von Ursina Ghilardi, Absolventin Master Angewandte Linguistik Vertiefungsrichtung Organisationskommunikation
Wissen Sie, wie viel Geld Sie von Ihrer Versicherung bekommen, wenn Ihre Wohnung abbrennt? Oder ob Ihr Velo ausser Haus gegen Diebstahl versichert ist? Und haben Sie das Kleingedruckte im Vertrag je bis zum Ende durchgelesen?
Ich bin mir da jedenfalls nicht so sicher. Denn mit den Versicherungen ist es ja so eine Sache: Die vielen Paragraphen sind eher verwirrend als erklärend und die Produkte sehr komplex. „Wird schon passen“, denke ich mir, nachdem ich die ersten fünf Seiten Fachchinesisch überflogen habe. Ab und zu flattert eine Prämienrechnung ins Haus. Sonst gehe ich dem Thema gerne aus dem Weg. Aber ob sich meine Versicherung im Schadensfall um mich kümmert, kann ich nicht mit Sicherheit sagen – oder sind Sie schon mal von einer Brücke gesprungen, um zu prüfen, was Ihre Lebensversicherung so taugt?
Kurzum: Das Versicherungswesen ist für einen Grossteil der Bevölkerung zu komplex und zu langfristig ausgelegt, als dass wir uns den Durchblick verschaffen könnten. Somit bleibt uns nicht viel anderes übrig, als darauf zu vertrauen, dass die Versicherung unserer Wahl a) die finanziellen Mittel besitzt, um uns im Schadensfall unter die Arme zu greifen zu können und b) auch Willens ist, dies zu tun – und sich nicht mit Paragraph 818b jeglicher Verpflichtungen dem geschädigten Gegenüber entzieht.
Wenn Versicherungen auf das Vertrauen ihrer Kunden angewiesen sind, wird dies zu einer wichtigen Ressource für den Unternehmenserfolg und will entsprechend gefördert werden. In meiner Masterarbeit habe ich untersucht, was die Organisationskommunikation als Vermittlerin zwischen der Organisation und deren sozialem Umfeld zur Vertrauensgenese beitragen kann. Aus der Vielzahl von möglichen Ansätzen zur Vertrauensförderung habe ich mich auf die Technik des Storytellings konzentriert und mir folgende Fragen gestellt:
- Stellt Storytelling eine geeignete Technik für Versicherungsunternehmen dar, Vertrauen zu fördern?
- Welche Elemente des Storytellings wirken im Versicherungskontext besonders vertrauensfördernd?
- Und schliesslich: Stellt Storytelling eine geeignete Technik für Versicherungsunternehmen dar, Komplexität zu reduzieren und transparent zu kommunizieren?
Mit einer Methodentriangulation wollte ich der Sache auf den Grund gehen: Experteninterviews, Textanalysen und Fokusgruppen standen auf dem Programm.
Die Experten – Kommunikationschefs von Versicherungsunternehmen – waren sich im Grunde einig: Storytelling ist die Kommunikationstechnik erster Wahl, wenn es darum geht, die Versicherungsprodukte zu emotionalisieren und damit erlebbar zu machen. „Wir versuchen mit Storytelling Nähe zum Kunden zu generieren“, gab einer der Experten zu Protokoll.
Emotionalisierung war denn auch in der Fachliteratur das grosse Thema. Dem Storytelling wird weiter zugeschrieben, dass damit Informationen leichter vermittelt werden können, der Organisation ein Gesicht gegeben wird und sie damit berechenbar und zuverlässig wirken – lauter positive Eigenschaften also, bei denen auch das Vertrauen wachsen dürfte.
Ursina Ghilardi hat den Master in Angewandter Linguistik mit Vertiefung Organisationskommunikation 2016 erfolgreich abgeschlossen. Sie erhielt den «Farner Award for Academic Excellence», der dieses Jahr zum ersten Mal für die beste Masterarbeit in Organisationskommunikation ausgeschrieben wurde. Der Preis wurde durch den Verwaltungsratspräsidenten der Farner Consulting AG, Dr. Christian König, überreicht.
Für die weitere Untersuchung musste ich den Rahmen nochmals enger stecken: Ich habe mich für die Analyse auf sogenannte „Schadensreportagen“ konzentriert – Reportagen über einen Schadensfall also, wie sie sich in Kundenmagazinen von Versicherungen finden lassen. Als Germanistin B.A. konnte ich mich mit literaturwissenschaftlichen Methoden austoben und habe diverse narrative Kategorien wie Protagonisten, Handlungsabläufe oder die Erzählweise im Hinblick auf die Vertrauensgenese analysiert. Ich könnte mich an dieser Stelle stundenlang über meine spannenden Erkenntnisse auslassen, möchte jetzt aber nur kurz erwähnen: Es gab in meiner Untersuchung sehr viele Anhaltspunkte dafür, dass die Lektüre von Schadensreportagen theoretisch zu mehr Vertrauen führen dürften.
Dann aber war es an der Zeit, mich dem wichtigsten Glied im Vertrauensförderungsprozess zuzuwenden: dem Rezipienten. Diese Fokusgruppengespräche sehe ich als zentralen Bestandteil meiner Arbeit an, denn entscheidend ist ja nicht, was Experten oder die Theorie über die Funktionsweise von Texten sagt, sondern welche Wirkung der Text auf den Leser wirklich hat.
Die Haupterkenntnis dieser Gespräche? In den Augen der Versicherungskunden ist die Wirkung des Storytelling – zumindest in dem spezifischen Fall, den ich untersucht habe – kaum je so mächtig, wie das in der Theorie gerne ausgeführt wird. Grund dafür ist die Tatsache, dass die Organisation von den Rezipienten als Absender sehr stark wahrgenommen wird. Damit verlieren die Geschichten ihre Glaubwürdigkeit. „Ist ja klar, dass die nur Fälle mit einem Happy End bringen“, meinte ein Teilnehmer lakonisch. Für die Vertrauensgenese ist eine solche Wahrnehmung natürlich fatal, weshalb ich in meiner Arbeit zum Schluss komme, dass Schadensreportagen höchstens eine geringe Wirkung auf die Vertrauensbildung haben. Elemente wie die Gestaltung der Akteure, die Erzählweise oder der Spannungsbogen hatten zwar Einfluss darauf, wie die Versicherung wahrgenommen wurde – allerdings konnte auch kein noch so sympathischer Versicherungsvertreter die Tatsache vergessen machen, dass diese Reportagen von der Versicherung verfasst wurden und damit möglicherweise „geschönt“ waren.
Trotzdem gaben Personen mit wenig Erfahrung im Versicherungsbereich an, durch die Schadensreportagen den Sinn einer Versicherung besser verstanden zu haben. Somit können die Schadensreportagen zumindest im Bereich der Komplexitätsreduktion einen Beitrag leisten.
Meine eingangs gestellten Fragen konnte ich in meiner Arbeit nicht so klar beantworten, wie ich das gerne gemacht hätte. Das lag unter anderem daran, dass Vertrauen ein sehr abstraktes Thema ist, das schwierig zu messen ist. Auch hätte es vermutlich direkte Vergleiche zur Wirkungsweise von nicht-narrativen Texten gebraucht, um deutlichere Aussagen machen zu können. Ganz allgemein nehme ich aus meiner Arbeit aber mit, dass wir uns nicht an schönen Theorien und Trendbegriffen wie dem Storytelling festklammern dürfen, sondern uns immer wieder kritisch fragen müssen, was unsere Kommunikation bei den Rezipienten wirklich auslöst. Diese sind nämlich keinesfalls so naiv, wie wir vielleicht manchmal denken. Zudem müssen wir uns überlegen, wie wir für Organisationen neue Wege finden können, dieser vermuteten Manipulationsabsicht entgegenzuwirken. Sei es durch eine transparentere, selbstkritischere Informationspolitik, die auch über Fehler spricht, oder indem wir vermehrt andere, unabhängige Parteien (nicht nur Medien) für die Unternehmen sprechen lassen. Oder welche neuen Herangehensweisen sehen Sie? Ich bin gespannt auf Ihre Kommentare.
Weitere Masterarbeiten am IAM
- Wo Neues entsteht – über Entrepreneurial Storytelling, Masterarbeit von Birgitta Borghoff (2016)
Sehr interessantes Forschungsfeld, vielen Dank für die Zusammenfassung der Erkenntnisse. Haben Sie auch untersucht, wie die unterschiedlichen Medien wahrgenommen werden? Ist zum Beispiel der Blog oder die Website einer Versicherung, wo User Kommentare hinterlassen oder direkt Fragen stellen können, vertrauenswürdiger als ein Print-Kundenmagazin? Spricht ein Video mehr an als ein Text?
Liebe Frau Meier
Vielen Dank für Ihren Kommentar. Das sind sehr spannende Fragen, die Sie stellen. Ich habe mich in meiner Arbeit ausschliesslich mit Print-Kundenmagazinen auseinandergesetzt, um das Forschungsfeld eingrenzen und in die Tiefe gehen zu können. Ich müsste mich daher sehr weit aus dem Fenster lehnen, wenn ich Ihnen jetzt eine Antwort geben würde. Aber vielleicht möchte jemand anderes diese Fragen in seiner/ihrer Masterarbeit untersuchen? Ich wäre an den Ergebnissen jedenfalls auch sehr interessiert 🙂
Liebe Frau Meier
Vermutlich sind es eher die Inhalte und Kontexte, die Ausschlag geben, ob ein Kommunikationsbeitrag vertrauensbildend wirkt oder nicht, und nicht die Kanäle per se. Wie Forschungen bzw. Analysen von Cases an unserem Institut ergeben haben, scheint z.B. eine sichtbar selbstkritische Haltung des Unternehmens vertrauensbildend zu wirken. Oder auch generell die Abkehr der Corporate Communications vom früher üblichen Anspruch, das Unternehmen als perfekt darzustellen, und statt dessen auch eigene Herausforderungen transparent zu machen, kann eine positive Wirkung entfalten.
Wenn man allerdings dialogische mit nicht dialogischen Kanälen vergleicht, könnte man vielleicht interessante Unterschiede finden. Allein die Tatsache, dass sich ein Unternehmen die Mühe macht, individuell auf Fragen einzugehen, wird wohl bei den Usern gut ankommen, vorausgesetzt, dass die absatzorientierten Interessen des Unternehmens dabei nicht in den Vordergrund treten. Dies, so hat Frau Ghilardi auch in ihrem ersten Blog aufgezeigt, würde dann eher kontraproduktiv wirken. Vielleicht können wir Ihre Anregungen aufnehmen und bei Gelegenheit in einer Master-Arbeit untersuchen lassen, inwiefern unterschiedliche dialogische Kanäle Vertrauen fördern können bzw. wie sich dabei dialogische von nicht-dialogischen unterscheiden.
Was den Vergleich Video/Text angeht, so kann man sicherlich sagen, dass generell multimodale Kommunikation, also der parallele Einbezug unterschiedlicher Sinneskanäle, die Rezipienten eher anspricht. Ob ein Video dann auch vertrauensbildend ist, kommt aber vor allem auf die inhaltliche Ausgestaltung und den Kontext an.