Die linguistischen Wege einer Ethnologin

Virgina Suter Reich, Jahrgang 1977, war von 2011 bis Februar 2019 wissenschaftliche Mitarbeiterin am ILC Institute of Language Competence und von 2014 bis Februar 2019 Co-Leiterin des CAS Deutsch als Zweitsprache. In ihrer Doktorarbeit erforschte sie die Institutionalisierung und gesellschaftliche Verortung der alevitischen Bewegung in der Schweiz. Virginias facettenreicher Weg führte sie von der Universität Lausanne über Forschungsaufenthalte in Afrika über den Schweizerischen Wissenschafts- und Technologierat zur ZHAW. Virginia ist dreifache Mutter. Wie sie die Balance zwischen Familien- und Hochschulleben gemeistert hat und welche neuen beruflichen Herausforderungen auf sie warten, hat sie uns erzählt.

von Birgitta Borghoff, Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Projektleiterin Forschungsbereich Organisationskommunikation und Öffentlichkeit (OKOE) am IAM Institut für Angewandte Medienwissenschaft

Als Ethnologiestudentin via Deutschland und Afrika zurück in die Schweiz

Meine Universitätslaufbahn begann 1998 an der Universität Lausanne mit einem Studium der sciences sociales. Später wechselte ich an die Universität Bern, wo ich Ethnologie Volkswirtschaftslehre und Religionswissenschaft studierte. Um meinen Horizont zu erweitern, ging ich 2001 für zwei Jahre nach Köln. Besonders inspiriert hat mich, dass ich neben dem Studium als Forschungsassistentin eigene Forschungsprojekte realisieren und ein sechsmonatiges Praktikum in Namibia absolvieren durfte. Im Rahmen meines Lizenziats habe ich auch Feldforschung in Westafrika betrieben. Hier untersuchte ich Narrative von jungen Männern, die aus Guinea Conakry nach Gambia migriert waren, um Europa zu erreichen. Die Aufenthalte in unterschiedlichen afrikanischen Regionen waren einerseits sehr bereichernd, andererseits wurde ich mit der Frage konfrontiert, wie stark ich mich persönlich mit dem Beruf der Ethnologin in aussereuropäischen Kontexten identifizieren kann. Die Hierarchien in Afrika sind extrem, die Gestaltung von Beziehungen schwierig und Partizipation kaum möglich. Als mir die Universität Köln später die Möglichkeit bot, als Doktorandin erneut nach Afrika zu gehen, lehnte ich ab. Stattdessen arbeitete ich von 2005 bis 2006 für den Schweizerischen Wissenschafts- und Technologierat. Meine Aufgabe bestand in der Beratung. Oft hatte ich das Gefühl, «für die Schublade» zu arbeiten, weil ich nicht wusste, was mit den Beratungen konkret passiert. Deshalb fiel mir die Identifikation mit der Aufgabe zunehmend schwerer. 2007 entschied ich mich, für ein Doktoratsstudium an die Universität Bern zurückzukehren. In meiner Dissertation untersuchte ich, wie sich die alevitische Diasporagemeinschaft in der Schweiz angesichts von Integrationspolitik und Sprachförderung verortet. Die Doktorarbeit war der «Ankerpunkt», warum ich später an die ZHAW ging.

Über die Vereinbarkeit von Beruf und Familie in akademischen Gefilden

Während des Doktorats wurde ich Mutter einer Tochter. Die neue Familiensituation regte mich an, 2010 ein Mentoring-Programm für junge Frauen zu absolvieren, das von der ehemaligen Rektorenkonferenz CRUS organisiert wurde. Ich wollte herausfinden, ob eine Hochschulkarriere zu mir passt. An der Universität sah ich kein gutes Modell zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf. An meiner Entscheidung, die Universität zu verlassen, habe ich einige Jahre «gekaut», vor allem, weil ich noch kein neues Berufsziel für mich entwickeln konnte. In einem Gespräch mit meinem Mentor kristallisierte sich heraus, dass die Fachhochschule die ideale Lösung sein könnte. Thematische Anknüpfungspunkte zur ZHAW waren die Bereiche Sprachförderung, Integration und Religionspluralismus. 2011 begann ich dann als wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Weiterbildung am ILC. Schwerpunkt meiner Tätigkeit war die Entwicklung von Weiterbildungsangeboten für Lehrpersonen. Hier genoss ich grossen Gestaltungsspielraum und bin so in die DAF/DAZ-Thematik hineingewachsen. Im 2012 nahm ich ein weiteres Jobangebot als Leiterin der Geschäftsstelle des Zürcher Forums für Religionen an. Ein Jahr später bekam ich Zwillinge. In der Zeit des Mutterschutzes klärte ich für mich, was mir bei der Arbeit wichtig ist und was das berufliche Umfeld mir bieten muss, um meine drei kleinen Kinder fremdbetreuen zu lassen. Ich wollte nichts mehr machen, von dem ich nicht hundertprozentig überzeugt war. Ich zweifelte auch, ob die ZHAW noch der richtige Ort für mich ist.

Günstige Bedingungen und Entwicklungsmöglichkeiten an der ZHAW

Diese Zweifel haben sich in Luft aufgelöst, als mir die Co-Leitung des «CAS Deutsch als Zweitsprache» angeboten wurde. Plötzlich war ich in neue spannende Forschungs- und Entwicklungsprojekte involviert. Mein Netzwerk etablierte sich und es eröffneten sich neue Möglichkeiten für mich wie beispielsweise die Übernahme des Goethe-Prüfungszentrums 2016. Hier lernte ich enorm viel über das Testen im Sprachförderungskontext; vor allem auch darüber, mit welchen Herausforderungen Nicht-MuttersprachlerInnen beim Erlernen von Deutsch als Zweitsprache konfrontiert sind. Um mein Standbein in der Forschung weiter auszubauen, gab ich die Leitung des Zentrums 2017 wieder ab. Im Moment ist vieles offen. Wohin mein Weg mich führen wird, weiss ich nicht. Ich bin gespannt!

Anmerkung der Redaktion:

Das Interview mit Virginia Suter wurde im Sommer 2018 geführt. Inzwischen hat Virginia eine neue berufliche Herausforderung angenommen. Seit 1. März 2019 engagiert sie sich als Projektleiterin im Team der Integrationsförderung der Stadt Zürich.


Career Stories: Die Idee dazu entstand im Rahmen eines World Cafés des Mittelbaus L (initiiert von der Mittelbaukommission L) im Oktober 2017. Sie zeigt die Vielfalt von möglichen Karrierewegen am Departement und darüber hinaus auf. Es soll wissenschaftliche Mitarbeitende und Assistierende zudem dazu motivieren, einen kommunikativen Beitrag zur Profilierung und Entwicklung des Mittelbaus zu leisten. Durch die Stories werden interdisziplinäre Einblicke in den beruflichen Alltag und die professionelle Entwicklung von Mitarbeitenden ermöglicht. Dies fördert einerseits die Vernetzung des Mittelbaus über Instituts- und Zentrumsgrenzen hinweg und setzt andererseits Impulse für die eigene Karriereorientierung am Departement und darüber hinaus.

Die Basis für die einzelnen Career Stories bilden narrative Interviews. Die Interviewten erzählen dabei ihre Biographie und können durch die eigene Perspektive feinere Zusammenhänge erfassen, die bei einer rein objektiven Befragung wegfallen würden.


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