Wer studiert Kulturpublizistik und warum?

Seit 2009 gibt es den Master Kulturpublizistik der Zürcher Hochschule der Künste als Kooperation mit dem IAM. Zu den AbsolventInnen des Master gehören rund zwei Dutzend AbsolventInnen des IAM Bachelor Kommunikation. Hier erzählen Elena Ibello und Michael Fässler, was sie heute tun und wie sie auf ihre Studienzeit zurückblicken.

Elena Ibello – Ein Thema wird Beruf

Seit dem Abschluss meines Masterstudiums vor drei Jahren arbeite ich als Kommunikationsbeauftragte für palliative zh+sh, der regionalen Sektion der Schweizerischen Gesellschaft für Palliative Care für die Kantone Zürich und Schaffhausen. Das Thema Sterben und Tod, das viele ja immer noch als Tabuthema sehen, beschäftigt mich aber schon viel länger. Dass ich schon im Studium nebenbei für diesen Verein gearbeitet habe, hat sicher damit zu tun. Ich bin dort durch Zufall hingekommen und wollte eigentlich gar nicht so lange bleiben. Nach dem Abschluss war dann aber relativ schnell klar, dass ich dort neue Aufgaben übernehmen und mehr arbeiten könnte. 
Während des Studiums habe ich, noch bevor ich meine Masterarbeit geschrieben habe, gemeinsam mit der Filmemacherin Rebecca Panian ein Buch über das Sterben veröffentlicht. Es heisst „Zu Ende denken“ und ist 2013 erschienen. Wir haben dafür ungefähr fünfzig Menschen angefragt – SchriftstellerInnen, SchauspielerInnen und andere Personen des öffentlichen Lebens, aber auch Ärztinnen, SeelsorgerInnen, BestatterInnen – und sie gebeten, einen persönlichen Text zum Thema Sterben und Tod zu schreiben. Fast alle haben sofort zugesagt. Manche haben noch am Telefon damit angefangen, mir ihre Geschichte zu erzählen!
Das Buchprojekt hat sich ganz organisch aus der gemeinsamen Arbeit an einem Drehbuch für einen Dokumentarfilm entwickelt. Rebecca, mit der ich befreundet bin, hat damals ihren Vater verloren. Ich hatte gerade mit meinem Nebenjob bei palliative zh+sh begonnen. Auch privat hat mich das Thema damals umgetrieben: Ein enger Freund von mir hat sich das Leben genommen. 

Elena Ibello (Foto: Irene Stiefel)

Mit fast allen AutorInnen des Buches haben wir auch filmische Interviews geführt, von denen wir einige in Ausschnitten im Dokumentarfilm zeigen. Wir haben gefragt: Was wäre Dir wichtig, wenn Du wüsstest, es geht nicht mehr lang? Wovor hast Du Angst? Und natürlich: Kommt danach noch was – und wenn ja, was? Überrascht hat mich, dass keine Antwort wie die andere war. Wir haben wirklich fünfzig verschiedene Theorien gehört. Und das innerhalb von drei Wochen. Das war zum Teil auch eine Überforderung für uns. Zugleich waren wir total beflügelt von den Gesprächen. Ich bin oft beschwingt nach Hause gegangen – auch, weil immer so viel Hoffnung da war. 
Ich habe durch diese Gespräche erkannt, wie wichtig das Reden und der Austausch über das Sterben und den Tod sind. Seither lässt mich das Thema nicht mehr los. In meiner Masterarbeit bin ich der Frage nachgegangen, welche Rolle das Schreiben über den Tod in der persönlichen Auseinandersetzung mit dem Thema spielt. In meiner qualitativen Untersuchung hat sich herausgestellt: Eine grosse! Nach dem Abschluss 2014 habe ich an einem zweiten Buch gearbeitet, das palliative zh+sh im letzten Herbst herausgegeben hat. „Reden über Sterben“ ist, wie der Titel schon verrät, ein Plädoyer dafür, mit Vertrauenspersonen über das Sterben zu sprechen. Verschiedene AutorInnen – darunter Fachpersonen – haben das Thema aus ihrem Blickwinkel und ihrer Praxis beleuchtet. 

„Obwohl ich mir ursprünglich vorgestellt habe, als Journalistin zu arbeiten, kann ich mit solchen Buchprojekten auch in der Organisationskommunikation die Fragen aufgreifen, die mir wichtig sind.“ – Elena Ibello

Ich schreibe auch nach wie vor viele Texte, vor allem für die Newsplattform von palliative zh+sh. Um dort Themen zu setzen, vertraue ich auf meine Wahrnehmung. Dass subjektive Beobachtungen wichtige Daten liefern, mit denen man arbeiten darf, war im Studium eine Art Schlüsselerkenntnis für mich. Mittlerweile habe ich schon öfter die Erfahrung gemacht, dass das, was die Leute in der Palliative Care beschäftigt, sich oft mit dem deckt, was auch mich selbst umtreibt. Wenn ich dann so ein Thema – wie etwa das Reden über Sterben – vorschlage, sagen plötzlich alle: Ja, genau! Vor dem Studium hätte ich mich das wahrscheinlich nicht getraut. Ich hätte nicht den Mut gehabt, zu sagen: Das beschäftigt mich – und deshalb will ich unbedingt etwas dazu machen!

Elena Ibello schloss den BA Journalismus und Organisationskommunikation des IAM 2010 und den Master Kulturpublizistik der ZHdK 2014 ab. Das Gespräch führte und protokollierte Eva Mackensen im Mai 2017.

*Titelbild: Elena Ibello (Foto: Barbara Munz)


Michael Fässler – Ausstellungen als Form von Publizistik

Morgen endet meine dritte Arbeitswoche im Alpinen Museum in Bern. Im Stapferhaus Lenzburg, meiner vorherigen und bisher wichtigsten Station in meinem Berufsleben, war ich Kommunikationsverantwortlicher und betreute die Publikationen; im Alpinen Museum steht in meiner E-Mail-Signatur „Projektentwicklung“. Hier wie dort ist für mich die Möglichkeit, mich stark an der Konzept- und Strategiearbeit zu beteiligen, sehr wichtig. Dadurch, dass sich unsere Ausstellungen als „Themenmagazin im Raum“ verstehen lassen, und dass das Museum den Anspruch hat, öffentliche Diskurse anzustossen und zu prägen, kann ich meine publizistische Ader ausleben.
In meinem derzeit wichtigsten Projekt geht es unter anderem darum, die Sammlungsbestände, die zu Beginn der Amtszeit von Beat Hächler, dem Direktor des Museums, erstmal in den Keller gezügelt wurden um gegenwartsbezogenen Themenausstellungen Platz zu machen, in einem neuen Raum und in einer neuen Form wieder sichtbar zu machen. Dazu gehört die Aufgabe, die reichhaltige, teils aber auch lückenhafte Sammlung als solche noch einmal zu befragen: Was sagen uns die Objekte, und weshalb ist es wichtig, sie zu sammeln? Das Projekt heisst „Fundbüro für Erinnerungen“ und versteht sich, ein Stück weit im Sinne eines Schaulagers, als Scharnier zwischen dem Publikum und der Sammlung. Ab 2018 wird das Thema die Skikultur in der Schweiz sein. Hierbei interessieren uns beispielsweise die unterschiedlichen Erfahrungen verschiedener Generationen und die darin gespiegelten gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen. 

Michael Fässler

Das „Fundbüro“ und die Sammlung soll auch im Netz präsent sein, auch hier im Sinne eines Ortes der Interaktion mit dem Publikum. Wir wollen das Wissen der Menschen in Form von Erzählungen und Geschichten sammeln. Wie es der Titel „Fundbüro für Erinnerungen“ schon vermittelt, ist der Einbezug spezifischer Zielgruppen, wie beispielsweise Leute aus dem Schweizer Alpen Club, sehr wichtig. In meiner Arbeit kommen somit sehr viele Dimensionen dessen, was ich schon gemacht habe, – namentlich: Konzeption, Erzählen, Strategieentwicklung, Interaktion mit dem Publikum – zusammen. Was mir besonders Spass macht, ist, dass die Arbeit nicht primär aus einem Erledigen von Mikrotasks bei gleichzeitigem Zusammenhalten verschiedenster paralleler Abläufe besteht, wie es bei der Kommunikationsarbeit oft der Fall war, sondern dass ich manchmal zwei Tage lang ununterbrochen an einem Konzept brüte. Ich lasse mich auf ein anderes Tempo ein und muss lernen, länger und tiefer über Dinge nachzudenken. In einem Buch, das ich gerade lese, wird das diskutiert: „Deep Work“ als Kompetenz, an einem Thema vertiefend dranzubleiben, ist in unserer Wissensgesellschaft zunehmend gefragt, aber die gleiche Wissensgesellschaft neigt immer mehr zur Zerstreuung.

Ein weiteres für mich sehr wichtiges Charakteristikum der Arbeit im Alpinen Museum ist der Umstand, dass man sich nicht in einem hermetischen Circuit der Kunstproduktion und des Kunstdiskurses bewegt, sondern dass mit jeder Ausstellung und jedem Thema wieder eine neue Welt aufgeht und unterschiedlichste gesellschaftliche Akteure involviert werden. Dass wir etwa über Sinn und Unsinn des Erinnerns und Bewahrens nachdenken, und dass wir dabei im Dialog mit sehr vielen Stimmen und Bedürfnissen stehen, macht die Arbeit herausfordernder, aber auch spannender.

„Ich wollte einmal Journalist werden. Jetzt mache ich gewissermassen Journalismus mit anderen Mitteln.“ – Michael Fässler

Die Formate, die Medien, der Rhythmus sind anders. Aber am Schluss geht es darum, über unsere Zeit nachzudenken und darüber ein für die Öffentlichkeit interessantes Gespräch zu führen. Im Depot des Alpinen Museums gibt es die ersten Skis und die Ausrüstungen der frühen Schweizer Himalaja-Expeditionen. Aber was uns wirklich interessiert, wenn wir Geschichte und Geschichten erzählen, ist das Verhältnis der Menschen zu den Bergen in der Gegenwart.

Michael Fässler schloss den BA Journalismus und Organisationskommunikation des IAM 2010 und den Master Kulturpublizistik der ZHdK 2015 ab. Das Gespräch führte und protokollierte Ruedi Widmer im Juni 2017


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