Auf dem Kartonschild der Greta Thunberg sucht man es vergeblich. Auch auf den Bannern an Frauenstreiks macht es sich rar. Die Rede ist vom Kreuzzeichen des digitalen Zeitalters, vom „Hashtag“ (#). Vielleicht tun sich gerade auch deshalb viele schwer mit den neuen Klima- und Frauenbewegten. Wo sie sich auf der Strasse mit Leib und Seele zeigen, da verweigern sie sich gerne mal den modischen Kodes digitaler Demokratie.
von Peter Stücheli-Herlach, Professor für Organisationskommunikation und Öffentlichkeit am IAM Institut für Angewandte Medienwissenschaft der ZHAW
Auf den Datenautobahnen hingegen, die US-Netzgiganten wie Twitter und Facebook in die Landschaften der hiesigen Demokratie gefräst haben, gilt das Zeichen als eine Art Passierschein. Wer die Rolle des Netzbürgers («Netizen») spielen will, versieht damit möglichst viele der eigenen Beiträge. Denn dies ermöglicht die technische Verknüpfung mit Tausenden, ja Hunderttausenden, die dasselbe Schlagwort benutzt haben. Das Kreuzzeichen ist aber noch mehr: Eine digitale Absolution für alles und jedes, was der Netizen aus dem Moment heraus so gerade feststellen, loben oder verurteilen will. Es macht die eigene Wortmeldung zum Satz in einer grossen Erzählung. Es legitimiert dadurch die eigene Position. Und es verheisst so die Umwandlung eigener Meinungen in virtuelle Mehrheiten.
Legendär geworden sind beispielsweise #AskObama, #MeToo, #BlackLivesMatter, #JeSuisCharlie #climatechange – oder in anderem Sinne etwa auch #Trump. An die damit erzielten Beachtungswerte kommen deutschsprachige Pendants nichts heran. Der Schweizer Vorwahlkampf hat aber die politische Sprachphantasie trotzdem angeregt. An das Kreuzzeichen angefügt wurden Schlagworte wie Klimawahl, -wende, -streik, -demo, -debatte, -krise, -notstand, -schutz, -alarm und einige andere mehr. Wer – wie FDP und SVP – es versäumte, bei diesen medialen Massenveranstaltungen mitzutippen, musste später nachreichen. Die #Klimaumfrage war aber eine politische Eintagesfliege, und der #Klimagipfel war schon besetzt gewesen – und hielt prompt nicht, was er versprach.
Die Beispiele zeigen, dass im neuen Sprachspiel digitaler Demokratie auch hierzulande gepokert wird. Die Politikwissenschafterin Pippa Norris hat einmal von der «Ratsche» moderner Demokratie gesprochen. Sie brachte auf den Begriff, was überall zu beobachten ist, wo neue Medien die Massendemokratie in Bewegung versetzen: Wo die Übersicht fehlt, muss sie mit Schlagworten und anderen Floskeln herbeigeschrieben werden. Und das führt rasch zum Eindruck lärmiger Repetition – und also zu kommunikativer Inflation (Richard Münch).
Das “Ratschen“ ist für Untergangspropheten und Zeitgeist-Diagnostiker jeweils ein Anlass, sich über die Masse zu mokieren. Claudia Mäder hat dazu in der NZZ einige Beispiele und kluge Kommentare zusammengestellt. Es ist wahr: Die Verwendung eines Kreuzzeichens allein ist noch kein Beitrag zu einer Revolution – geschweige zu einer nachhaltigen Reform. Andererseits gilt aber auch: Häme über neue Sprachspiele der digitalen Demokratie allein ist noch kein Akt der Aufklärung.
Denn: Nicht nur lebt die Demokratie vom Sprachspiel. Sie ist eines! Weil sie Recht aushandelt und festschreibt, bevor sie zur Gewalt greift. In nichts anderem besteht die historische Errungenschaft, die es gegen digitalen Totalitarismus, militante Autokratie und oligarchische Korruption auch zu verteidigen gilt. Das Rasseln mit den Hashtags mag ein Sprachspiel im „virtuos circle“ (Norris) jener Privilegierten sein, die ihre Zeit damit verbringen können, tippend die semantische Sättigung von ein paar wenigen Schlagworten voranzutreiben. Immerhin aber ist es als Symbol für Freiheit und Demokratie nun in die Festplatten eingeschrieben. Und aus der Feuilleton-Redaktion der bundesdeutschen „Welt“ – die ja nicht fürs Ratschen bekannt ist –, verlautete schon, man warte darauf, wann es das erste Hashtag in den Duden schaffen werde. Nicht nur in Amerika, auch hierzulande ist ein Hashtag immerhin schon einmal zum Wort des Jahres gekürt worden.
Wenn nicht mokant, so darf die Auseinandersetzung aber doch kritisch sein. Mit Hashtags werden in geradezu neoreligiöser Weise Tage des Feierns und Fastens zelebriert (#WorldEnironmentDay, #WorldOceansDay, #OnePlasticFreeday, #zerowaste). Da fragt man sich: Wie schaffen wir es, das Publikum aus guter Gesinnung und alltagspraktischen Beiträgen heraus nun auch an die Urne zu bringen – auch dann, wenn Kompromisswerke zur Abstimmung stehen, die uns nur schwer erkennbare, kleine Schritte nach vorn bringen? Mit Hashtags werden Marken bewirtschaftet, die dadurch noch besser vom Fleck kommen sollen (#smartcities, #ABBFormulaE). Da wünscht man sich doch etwas mehr persönliches und politisches Engagement auch von Tech-Freaks in den zeitaufwendigeren Debatten der Partei-, Quartier-, Gemeinde- und Parlamentsversammlungen. Und mit Hashtags werden immer wieder mal digitaler Kreuzzüge gegen einzelne Personen geführt (#nositsch, #merkelmussweg, #HillaryForPrison). Angesichts dieses „negative campaigning“ wird schlagartig klar, warum die politische Kärrnerarbeit in Behörden für viele unattraktiv erscheint und ergo kaum in Frage kommt.
Ja, die Kartonschilder und politisch bewegten Leiber und Seelen auf den Strassen von heute werden auch digital affinen Kommunikationsstrategen noch einiges zu denken geben. Algorithmen beschleunigen unsere Konnektivität. Wie aber kann sie in kollektive Verantwortung überführt werden? Persönliches Posten ist attraktiv. Wie kann es in politische Inputs münden, die auch institutionell bearbeitbar sind? Die Personalisierung von Feindbildern ist verführerisch. Wie kann politisch Druck gemacht werden in einem Konsenssystem wie dem unsrigen, in dem die Gegner von heute die Verbündeten von morgen sind? Communities bilden sich heute rasch um prägnante Kernideen. Wie können sie sich auch auf die anspruchsvolle Vernetzung verschiedener Interessen einlassen? Auf die gerade dringlichen Querbezüge zwischen der Klima-, Energie- und Gleichstellungspolitik beispielsweise mit Europa-, Globalisierungs- und Migrationsfragen?
IAM live 2019 #Wortwahl
Diskutieren Sie mit am IAM live vom 26. Juni 2019 oder auf Twitter #Wortwahl und #IAMlive.
Einige der aufgeführten Hashtag-Beispiele werden derzeit im Forschungsprojekt „Energiediskurse in der Schweiz“ am Departement Angewandte Linguistik der ZHAW untersucht.