Automatische Textgenerierung zhaw angewandte linguistik-iued Hände mit abstraktem Gehirn

Künstliche Intelligenz im Marketing: Kann maschinelles Lernen das kreative Veto brechen?

Hand aufs Herz: Wie viele Menschen haben heute noch die Zeit, sich kreativ mit ihren Marketingkampagnen zu beschäftigen? Bei Tausenden von E-Mails und DMs, die gelesen werden müssen, oder Social-Media-Updates und anderer Korrespondenz, durch die man sich durchwühlen muss, war die Herausforderung, die Arbeitslast zu bewältigen, noch nie so gross wie heute.

Autor: Samuel Läubli, Chief Technology Officer bei Textshuttle und ehemaliger operativer Leiter der Professur Mensch-Maschine-Kommunikation

Sie lesen immer noch? Dann hat es sich wohl gelohnt, dass ich mein «kreatives Veto» nicht gebrochen und die Vorschläge eines auf künstlicher Intelligenz basierenden Online-Dienstes verwendet habe, um den Titel und den ersten Absatz dieses Blogposts zu erstellen. Titel und Teaser sind vollständig maschinell generiert.

Grosse Sprachmodelle und riesige Datenmengen als Basis

Das Prinzip hinter Tools, die automatisch Texte generieren, ist erstaunlich einfach und eigentlich immer das gleiche. Sie werden mit Unmengen von im Internet auffindbaren Texten «trainiert». Der Trainingsvorgang ist im Wesentlichen ein Ratespiel: Ich zeige dir eine Folge von Wörtern (einen sogenannten «Prompt»), du nennst mir eine sprachlich flüssige Fortsetzung. Das sieht zum Beispiel so aus:

Prompt:Morgenstund hat
Fortsetzung:Gold im Mund.

Mit diesem Ratespiel trainiert man ein «Sprachmodell». Dieses ist anfänglich irrsinnig ahnungslos und reagiert auf Prompts mit zufälligen Wörtern:

Prompt:Morgenstund hat
Fortsetzung (untrainiert):Biber kalt ins bist.
Samuel Läubli operativer Leiter Professur Mensch-Maschine-Kommunikation
Samuel Läubli, operativer Leiter der Professur Mensch-Maschine-Kommunikation am IUED Institut für Übersetzen und Dolmetschen

Beim Trainieren wird dem Sprachmodell nach und nach beigebracht, was wahrscheinliche Fortsetzungen für einen gegebenen Prompt sind. Dafür reichen Sätze aus dem Internet, die man automatisch in einen Prompt und eine Fortsetzung zerschneiden kann. Aus dem Satz «Morgenstund hat Gold im Mund.» lassen sich beispielsweise die Prompt-Fortsetzungs-Paare «Morgenstund»–«hat Gold im Mund.», «Morgenstund hat»–«Gold im Mund.» usw. formen. Der Trainingsvorgang ist nichts anderes, als dem anfänglich ahnungslosen Sprachmodell Fortsetzungen auf Prompts zu zeigen und es damit immer mehr in die richtige Richtung zu lenken im Sinne von: «Nein, auf ‹Morgenstund hat› folgt nicht ‹Biber›, sondern ‹Gold›».

Der Trainingsvorgang erfolgt automatisiert, auf Hochleistungscomputern, mit Milliarden von Sätzen. Das erklärt auch, wieso grosse Sprachmodelle wie GPT-3 auf Prompts wie «Morgenstund hat» nicht einzig die Fortsetzung «Gold im Mund» produzieren können. In den Weiten des Internets finden sich zahlreiche andere Sätze mit diesem Anfang – der 3,99-Euro-Vampir-Roman «Morgenstund hat Blut im Mund» und ein mit «Morgenstund hat Kaffee im Mund?» betitelter Zeitungsartikel über das Frühstück im Zeitalter des Rokoko sind nur zwei von vielen Beispielen.

Mehrwert für kreatives Texten?

Sprachmodelle lassen sich für bestimmte Aufgaben spezialisieren. Online-Dienste wie copy.ai oder Jasper, die solche Spezialisierungen («Finetunings») für Marketing-Texte durchführen, schiessen im Wettlauf um Marktanteile gerade wie Pilze aus dem Boden. Auf den entsprechenden Plattformen wählt man eine zu generierende Textkategorie aus und erhält nach Eingabe eines Prompts verschiedene Vorschläge. Auf copy.ai sieht das beispielsweise so aus:

Eingabe in copy.ai: Man wählt eine Textkategorie, eine Tonalität, beschreibt den Inhalt des zu erstellenden Textteils und das Tool generiert daraus mit Hilfe künstlicher Intelligenz einen Text

Das Potenzial von automatisch generierten Texten besteht heute weniger im Ersatz als vielmehr in der Unterstützung von professionellen Texter:innen. Zum einen in Punkto Geschwindigkeit: Im ersten Absatz dieses Artikels habe ich zwei Wörter nachbearbeitet, den Rest habe ich ohne Änderungen von copy.ai übernommen. Zum andern in der Förderung von Ideen: Auf das «kreative Veto» im Titel dieses Artikels wäre ich ziemlich sicher nie gekommen. Dass ich für diese Idee neun weitere, zum Teil unbrauchbare Titelvorschläge durchlesen musste, hat mich wenig gestört. Selbst auf eine ähnlich kreative Idee zu kommen, hätte mich vermutlich mehr Zeit gekostet.

Künstliche Intelligenz beim Texten im zukünftigen Berufsalltag von Sprachprofis

Auch wenn Textgenerierungsdienste bei Sprachprofis im Marketing oder Journalismus heute noch auf gewisse Skepsis stossen, werden sie mit hoher Wahrscheinlichkeit Teil ihres Berufsalltags werden. Verwandte Berufsfelder wie die professionelle Übersetzung haben diesen Wandel schon durchgemacht: Die Nachbearbeitung von automatisch generierten Übersetzungen, sogenanntes Post-editing, ist im Berufsalltag von Übersetzer:innen bereits heute der Normalfall. Dass die Konfrontation mit einer von vielen möglichen Übersetzungsvarianten Übersetzungsprofis beim Texten zum schnelleren und gezielteren Handeln anregt, haben wir am IUED Institut für Übersetzen und Dolmetschen der ZHAW bereits 2013 in einer Studie beobachtet. Wenn Übersetzer:innen auf einem «leeren Blatt» von Grund auf Varianten selbst formulieren und – im Sinne des eigenen «kreativen Vetos» – wieder verwerfen, ist das selbst bei anspruchsvollen Texten weniger effizient.

Die Arbeit verändert sich

Braucht es in Zukunft also keine menschlichen Sprachtalente mehr, die kreativ Texten? Keineswegs. Ihre Arbeit aber wird sich vom reinen Schreiben vermehrt zum Auswählen, Kombinieren und Optimieren von maschinell generierten Vorschlägen bewegen. Am ZHAW Department Angewandte Linguistik bereiten wir unsere Studierenden schon heute darauf vor: Etwa mit dem Vermitteln von Programmierkenntnissen für Linguist:innen, damit diese selbst «Finetunings» an Sprachmodellen vornehmen können. Und auch in der Forschung setzen wir uns aktiv mit dem Thema digitale Schreibunterstützung auseinander.

Arbeit gibt es dabei mehr als genug. Denn: Automatisch generierte Textvorschläge sind heute nicht selten diskriminierend, weil minderheitenfeindliche Texte eben auch oft im Internet anzutreffen sind – stochastische Papageien wie GPT-3 plappern sie munter nach. Selbst regionale Sprachregeln und ‑konventionen werden von grossen Sprachmodellen noch oft ignoriert:

Durch den Online-Dienst copy.ai automatisch generierter Text.

Das «ß» im Vorschlag von copy.ai musste ich für den ersten Absatz dieses Artikels auf den Schweizer Kontext hin selber mit «ss» ersetzen. Auch inhaltlich könnte man diesen ersten Absatz noch griffiger machen, wie die erfahrene Redakteurin dieses Beitrags wohl zurecht anmerkte. Etwa mit einem Nutzenversprechen des Beitrags statt einer doch recht trivialen Aneinanderreihung von Binsenwahrheiten.


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Das IUED Institut für Übersetzen und Dolmetschen ist das Kompetenzzentrum der ZHAW für Mehrsprachigkeit und Sprachmittlung in Ausbildung, Weiterbildung, Forschung und Dienstleistung.

Mit dem Bachelor Mehrsprachige Kommunikation und den Master-Vertiefungen Fachübersetzen und Konferenzdolmetschen bietet das Institut eine kohärente, praxisorientierte Ausbildung für mehrsprachige Kommunikationsexpert:innen.

Das IUED ist ein Institut mit internationalem Ruf. So ist es Mitglied prestigeträchtiger internationaler Netzwerke wie CIUTI und EMT und steht in engem Austausch mit Instituten und Universitäten im In- und Ausland.


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