Durch Sprache gezeichnet: Sozialhilfe und Arbeitslose in den Medien

Durch Sprache gezeichnet: Sozialhilfe und Arbeitslose in den Medien

Welches Bild zeichnen die Medien von SozialhilfebezügerInnen und Arbeitslosen? Und was denken LeserInnen über sie? Im Rahmen ihrer Bachelorarbeit sind Rivana Bissegger und Isabelle Suremann der Frage nachgegangen, wie SozialhilfebezügerInnen und Arbeitslose in Schweizer Zeitungen dargestellt werden – mit einem ernüchternden Ergebnis. Welches dieses ist, beschreiben sie in diesem Beitrag. Für ihre hervorragende Arbeit wurden sie mit dem Preis der Johann Jacob Rieter-Stiftung ausgezeichnet.

von Isabelle Suremann und Rivana Bissegger, Absolventinnen Bachelor Angewandte Sprachen

Wer und wie sind SozialhilfeempfängerInnen und Arbeitslose und was machen sie – zumindest entsprechend ihrer Darstellung in den Medien? Um eine Antwort auf diese Fragen zu erhalten, haben wir mit einer quantitativ informierten qualitativen Diskursanalyse eine Auswahl Deutschschweizer Zeitungen untersucht. So komplex dies auch klingen mag, so einfach ist das Prinzip: In einem ersten Schritt haben wir statistische – also quantitative – Daten zu den Diskursen über SozialhilfebezügerInnen beziehungsweise Arbeitslose erhoben. Aus diesen Daten konnten wir in einem zweiten Schritt Muster und generelle Aussagen extrahieren. Der zweite Schritt geht also über die rein quantitativen Angaben hinaus und untersucht auf qualitativer Ebene, wie über ein bestimmtes Thema gesprochen wird. Um dies herauszufinden, haben wir in Textsammlungen – sogenannten Korpora – aus Zeitungsartikeln über SozialhilfebezügerInnen und Arbeitslose verschiedene Keywords und Kollokationen erhoben, die wir dann eben weiter untersucht haben. Als Keywords werden dabei all jene Wörter bezeichnet, die signifikant häufiger in unserer Textsammlung vorkommen als in anderen Textsammlungen. Deren Analyse kann Aufschluss über thematische Schwerpunkte des Diskurses geben. Kollokationen bezeichnen jene Wörter, welche besonders häufig nahe bei den entsprechenden Suchwörtern vorkommen. Da die Kollokationen je nach Untersuchungstool mit der Wortart gekennzeichnet sind, konnten sie in unserem Fall die Fragen «Wer und wie sind SozialhilfeempfängerInnen und Arbeitslose und was machen sie» beantworten.

Da unser Bild auf etwas – in unserem Fall auf SozialhilfebezügerInnen und Arbeitslose in der Schweiz – jedoch nicht nur durch das geprägt wird, was gesagt wird, sondern auch durch das, was ausgelassen wird, haben wir auch auf das Nicht-Gesagte geschaut und entsprechend bewusst nach «absences» gesucht. Welche Aspekte finden also keinen oder nur am Rande Eingang in den medialen Diskurs und dies, obwohl sie in der sozialwissenschaftlichen Fachliteratur wichtig sind? Schlussendlich ist nämlich das, was nicht gesagt wird, manchmal genauso wichtig, wie das, was gesagt wird.

Ausserdem wollten wir herausfinden, was LeserInnen denken. Dafür haben wir je ein Korpus aus LeserInnenkommentaren zu Artikeln über SozialhilfebezügerInnen beziehungsweise über Arbeitslose erstellt. Da Zeitungsartikel bis zu einem gewissen Grad zensiert sind, gingen wir davon aus, dass das Bild in den LeserInnenkommentaren anders – freier – aussieht und somit auch besser widerspiegelt, was die LeserInnen denken. Dies kann zudem ein Ansatz sein, um herauszufinden, wie Menschen durch Zeitungsartikel beeinflusst werden. Denn indem JournalistInnen bewusst oder unbewusst Informationen auslassen, beeinflussen sie die LeserInnen.

Das Bild von Arbeitslosen in den Medien

Unsere Ergebnisse zeichnen ein zum Teil recht ernüchterndes Bild. Der Diskurs rund um Arbeitslose wird klar durch Wörter aus dem Themenbereich Statistik geprägt, was auch an den monatlich erscheinenden Statistiken des SECO liegt. Ein weiterer wichtiger Teil sind die Handlungen der Schweizer Behörden, welche die Arbeitslosen unter anderem mittels Beschäftigungsprogrammen, Einsatzprogrammen und Kursen wieder im Arbeitsmarkt integrieren sollen.

Die Sicht und Taten der arbeitslosen Menschen werden hingegen kaum bis gar nicht thematisiert. Dies hat zur Folge, dass ihnen, auch durch die fast ausschliesslich vorkommenden Passivkonstruktionen der Verben, eine gewisse Passivität zugeschrieben wird. Lediglich drei der 50 signifikantesten Verben – «erhalten», «brauchen» und «stammen» – haben Arbeitslose als Subjekt. Diese Verben wiederum haben aber auch einen passiven Anteil, wie beispielsweise in der folgenden Aussage deutlich wird: «Mehr als 35 Prozent aller Arbeitslosen brauchen mindestens ein Jahr, um wieder eine Stelle zu finden.» Ausserdem bleibt schwammig, wer und wie Arbeitslose sind, und was sie machen. Sie werden sprachlich zu einer Nummer im System respektive einem Teil einer anonymen Masse von potenziellen Arbeitskräften, die selbst nicht zu Wort kommen. Allerdings werden Arbeitslose in den Zeitungen nicht mit offensichtlich negativen Wörtern beschrieben.

Anders sieht das Bild in den LeserInnenkommentaren aus: Hier werden Arbeitslose teilweise deutlich als faul und arbeitsunwillig stigmatisiert. So schreibt einE LeserIn des Blicks: «Das Verneinen und immer wieder schön reden macht es nicht besser. Es ist einfach so, dass viele Arbeitslose nicht vermittelt werden wollen oder einfach nicht brauchbar sind.» Arbeitslose sind in ihrem Alltag also negativen Haltungen ausgesetzt, auch wenn diese Stigmatisierung teilweise auch klar und deutlich kritisiert wird.

Das Bild von SozialhilfebezügerInnen in den Medien

Der Diskurs über SozialhilfebezügerInnen wird grundlegend anders geführt als jener über Arbeitslose. Hier ist zu beobachten, dass Hintergrundinformationen wie statistische Daten nur wenig Platz im Diskurs einnehmen und der Fokus stattdessen beinahe ausschliesslich auf den Menschen liegt.

Zwar bilden Lexeme rund um Behörden und Leistungen wie «SKOS» oder «Grundbedarf» eine statistisch relevante Kategorie. Sie werden aber in erster Linie nebenbei verwendet und tragen nicht direkt zum hauptsächlichen Inhalt der Artikel bei. Stattdessen geht es oft um negative Charaktereigenschaften, welche den SozialhilfebezügerInnen zugeschrieben werden. So seien sie «frech, renitent und unkooperativ». Während «frech» in erster Linie paraphrasiert wird im Zusammenhang mit einem Artikel des Blicks über «den frechsten Sozialhilfebezüger der Schweiz», werden die Adjektive «renitent» und «unkooperativ» von beinahe allen im Korpus enthaltenen Medien verwendet.

Des Weiteren kommt es zu Vermischungen mit dem Migrationsdiskurs. So wird oft betont, dass viele SozialhilfebezügerInnen keinen Schweizer Pass hätten und in diesem Zusammenhang die Frage aufgeworfen, ob Menschen ohne Schweizer Pass überhaupt sollten Sozialhilfe beziehen dürfen. In diesem Kontext kann festgehalten werden, dass die SVP neben der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe SKOS der wichtigste Akteur innerhalb des Diskurses ist. Dementsprechend dürften auch ihre Äusserungen den Diskurs massgeblich mitprägen. Beispielsweise fordert eine Initiative von Erich Hess «[k]eine Einbürgerung von Kriminellen und Sozialhilfeempfängern» und Andreas Glarner warnt davor, dass Flüchtlinge «potenzielle Sozialhilfebezüger» seien.

Wie bereits angesprochen, sind Hintergrundinformationen zur Sozialhilfe meist abwesend, ebenso werden die Gründe für die finanzielle Notlage oder die Lebensrealität der Betroffenen kaum diskutiert. Beide Themenfelder werden hingegen oft in Kommentaren von LeserInnen aufgegriffen und diskutiert – und dies dem generell eher harschen Ton zum Trotz teilweise durchaus mitfühlend und solidarisch. EinE LeserIn des Blicks hält in Bezug auf besprochene Kürzungen beispielsweise fest: «Wir wollen nicht auf dem Buckel der Ärmsten sparen. Wir wollen Gerechtigkeit».

Die Macht der Sprache

In Bezug auf beide von uns untersuchten Diskurse konnten wir feststellen, dass grundsätzlich Parallelen zwischen dem Teildiskurs der Medien und jenem unter LeserInnen bestehen. Ebenso haben wir aber auch beobachtet, dass LeserInnen ebenfalls Wissen aus anderen Teildiskursen miteinbeziehen und «absences» oder das Sprachhandeln der JournalistInnen durchaus auch kritisieren.

Für uns ist es eine zentrale Aufgabe der Linguistik, Sprachhandeln in der Öffentlichkeit kritisch zu beobachten und zu beleuchten. Dazu gehört, dass das Nicht-Gesagte, also «absences», einbezogen wird, denn, wie Paul Watzlawick treffend formuliert hat: «Man kann nicht nicht kommunizieren». In diesem Sinne hoffen wir, mit unserer Arbeit einen Beitrag zu einem fairen und sachlichen Diskurs über SozialhilfebezügerInnen und Arbeitslose geleistet zu haben.

Wer noch mehr zum Thema erfahren möchte, findet die vollständige Bachelorarbeit als Graduate Paper in Applied Linguistics Nr. 12 in der digitalcollection der ZHAW: Bissegger, Rivana und Isabelle Suremann (2020): Die sprachlich konstruierte Wahrnehmung von Sozialhilfebezüger*innen und Arbeitslosen: eine quantitativ informierte qualitative Diskursanalyse. Graduate Papers in Applied Linguistics 12. Winterthur: ZHAW.

Viel Spass beim Lesen!



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Bachelor Angewandte Sprachen – featuring Hazel Brugger | ZHAW IUED

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Im Bachelor Angewandte Sprachen bildet das IUED Institut für Übersetzen und Dolmetschen Sprachinteressierte zu Sprach- und Kommunikationsprofis aus, die sich souverän zwischen Sprachen, Kulturen und Domänen bewegen. Das Studium qualifiziert für eine Tätigkeit im mehrsprachigen Projekt-, Event- und Informationsmanagement, in verschiedenartigen Übersetzungskontexten oder in der Technikkommunikation an der Schnittstelle zwischen Mensch und Technik.


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