Die Eisbrecherin

Sandra Nast hat 2016 den Master in Organisationskommunikation an der ZHAW abgeschlossen und unterrichtet heute minderjährige Asylsuchende in Bern. Warum ihr die interkulturelle Kommunikation am Herzen liegt und welche Erkenntnisse aus dem Studium ihr im Berufsalltag am meisten helfen – darüber sprach sie mit ihrem ehemaligen Kommilitonen Christopher Onuoha.

von Christopher Onuoha, Mitarbeiter Kommunikation und Eventmanagement am IAM

Sandra Nast weiss, wie es ist, wenn man sich fremd fühlt an einem neuen Ort. Als sie im Juni dieses Jahres in Addis Abeba ankam, sei ihr alles sehr neu und ungewohnt vorgekommen, erzählt sie – die Gerüche, die Geräusche und die Farben dieser afrikanischen Millionenstadt. Irritiert habe sie aber vor allem etwas anderes, nämlich die Blicke der Einheimischen, die sie als blonde Europäerin teilweise unverhohlen anstarrten. Anfangs sei ihr etwas unwohl gewesen, sagt sie, dann aber habe sie einen Schritt auf die Menschen zu gemacht und immer wieder jemanden mit einem herzlichen „Salam nu“ gegrüsst. Die Wirkung dieses „Grüezi“ auf Amharisch sei erstaunlich gewesen: Die anfängliche Skepsis in den Gesichtern der Kinder, Frauen und Männer sei mit einem Mal einem Lächeln gewichen. Ein Satz in der Muttersprache der Menschen hatte genügt, und das Eis war gebrochen.

Vielseitig engagiert
Die verbindende Wirkung von Kommunikation fasziniert Sandra Nast. Bei all ihren beruflichen Engagements, so sagt sie, gehe es letztlich darum, durch Kommunikation Missverständnisse und Barrieren zwischen unterschiedlichen Sprachen und Kulturen zu überwinden. Aktuell tut sie dies unter anderem als Lehrperson für unbegleitete minderjährige Asylsuchende. Sie unterrichtet die Jugendlichen, die ohne ihre Eltern in die Schweiz geflüchtet sind, nicht nur in Deutsch, sondern bringt ihnen auch die Schweizer Kultur näher.

„Sprache und Kultur sind ohnehin untrennbar miteinander verbunden und bedingen einander gegenseitig“

sagt sie. Einfach sei die Arbeit mit den Jugendlichen nicht, gerade weil viele von ihnen aufgrund des Fluchttraumas unter Konzentrationsstörungen leiden würden. Gleichzeitig sei die Arbeit unglaublich bereichernd. Diese Menschen zwischen 15 und 17 Jahren, so sagt sie, hätten auf ihrer Flucht und davor schon so viel erlebt und so viel zu erzählen, dass sie selbst von den Jugendlichen mindestens so viel lernen könne wie diese von ihr.

Es kann durchaus vorkommen, dass Sandra Nast morgens im Asylheim unterrichtet und nachmittags mit ranghohen DiplomatInnen an einem Tisch sitzt. Denn auch das gehört zu ihren beruflichen Engagements: Coachings zur Sprach- und Kulturvermittlung mit Expats und DiplomatInnen. Eigentlich gehe es dabei um nichts anderes als bei der Arbeit mit den Jugendlichen, sagt sie: nämlich ihren Gesprächspartnern die Schweizer Kultur näherzubringen, wozu auch die hoch- bzw. schweizerdeutsche Sprache gehöre. In den Coachings richte sie sich – genau wie beim Unterricht der minderjährigen Asylsuchenden – ganz an den Bedürfnissen ihres jeweiligen Gegenübers aus. So könne es in einer Sitzung um die Besprechung eines Buchs gehen, genauso aber um ein Rollenspiel oder eine hochpolitische Diskussion. Je nachdem, was bei ihrem Gegenüber gerade anstehe. Gerade wenn man mit so unterschiedlichen Gruppen zusammenarbeite, sei eine zielgruppengerechte Ansprache entscheidend, sagt Sandra Nast, man brauche ein Gespür dafür, was die andere Person versteht und was ihre Bedürfnisse sind. Dieser Aspekt sei ihr nicht nur auf Reisen und im Beruf, sondern vor allem auch während ihres Masterstudiums in Organisationskommunikation bewusst geworden, so Nast.

Sandra Nast (in der Mitte), Absolventin Masterstudiengang Angewandte Linguistik, Vertiefung Organisationskommunikation an der ZHAW

Eine Herzensangelegenheit
Ein Engagement, das Sandra Nast besonders am Herzen liegt, ist die Arbeit für „Sport – the Bridge“ eine gemeinnützige Organisation, die sich in Addis Abeba für Strassenkinder einsetzt und auch in der Schweiz wohltätige Projekte durchführt. Vor Kurzem reiste sie nach Äthiopien, um den Verein einen Monat lang vor Ort zu unterstützen. Hier führte sie Workshops in kreativem Unterrichten für die lokalen Mitarbeitenden durch und gab den Strassenkindern Bastel- und Malunterricht. Neben vielem anderem hätten sie vor allem das Engagement und die Kreativität der lokalen Mitarbeitenden beeindruckt, sagt Sandra Nast rückblickend, und erinnert sich: „auch ich hatte mir damals angewöhnt, jede leere WC-Rolle und jede PET-Flasche aufzuheben, weil ich wusste, dass man daraus noch etwas basteln kann.“ Ihre Begeisterung für das Projekt, das auf die gesellschaftliche Wiedereingliederung der Strassenkinder zielt, ist in jedem ihrer Sätze spürbar und es ist ihr ein Anliegen, darauf hinzuweisen, dass der Verein auf Spenden angewiesen ist und sich über jede Unterstützung freut.

Organisationskommunikation als interkulturelle Verständigung
Sandra Nasts Antwort auf die Frage, was ihr der Master in Organisationskommunikation für ihre vielseitigen beruflichen Tätigkeiten gebracht habe, lässt nicht lange auf sich warten. Besonders profitiert habe sie vom Rahmenstudium, sagt sie, wie etwa von der angewandten Linguistik oder dem Fach mehrsprachige Kontexte. Diese Fächer hätten ihr ein vertieftes Verständnis davon vermittelt, wie Sprache im Zusammenspiel mit Kultur funktioniert, und sie habe gerade im Hinblick auf ihre Muttersprache Deutsch ein solides theoretisches Fundament erhalten. Bei der Arbeit mit Menschen aus anderen Kulturkreisen sei es besonders wichtig, sich der eigenen Sprache und Kultur bewusst zu sein, sagt sie.

Ausserdem, sagt Sandra Nast, profitiere sie heute vom Storytelling-Ansatz, den sie im Masterstudium kennengelernt habe. Organisationen vermitteln ihre Anliegen oft in Form von Geschichten, da diese eingängiger sind und die Botschaften besser auf den Punkt bringen. Auch in Sandra Nasts Tätigkeiten geht es um Storytelling, ob sie nun mit den jugendlichen Asylsuchenden, mit den Strassenkindern in Äthiopien oder mit Expats arbeitet. Im Detail funktioniert es zwar etwas anders als in der Organisationskommunikation, aber das Prinzip ist dasselbe: Bei allen drei Gruppen vermittelt sie wichtige Einsichten mit Hilfe von Geschichten. Ein Beispiel dafür sei der Unterricht in Äthiopien gewesen, der stark auf Sportpädagogik sowie auf Geschichten basiert habe. Einmal habe es etwa ein Fussballspiel gegeben, bei dem ein Team aus neun und das andere Team aus sieben Strassenkindern bestanden habe. Nach dem Spiel habe man dann im Unterricht darüber diskutiert, warum das Spiel nicht fair gewesen sei, und habe die Situation auf den Alltag übertragen. Derartiges Storytelling, sagt sie, habe ihr in Äthiopien geholfen, den Draht zu den Kindern zu finden und die kulturellen Unterschiede zu überwinden.

Auch die Fähigkeit, konzeptionell und strategisch zu denken, habe sie sich im Wesentlichen während des Masterstudiums angeeignet, sagt Sandra Nast. Besonders wertvoll sei für sie zudem gewesen, dass das IAM die Rahmenbedingungen dafür schafft, dass die Masterstudierenden ein Semester im Ausland absolvieren können. Sie selbst hat diese Möglichkeit für einen sechsmonatigen Aufenthalt in Buenos Aires genutzt. Im Gespräch mit Sandra Nast wird klar, dass sie sich nach Abschluss des Masterstudiums keineswegs von der Organisationskommunikation abgewendet hat. Vielmehr hat sie sich spezialisiert – und zwar auf die Organisationskommunikation als Mittel der interkulturellen Verständigung.

Fremde sind Freunde, die man noch nicht kennt
Wenn Sandra Nast mit einer Gruppe von jugendlichen Asylsuchenden das Ankunftszentrum verlässt und mit ihnen über die Trottoirs einer ländlichen Berner Gemeinde geht, kann es durchaus vorkommen, dass Passanten ihnen fragende Blicke zuwerfen. Sobald die Jugendlichen aus Syrien, Afghanistan und Ostafrika die Vorbeigehenden aber mit einem waschechten „Grüessech“ grüssen, wie sie es von Sandra Nast gelernt haben, ist auch hier das Eis gebrochen. „Fremde sind Freunde, die man noch nicht kennt“ – davon ist Sandra Nast überzeugt. Und wie soll man sie je kennenlernen, wenn nicht über Kommunikation?


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