterrichten.

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1 Kommentar

  • Liebe Corinne
    Sehr interessiert habe ich deinen Bericht gelesen. Angesprochen haben mich besonders die verschiedenen Formate, die Vor und Nachteile.
    Gefreut hat mich, dass du so positiv von dem Praktikum schreibst. Viel Erfolg und Freude weiterhin im Studium und beim Unterrichten wünsche ich dir und ganz liebe Grüsse aus dem Berner Oberland.
    Sabine Josi


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