Die Krise zwingt zur Strategiekommunikation

Die Corona-Krise zeigt, wie sich professionelle Kommunikation entwickeln muss. Ein Schlüssel liegt in der Strategiekommunikation. Doch was verbirgt sich hinter diesem Begriff und wie kann er unser Verständnis von Führung verändern?

Ein schriftliches Interview mit Fragen der «Language Matters»-Redaktion und Antworten von Peter Stücheli-Herlach, Professor für Organisationskommunikation und Öffentlichkeit am IAM Institut für Angewandte Medienwissenschaft.

Welche zusätzlichen Herausforderungen hat die Unternehmenskommunikation während der Coronavirus-Krisensituation zu meistern?

Die Krise bringt für die Unternehmenskommunikation zusätzliche Herausforderungen vor allem quantitativer Art. Denn das Entscheidungstempo ist hoch, und die Informationsmengen sind enorm gross. In qualitativer Hinsicht indes sehen wir: Die Krise verstärkt und beschleunigt Tendenzen, die schon vorher im Gange waren. Und die nach Corona nicht verschwinden werden.

Um welche Tendenzen geht es hier?

Spätestens jetzt ist die Kommunikationsführung mit dem konfrontiert, was man eine «VUKA»-Welt nennen kann: Zentrale Voraussetzungen für die Wertschöpfung sind volatil (V), unsicher (U), komplex (K) und ambig (A), also diffus und mehrdeutig geworden. Wir starren auf statistische Kurven, verstehen die Welt nicht mehr und schwanken hin und her zwischen dem Ziel öffentlicher Gesundheit und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit, zwischen der Klarheit eines Lockdown und der Sehnsucht nach Lockerungen, zwischen Nationalismus und besorgtem Weltbürgertum.

«Strategische Führung wird zur Kommunikation gezwungen.»

Konkret: Niemand wird je wieder behaupten können, allein über das nötige Wissen, die perfekten Mittel und die geeignete Sprache für gutes Entscheiden zu verfügen. Das gilt für eine hierarchisch positionierte Geschäftsleitung wie für ein agil aufgestelltes Expertinnen-Team, für einen Bundesrat wie für eine Forschungseinrichtung. Das ist es, was durch Corona für alle offensichtlich geworden ist. Strategische Führung wird zur Kommunikation gezwungen. Sie muss fit werden für das, was wir «Strategiekommunikation» nennen: Für Praktiken der Transparenz, des Dialogs, der Ko-Kreation und Akzeptanz. Ein Silo-Denken hingegen kann die vernetzte «VUKA»-Welt schon längst nicht mehr erfolgreich organisieren.

Inwiefern müssen Kommunikationsabteilungen nun ihre Kommunikationsstrategien anpassen?

Vor allem durch eines: Indem Sie agiler und effektiver werden in Prozessen der Anpassung und der Organisationsentwicklung selber. Der Aufbau der vielen «Corporate Newsrooms» war nur der Anfang. In der VUKA-Welt kann Strategie nicht etwas sein, was eine Organisation «hat» und nur noch «umzusetzen» braucht, beispielsweise durch immer mehr Routine und Investitionen in owned und paid media. Strategie ist etwas, was die Organisation täglich bearbeiten, reflektieren, korrigieren oder weiterentwickeln muss. Und wofür Kommunikation der Schlüsselprozess ist. Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Achtsamkeit fürs gemeinsame Wohlergehen, das sind die unerbittlichen Treiber dieser Art von Strategiearbeit. Sie ist umfassend «ökologisch» und verursacht im Alltag sehr viel Arbeit.

«Die Corporate Newsrooms waren nur der Anfang.»

Wie sollen Unternehmen mit dem Information-Overload in der Gesellschaft umgehen?

Unternehmen müssen sich vor allem eines eingestehen: Nämlich, dass sie mit dem ständigen Information-Overload überfordert sind, und das nicht nur in Krisenzeiten. Dass sie also unter Unsicherheit entscheiden und dass diese Vorläufigkeit kommunikativ «einpreisen» müssen, will heissen: Dass sie Entscheide nicht als Machtdemonstration verstehen, sondern als Prozesse, die man klug in Diskursen vernetzen und auf der Zeitachse rhythmisieren muss. Dass sie Entscheide nicht in Bullet-Points dekretieren, sondern immer wieder von neuem schlüssig erzählen. Und dass sie diese transparent und fassbar machen, statt sie zu verklausulieren. Diesbezüglich kann man dem Schweizer Bundesrat und seinen Kommunikationsfachleuten ein ganz grosses Kränzchen winden. Im grossen Ganzen haben sie das bravourös gemeistert. Auch deshalb war die Bundesrats-Medienkonferenz in Corona-Zeiten jeweils ein Publikumsrenner. Da wurde Strategiekommunikation lebendig. Im Medienzentrum war eine orchestrierte, aber vielstimmige, eine klare, aber auch zweifelnde Strategiekommunikation zu erleben. Eine Kommunikation, die sich um die Umsetzung und die Folgen von Entscheiden drehte, und bei der es nicht ums Abspulen von Leadership-Ritualen ging. Die Bundespräsidentin hat gerade im NZZ-Interview vom 18. April die ganze Sache auf den Punkt gebracht: «In der Schweiz (…) sagen wir offen und transparent, was wir wissen – und was wir nicht wissen. Dabei versuchen wir, möglichst viele Partner einzubeziehen.“ So etwas ist mutig in einer exponierten Führungsposition, aber es ist genau richtig.

Quelle: SRF Tagesschau, Samstag, 25. April 2020, 19:30 Uhr
«Corona-Krise: Werbespots in Corona-Zeiten»

Wie können Unternehmen die Öffentlichkeit mit Unternehmensbotschaften und Produktinfos gezielt durchdringen?

Die Corona-Krise lehrt uns, von dieser Idee eines «gezielten Durchdringens» der Öffentlichkeit mit Botschaften endgültig Abschied zu nehmen. Strategiekommunikation durchdringt nichts. Sie lässt Echos erklingen. Genau dafür muss sie sich in öffentlichen Diskursen gut positionieren und sich auf diese Diskurse ausrichten. Ihr Wirkungskonzept ist weder die Manipulation noch die Messbarkeit. Vielmehr prägt sie diskursive und mediale Rahmen für lebendige Interaktion. Und sie webt so etwas wie rote Fäden in die bunten Muster einer Organisation, statt diese eng an sich zu binden. Schauen wir uns den Corona-Spot der Bâloise an: «Wir sind für Sie da». Das halte ich für gut gestrickt. Durch die ständige Repetition ist es indes zu viel des Guten geworden. Strategiekommunikation muss den Wandel von Diskursen nachvollziehen. Wir sind ja dem Corona-Anfangsschock längst entkommen und sorgen uns inzwischen um gravierendere Probleme als um die tägliche Administration. Wofür also ist eine Versicherung jetzt «für uns da»? Eine solche Frage muss Strategiekommunikation nun aufnehmen. Auch die «Danke»-Kampagnen der Grossverteiler kamen rasch und sie waren gut. Mit der Zeit aber muss der Dank dann deutlich besser adressiert werden können. Auch die Kundinnen und Kunden nehmen nämlich einiges auf sich. Und die Lieferanten. Und die Regulatoren. Und was macht jetzt der Unterschied zwischen Coop und Migros aus? Hier ergibt sich ein weites Feld für die Strategiekommunikation, das uns weit übers Marketing hinausführt.

«Im Medienzentrum des Bundes wurde Strategiekommunikation lebendig.»

Weshalb ist der Ansatz der integrierten Unternehmenskommunikation allgemein, aber insbesondere in der Krise entscheidend?

Integrierte Unternehmenskommunikation ist eine professionelle Routine, die wir voraussetzen, aber auch laufend und geschickt adaptieren müssen, um überhaupt an Erfolg denken zu dürfen. Schon immer spielte dieser Ansatz mit einer gewissen Illusion von Planbarkeit und Steuerung. Das Berufsfeld musste sich deshalb zwingend weiter entwickeln. In der «VUKA»-Welt macht inzwischen anderes den entscheidenden Unterschied. Weniger instrumentell ausgerichtete Konzepte wie «open strategy» oder eben die Strategiekommunikation sind auf dem Vormarsch. So sind wir inzwischen auch schon weit über die Vorstellung eines «integrierten Stakeholder-Managements» hinausgegangen. Anspruchsgruppen kann man nicht managen; man kann nur mit ihnen kommunizieren. Und erlebt dabei immer wieder Überraschungen. «Public», «Good» oder auch «Knowing Governance» sind entsprechende Stichworte. Sie weisen darauf hin, dass strategisches Kommunikationsmanagement immer auch Wissensmanagement sein muss, um erfolgreich sein zu können. Insofern wird Kommunikationsführung politisiert. Aber dies geschieht in einem guten Sinne: So erfolgreich sie hat disziplinieren können in der Krisenzeit, so entschlossen muss sie jetzt dann Debatten über Wertschöpfung zulassen, moderieren und produktiv machen.

«Kommunikationsführung wird politisiert.»

Niemand, weder exzentrische Leaderinnen noch integrierende Manager, weder Forschende noch Regulatoren oder Beraterinnen können über Strategien abschliessend verfügen. Insofern hat die «VUKA»-Welt durchaus etwas Gleichmacherisches, dies im eher guten, ökologischen und demokratischen Sinne. Plurale, diverse Zugänge zum digitalen, ökonomischen und ökologischen Wohl einer Organisation können und müssen vernetzt werden durch Strategiekommunikation.




2 Kommentare

  • Danke @Christopher Seidel fürs Feedback. Und wenn beim “richtig Einlesen” weitere Kommentare oder Nachfragen angezeigt sind, freuen wir uns auf die weitere Diskussion! stü.


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