Computer berechnen Wetterprognosen und steuern Flugzeuge durch Stürme, Computer können zunehmend auch Texte schreiben und übersetzen und Gespräche dolmetschen. Wozu braucht es in Zukunft noch Journalisten, Übersetzerinnen und Dolmetscher? – Zum Denken über die Regeln hinaus, für Einfälle und Empathie.
Alles was sich strikte in Regeln fassen lässt, passt auch in mathematische Formeln, Algorithmen, und damit in Computerprogramme. Sprachgebrauch nach Regeln, wie kompliziert und vielschichtig das Regelwerk auch immer sein mag, kann man programmieren, einer Maschine vorschreiben, sobald man alle Regeln genau kennt. Dann produziert ein Computer Texte, die sich grundsätzlich nicht unterscheiden von denen, die ein Mensch nach den gleichen Regeln hergestellt hat.
Der „Roboter“ für die Pflicht
So entstehen in Sekunden ausführliche Finanzanalysen oder Zeitungsmeldungen über Erdbeben. Wer heute solche Texte in Serie schreibt, wird in ein paar Jahren Computerprogramme kalibrieren, die das dann von alleine tun. Zurzeit heisst das “Roboterjournalismus”. Die Metapher drückt aus: Wo recherchiert und geschrieben wird, muss ein Mensch aus Geist, Fleisch und Blut her oder dann wenigstens ein Roboter. Roboter sind körperlicher, menschenähnlicher als krude Rechenmaschinen. Von “Robotergrafik” war interessanterweise nie die Rede, hier schien die sachlichere Bezeichnung “Computergrafik” zu passen. Nicht so beim Schreiben.
Angst, Respekt, Betroffenheit mögen mitgespielt haben, als Journalisten die Metapher der “Roboterjournalismus” prägten. Man fühlt sich betroffen und angegriffen, wenn etwa der Softwarehersteller Narrativescience.com fordert, “Let Quill do the writing for you”; wenn der Konkurrent Automated Insights verspricht, “Wordsmith […] writes insightful, personalized reports from your data. It’s like an expert talking with each user in plain English”; und wenn der führende deutsche Hersteller TextOn verkündet,
einfachere Texte schreibe ihr Programm selbst, was den Redaktionen Zeit verschaffe, “sich um die journalistische Kür zu kümmern”.
Über die Grenzen der Regeln hinaus
Hinsehen und klar Denken als Alternative zur Angst: Was kann die Maschine bald, was noch lange nicht, und was vielleicht nie? – Öffentliche Kommunikation lebt, wie Kommunikation überhaupt, nicht nur von Regeln, sondern auch von Intuition, Empathie, Einfällen. Da streiten sich Routinen und Kreativität mit Lust, da werden Regeln sorgsam eingehalten und gezielt durchbrochen. Regeln sind immer im Vergangenen verhaftet, sie gelten, weil sie sich bewährt haben. Aber Kommunikation wirkt im Hier und Jetzt. Gut und recht kommuniziert, wer die Regeln fein abgestimmt einhält. Sehr gut kommuniziert, wer offen ist fürs völlig Unerwartete und die Regeln am richtigen Ort durchbricht – dort, wo es erhellend überrascht.
Das gilt in allen Domänen, in allen Lebensbereichen. Wir erinnern uns kaum mehr an den Komponisten Antonio Salieri (1750-1825), obwohl er in seiner Zeit als Meister verehrt und gefeiert wurde. Keiner wusste die Harmonien und Motive nach den Regeln der Kunst besser zu verknüpfen als er. Salieris Zeitgenosse Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) setzte sich über einige Regeln hinweg; nicht irgendwie, sondern mit Gespür für die Zeit – und für das Zeitlose, das die Schranken und Beschränkungen der damals gerade angesagten Regeln sprengte. Salieri ist Geschichte und lässt sich heute mit Computerkomposition emulieren, Mozart wird gespielt und gelebt.
Kommunikationsangebote, die nicht nur korrekt sind, sondern auf allen Ebenen stimmen, werden so lange von Menschen geschrieben werden, wie Menschen Freude am Lesen haben. Entscheidend also, zu erkennen, was sich warum bewegt in der Kommunikation, was die Konstanten sind – und wohin die Reise geht. Das tun wir am IAM. Wir denken voraus und bleiben dran, damit unsere Absolventinnen und Absolventen bald schon Roboterjournalismus so souverän nutzen können wie Computergrafik und Social Media: als Werkzeug zum freien, klaren Denken und Mitteilen.
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Wolfgang J. Reus